U-Bahn Theresenwiese auf dem Oktoberfest:Das längste Fahrgeschäft

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Gedränge am zweiten Wiesn-Samstag: Einsatzleiter Norbert Grünleitner entscheidet, wann der Bahnhof kurzzeitig geschlossen wird. Und muss gelegentlich einem Touristen weiterhelfen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die anstrengendsten zwei Wochen des Jahres: Während der Wiesn herrscht im U-Bahnhof Theresienwiese Ausnahmezustand. Norbert Grünleitner ist Einsatzleiter. Er passt auf, dass auch beim größten Ansturm nichts außer Kontrolle gerät.

Von Marco Völklein

Spät in der Nacht, sagt Norbert Grünleitner, so gegen eins, halb zwei, wenn er dann zu Hause in Ebersberg angekommen sein wird, dann wird er sich eine Russn- oder Radlerhalbe gönnen. Sich hinsetzen, ausruhen. "Runterkommen", wie er sagt. Das dauere seine Zeit, sagt der 47-Jährige. "Ich hab noch zu viel Adrenalin im Blut, um gleich ins Bett zu gehen." Und das, obwohl Grünleitner eigentlich Morgenmensch ist. Unterm Jahr steht der Mitarbeiter der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) meist um halb fünf auf. Und sitzt spätestens um sieben Uhr an seinem Schreibtisch. "Während der Wiesn", sagt Grünleitner, "ist alles a bissl anders."

Ja, so kann man es auch ausdrücken: A bissl anders.

Wer nicht die Gemütsruhe von Norbert Grünleitner hat, der würde sagen, es herrscht Ausnahmezustand bei der U-Bahn. Mehr als die Hälfte der sechs Millionen Besucher kommt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Festwiese. Oder will danach mit Bussen und Bahnen wieder nach Hause. Die Hauptlast dieses Ansturms bewältigt - neben der S-Bahn - die MVG mit der U-Bahn. Und Norbert Grünleitner ist derjenige, der dafür zu sorgen hat, dass trotz der Menschenmassen, die Abend für Abend in die Bahnhöfe drücken, trotz der vielen Betrunkenen, die gefährlich nahe am Gleis entlangtorkeln, und trotz der Raufereien zwischen stark Alkoholisierten, der Betrieb läuft. Irgendwie.

U-Bahnhof Theresienwiese
:Tunnel-Biesler und Wiesn-Ampel

Wenn die Oktoberfestbesucher heimgehen, sind sie im Dauereinsatz: Die Mitarbeiter der MVG am U-Bahnhof Theresienwiese. Sie dirigieren die Menschenmassen, schlichten Schlägereien und suchen Betrunkene im U-Bahn-Tunnel.

Irgendwie läuft der Betrieb

An diesem Samstag ist besonders viel zu tun. Italienerwochenende. Außerdem hat ab Nachmittag die Sonne geschienen. Traumwetter, das die Leute auf die Festwiese zieht. Von der wärmenden Sonne oben kriegt Norbert Grünleitner aber kaum etwas mit. Er ist, ausgestattet mit orangefarbener Warnweste, Handy und Funkgerät, seit dem frühen Nachmittag unterwegs im Bahnhof unter der Theresienwiese. "Einsatzleiter" steht auf seiner Weste, quer über dem Rücken. Wichtig sei es, den Überblick zu behalten. Und frühzeitig zu reagieren, wenn sich Probleme abzeichnen.

An diesem Abend melden gegen 23.20 Uhr die Kollegen vom Stachus per Funk einen Zwischenfall. Zwei Wiesnbesucher seien im Streckentunnel Richtung Odeonsplatz verschwunden. "Wahrscheinlich zum Bieseln", sagt Grünleitner. "Die U-Bahn-Wache ist schon hinterher." Trotzdem steht zunächst mal der Betrieb auf der wichtigen Wiesn-Linie U 4/5. Kein Zug darf mehr in den Tunnel einfahren. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, zu der die Zelte schließen. Und die Menschenmassen von oben in den Bahnhof strömen.

Grünleitner greift zu dem grauen Kästchen, die "Wiesn-Ampel". Er drückt den Knopf. Das Licht springt von Grün auf Rot. Genauso am anderen Ende der Leitung, oben, am Eingang zum U-Bahnhof. Dort steht Grünleitners Kollege Helmut Neumann auf einem kleinen Podest, umgeben von gut einem Dutzend Mitarbeitern der U-Bahn-Wache, mit einem Mikrofon in der Hand. Und er reagiert sofort.

"Soooo, jetzt machen wir mal kurz den Bahnhof wieder zu", teilt er den anstürmenden Besuchermassen mit. Sofort postieren sich Sicherheitsleute vor dem Treppenabgang, versperren den Zugang. Neumann dreht an zwei Sperrschlüsseln. Und langsam schließen sich zwei schwere Stahltore und verriegeln für einige Minuten den Bahnhof. "So lange, bis wir unten wieder genügend Platz haben", sagt Neumann. Insgesamt 15 Mal wird sich das noch wiederholen an diesem Samstagabend.

Viele Wiesnbesucher kennen das schon. Und sie kennen Helmut Neumann. Wenn auch nur von seinen Durchsagen und vom Sehen, wenn sie sich vorbeidrängen, wenn er das Tor wieder aufmacht und Sprüche raushaut wie: "Hier ist die U-Bahn und kein Kuhstall". Immer wieder wird er angelächelt und fotografiert. Männer recken ihm den ausgestreckten Daumen entgegen, Frauen versuchen, ihn anzuflirten. "Wir versuchen, eine ungezwungene Atmosphäre zu schaffen", sagt Grünleitner. Damit alles läuft, ohne Zwischenfälle. Ohne Probleme oder gar schwere Unfälle.

Darum muss der U-Bahnhof gelegentlich wegen Überfüllung vorübergehend geschlossen werden. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Höchste Konzentration

Doch trotz all der lockeren Sprüche und der guten Laune, die die gut 60 Mitarbeiter von MVG, U-Bahn-Wache und externen Sicherheitsdiensten verbreiten, ist die Arbeit vor allem: anstrengend. Während er zwei Touristen den Weg zum Arabellapark erläutert, verfolgt Grünleitner über einen Stöpsel im linken Ohr den MVG-Funk - und hat im Augenwinkel immer noch das Geschehen im Bahnhof im Blick. "U-Bahn-Wache", brüllt er plötzlich und deutet auf zwei Betrunkene, die sich am unteren Ende der Rolltreppe eine wilde Schlägerei liefern. Sicherheitsleute trennen die Kombattanten - und setzen sie an die frische Luft. "Wer nicht mehr weiß, wie er sich in einem U-Bahnhof zu benehmen hat, muss sich eben neu anstellen", sagt Grünleitner. "Für die heißt es: Zurück auf Los."

Auch das Problem mit den Wildbieslern am Stachus wurde mittlerweile gelöst. Sicherheitsleute haben sie aus der Röhre geholt. Die Strecke ist wieder frei. Trotzdem tastet sich der Fahrer des ersten Zugs, der wieder in den Tunnel darf, mit Tempo 25 langsam vor zum Odeonsplatz. Und prüft, ob nicht doch noch jemand im Tunnel ist. "Sichtfahrt" nennt sich das bei der MVG.

Als auch die absolviert ist, stellt Grünleitner die Ampel wieder auf Grün. Oben dreht sein Kollege Neumann die beiden Schlüssel und macht die Tore wieder auf, schickt die Leute runter zum "längsten Fahrgeschäft auf der Wiesn", wie er sagt. Bittet darum, die Zigaretten auszumachen. Möglichst nicht zu schubsen, nicht zu drängeln, nicht zu treten. Nächstes Jahr, sagt Neumann, wird er wieder dabei sein. Genauso wie Grünleitner. Alle Bahnhofsmitarbeiter melden sich freiwillig zum Wiesn-Dienst. "Ich mag das", sagt Neumann, "den Kontakt mit den Leuten." Und dann, nach Dienstschluss, "zu Fuß über die Wiesn nach Hause zu gehen". Neumann wohnt in der Nähe des U-Bahnhofs Poccistraße. Dann sei es plötzlich ganz ruhig auf Deutschlands größtem Volksfest.

A bissl anders eben.

© SZ vom 29.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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