Theater:Liebe und andere Katastrophen

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Im Krankenhaus trägt Fitz (Anne Bontemps) eine Tigermaske, ihr Vater (David Benito Garcia) hingegen die Fingerkuppe ihrer Schwester (Helene Schmitt). (Foto: Judith Buss)

Mit der Bühnenfassung von Anna Woltz' Roman "Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte" eröffnet die renovierte Schauburg. Im Zentrum des Geschehens steht eine aufmüpfige Zwölfjährige

Von Barbara Hordych

Er liebt die schöne Kleine, möchte sie küssen. Sie aber findet ihn hässlich und sein Verlangen nach einem Kuss nervig. Eine Liebesgeschichte erzählen wollen beide trotzdem. "Die Schöne und das Biest" soll sie heißen. Denn unter der hässlichen Oberfläche des Monsters verbergen sich ein guter Charakter und ein wunderschöner Prinz. Und das Mädchen? Vielleicht ist es gar nicht so lieb und schön, wie alle meinen. Vielleicht ist es in Wahrheit ein Biest? "Die Schöne und das Biest oder die Geschichte eines Kusses' ist eines der beiden Theaterstücke, die ich selber geschrieben habe", sagt die neue Schauburg-Intendantin Andrea Gronemeyer bei einem Treffen in ihrem Büro.

Seinerzeit erhielt das Stück, bei dem sie auch Regie führte, den NRW-Autorenpreis. Als sie 2005 erfuhr, dass der niederländische Autor und Regisseur Theo Fransz ihr Stück am Deutschen Schauspielhaus Hamburg inszenierte, "fuhr ich dorthin. Ich wollte doch unbedingt sehen, was er daraus macht." Die Inszenierung war ganz anders als die ihrige, erinnert sie sich, "aber sehr interessant". Aus der damaligen Begegnung sollte eine produktive Zusammenarbeit entstehen. Gronemeyer engagierte Fransz ein paar Mal, um Stücke am Theater Mannheim zu inszenieren. Und als es jetzt an die Eröffnung der Schauburg ging, "stand für mich der Regisseur bereits fest, bevor wir das Stück hatten", sagt Gronemeyer. Den passenden Stoff, der möglichst viel mit der heutigen Lebensrealität von Kindern zu tun haben sollte, fanden sie und ihre Dramaturgin Anne Richter in Anna Woltz' Roman "Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte". Die Uraufführung eröffnet am 20. Oktober die renovierte Schauburg.

"Den Niederländern wie den Skandinaviern gelingt es, große Themen auf gleichzeitig philosophische wie auch humorvolle Weise zu behandeln", erklärt Gronemeyer ihre Wahl. Die auch Theo Fransz, der in einer Probenpause zu dem Gespräch hinzukommt, auf Anhieb überzeugte. "Die Komplexität des Romans ist faszinierend, es werden so viele Themen geöffnet". Insbesondere gehe es um Liebe. "Alle denken an Liebe, befürchten sie zu verpassen". Was sie wütend macht. Besonders Felicia, genannt Fitz, die zwölfjährige Hauptfigur. Die hat sich aus Wut auf ihre Mutter, die sich von ihrem Vater getrennt hat, "Mama soll sterben" mit Permanentmarker auf Stirn und Wangen geschrieben. Als die frisch getrennte Familie sich um das Krankenbett ihrer jüngeren Schwester Bente versammelt, die mit dem Fahrrad gestürzt ist, verbirgt Fitz die Buchstaben unter einer Tigermaske.

Auch Adam, ein unverschämt gut aussehender 15-Jähriger, ist zornig. Weil sich alle Aufmerksamkeit auf seinen Bruder richtet und das nicht erst, seit er auf der Frühchenstation liegt. "Die ganze Zeit waren meine Eltern mit dem Nächsten beschäftigt. Mit dem Kind, das noch nicht da war". Nun soll Adam das Baby auch noch "Känguruen", an seiner nackten Brust kuscheln lassen, weil seine Eltern mit dem Auto im Schnee stecken geblieben sind.

Der Roman biete eine ideale Vorlage für ein Theaterstück, gebe es doch an jenem "Katastrophentag" von Bentes Sturz im Krankenhaus beinahe so etwas wie die Einheit von Ort und Zeit. "Zugleich stellt die Umsetzung für das Theater eine Bereicherung für den Roman dar", erklärt Fransz. Inwiefern? "Der Roman hat mit Fitz eine kraftvolle Hauptfigur, aus deren Perspektive der Leser das Geschehen erlebt". Auf der Bühne könnten aber die Perspektiven der anderen Figuren wie etwa der Mutter zur Geltung kommen. "Denn die Schauspieler sind ja auf der Bühne, behaupten ihre Figur". Die Doppel-Besetzung von Vater und Arzt beziehungsweise von Mutter und Krankenschwester eröffneten zudem weitere Assoziationen: "Wir haben da das Paar, das sich getrennt hat, und wir haben das Paar, das gerade zusammenfindet", sagt Fransz. Ohne es ausdrücklich zu sagen, verkörpern die Paare eine jeweils andere Seite der Liebe.

Im künstlerischen Credo sind sich Gronemeyer und Fransz einig: Man dürfe alles ansprechen, sich dabei aber nicht zynisch äußern. Fitz akzeptiere zwar die Situation, es würden aber keine "falschen Hoffnungen" geweckt, sagt Fransz. Im vergangenen Jahr habe er am Theater Bremen Erich Kästners "Doppeltes Lottchen" inszeniert. In Kästners Klassiker von 1949 finden die Eltern der Zwillingsmädchen am Ende wieder zusammen. "So etwas kann ich heute nicht mehr inszenieren. Ich habe den Schluss abgeändert. Bei mir bleibt es offen, ob die Eltern wieder zusammenkommen".

Seine Liebe zum Kindertheater entdeckte Theo Fransz im Jahr 2000. Da schrieb und inszenierte er sein Stück "Schwestern", das ein internationaler Erfolg wurde. In München war das traurig-schöne Stück, das mit fröhlicher Leichtigkeit vom Tabuthema Tod erzählt, im Hofspielhaus in der Regie von Stefanie von Poser zu sehen. "Das Thema Tod ist zu schwer für Kinder, heißt es immer. Aber das akzeptiere ich nicht, genau das mache ich", erklärt Fransz und lacht leise. "In ,Schwestern' ist Mathilde, die Überlebende, eigentlich wie tot. Und die Tote ist frei. Sie will Mathilde helfen, ihren Tod zu akzeptieren, ihr Mut zum Weitergehen machen". Nachdem er mitbekommen hatte, wie die Kinder auf das Stück reagieren, wie direkt und unmittelbar, stand für ihn fest: Er wollte nur noch Kinder- und Jugendtheater machen. Ob es nun Mathilde ist, die den Tod ihrer kleinen Schwester begreifen muss, oder Fitz, die die Trennung ihrer Familie akzeptieren muss - beide müssen lernen, mit dem Schmerz umzugehen, mit dem Gefühl, alleine gelassen zu werden, zu leben. "Man kann alles thematisieren. Wichtig ist aus meiner Sicht nur, dass die Zuschauer nicht hoffnungslos zurückbleiben", sagt Gronemeyer.

Eine Hoffnung gibt es auch für die aufmüpfig-verzweifelte Fitz in "Gips". "Heute bin ich in Adam verliebt" schreibt sie in den Schnee. Und trotzt damit der allgegenwärtigen Kälte. Ob die Buchstaben allerdings am nächsten Tag noch dort stehen, bleibt offen.

Gips - oder Wie ich an einem Tag die Welt reparierte , Freitag, 20. Okt., 19 Uhr, Schauburg, Franz-Joseph-Str. 47

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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