Prozess in München:Schläge auf dem Tollwood

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Nach dem "Bap"-Konzert auf dem Sommer-Tollwood 2022 ging es an einem benachbarten Lederwaren-Stand offenbar hoch her (Archivbild). (Foto: Catherina Hess)

Eine ganze Familie - Vater, Mutter und zwei Söhne - sitzt auf der Anklagebank, weil sie auf einen Standlbesitzer, Security-Mitarbeiter und sogar auf die Polizei losgegangen sein soll.

Von Susi Wimmer

Es ist sicher nicht alltäglich, eine ganze Familie auf der Anklagebank vor dem Amtsgericht sitzen zu sehen, noch dazu eine gut situierte, zumindest was die berufliche Laufbahn anbelangt. Laut Staatsanwaltschaft aber sollen Vater, Mutter und zwei Söhne auch ganz anders können: Sie sollen auf dem Sommer-Tollwood in wechselnder Beteiligung einen Standlbesitzer beleidigt, geschubst und verletzt sowie sich anschließend ein Gerangel mit Security und Polizei geliefert haben.

Die Sache ist, um es mit BAP zu sagen, "verdamp lang her", genauer gesagt war es das Sommer-Tollwood 2022. Das Ehepaar S. erzählt, man habe sich vor mehr als 30 Jahren in Köln kennengelernt und ein Konzert von BAP besucht. Als die Kölschrockband am 30. Juni auf dem Festival in München gastierte, wollte man dorthin einen Familienausflug starten und nahm auch die damals 19 und 20 Jahre alten Söhne mit.

Ob das Konzert dann wirklich so harmonisch verlief wie der 57-jährige Vater, von Beruf Jurist, erzählt, da beginnen schon die Widersprüche. Der heute 22-jährige Sohn erwähnt, im Konzertzelt habe es mal eine kurze Unstimmigkeit gegeben, weil er für seine Mutter einen Platz freigehalten habe. Das habe man aber alles geklärt. Ein Zeuge behauptet später, er habe gehört, die Familie sei während des Konzertes schon aus dem Zelt geworfen worden, "weil sie betrunken waren und randalierten".

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Jedenfalls wollte sich die Familie S. in Richtung Ausgang zum Taxistand begeben, als den Vater noch ein dringendes Bedürfnis ereilte. Die Schlange an der Toilettenanlage entsprach der üblichen Tollwood-Länge und die Mutter sagt, sie habe sich am benachbarten Stand mit Lederwaren etwas angelehnt, weil die Füße in den Stiefeletten geschmerzt hätten. Der Standlbesitzer hätte sie zweimal aufgefordert, dies nicht zu tun, dann habe er sie gefilmt mit seinem Handy.

Bei dem 55-Jährigen klingt der Ausgangspunkt des Ganzen wieder ganz anders: Jemand habe mit dem Fingernagel über seine Waren gestreift, er habe gebeten, das zu unterlassen. Daraufhin sei die Familie "aggressiv und beleidigend" geworden. Der Lederwaren-Verkäufer ist nicht von heller Hautfarbe, der 22-jährige Sohn soll ihn als "Affe" beschimpft haben. Der Student ist schon polizeilich in Erscheinung getreten, und in der Verhandlung erklärt der Vater, er habe "Affe" gesagt. Er sage des Öfteren "Affe".

Der Standlbesitzer erzählt weiter, dass er an den Schultern gepackt und geschubst worden sei. Dabei sei er irgendwie am Auge verletzt worden und in Panik geraten. Laut Staatsanwaltschaft soll sich das Gerangel in Richtung eines Schmuckstandes verlagert haben, wo ein Maler mit seiner Ehefrau gerade die Auslage studierte. "Plötzlich war da ein Riesentumult und Geschrei", erzählt er. Er habe sich schützend vor Passanten schieben wollen, die mit dem Rücken zum Geschehen standen.

Daraufhin habe einer der jungen Burschen den Inhalt seines Cocktailglases auf ihn geschüttet und mit voller Wucht das Glas nach ihm geschleudert. Auch der zweite junge Mann habe das Glas geworfen, das aber in hohem Bogen über den Stand flog. Mittlerweile war der Betriebsleiter der Security vor Ort. Laut Anklage versuchte der, einen der Söhne festzuhalten. Der soll Widerstand geleistet und ihn beleidigt haben und sei schließlich zu Boden gebracht worden. Der Sohn erklärt, der Security-Mann sei auf seinem Hals gekniet, "ich habe keine Luft mehr bekommen", sagt der 21-Jährige. "Es war wie bei George Floyd", schluchzt die Mutter, "ich habe ein Trauma erlitten, Tollwood ist für mich gestorben."

Der Vater soll dann den Security-Mann am Hals gepackt haben, weitere Standlbesitzer griffen ein, es kam noch mehr Security, ein Sohn soll geschlägert und sogar die Mutter soll einem Sicherheitsmann einen Faustschlag ins Gesicht verpasst haben. Auch die herbeigeeilten Polizisten sollen angegriffen worden sein.

Die Aussagen der Familie klingen ganz anders. Keiner will ein Glas geworfen haben, es seien ohnehin nur Becher gewesen. Keiner will geschlagen haben, im Gegenteil. Sie seien von der Security brutalst zu Boden gebracht und dabei verletzt worden. Der 21-jährige Sohn erzählt, dass er bei der Polizei wegen des Knies auf seinem Hals eine Gegenanzeige gemacht habe.

"Verdamp lang her" ist die Angelegenheit auch für die Zeugen. Es gibt erhebliche Widersprüche in ihren Aussagen und am Ende verfügt die Amtsrichterin, dass die Verfahren gegen die männlichen Angeklagten gegen Geldauflage eingestellt werden, bei der Ehefrau sogar ohne Geldauflage. Niedeckens BAP ist auch heuer wieder auf Tour. Vermutlich ohne die Familie S.

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