Tanz:Leben im Goldfischglas

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Die junge britische Tänzerin Charlotte Edmonds choreografiert für das Staatsballett. Ein Einblick in ihre Arbeit, ihr Bewegungsvokabular, wie sie die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten nennt - theoretisch und körperlich.

Von Rita Argauer

Einfach mal anfangen, sich zu bewegen. Darin sieht die britische Choreografin Charlotte Edmonds die Quelle ihrer Kunst. Die 1996 geborene Edmonds gehört bereits jetzt zu den gefragtesten Künstlern ihrer Generation. Und vertritt dabei eben auch eine ganz junge, neue Art mit Bewegung und deren Ausdrucksmöglichkeiten umzugehen. Jetzt tanzt das Bayerische Staatsballett erstmals eines ihrer Stücke im Rahmen der Ballettpremiere "Heute ist morgen". Ein Abend für junge Choreografen, neben Edmonds zeigen Özkan Ayik und Emil Faski neue Werke.

Für Charlotte Edmonds selbst sei Bewegung von Kindheit ein Ausdrucksmittel gewesen. In ihrem Kinderzimmer habe sie für ihre Spielsachen choreografiert. Später ging sie auf die Royal Ballet Lower School. Aber auch dort hat sie die choreografische Seite der Tanzkunst mehr interessiert. "Mit elf Jahren fing ich an an Choreografie-Wettbewerben teilzunehmen", erzählt sie. Dann, in ihrem Abschlussjahren habe sie mit 15 und 16 Jahren zwei dieser Wettbewerbe gewonnen. Darin sah sie ihre Chance. Die sie bekam. In der Jury waren Chefs vom Royal Ballet. Sie wurde ins Inaugural Young Choreographer Programm des Royal Ballet aufgenommen. Und begann ihre Karriere auf der anderen Seite der Bühne. Als diejenige, die die Stücke schafft. Nicht die, die sie tanzt.

Bei Choreografen ist das Geschlechterverhältnis genau umgekehrt als bei Tänzern. Dort gibt es viel mehr Männer. Oder wie Edmonds es ausdrückt: Es warteten viele darauf, dass mal eine junge Frau kommt, die choreografiert. Und Edmonds, ohne groß ideologisch zu sein, dachte sich: "Ja, das mach ich jetzt." Auch, weil sie eine Karriere im künstlerischen Bereich schon leidenschaftlich anstrebte. Ihr Stück, dass nun Bayerische Staatsballett tanzt, hat sowohl einen komplexen Hintergrund. Soll aber auch auf einer ganz direkten bewegungssprachlichen Ebene funktionieren. "Generation Goldfish" heißt es. Und die Idee dazu kam ihr im Lockdown, zurückgeworfen in ihrem Zimmer und auf ihren Körper, während die Kommunikation mit anderen nur noch per Bildschirm wie durchs Goldfischglas stattfand. Doch sie geht tiefer. Es ist ja beinahe prägend für ihre Generation, dieses digitale Goldfischglas, ob nun Lockdown herrscht oder nicht: Die Selbstdarstellung über das Internet. Das Konsumieren und Betrachten. Worauf lenkt der Mensch seine Aufmerksamkeit? Sie habe mit einer Neurowissenschaftlerin darüber gesprochen. Jetzt benutzt Edmonds den Tanz, um dieses Feld zu erforschen.

Rein von den Bewegungen und deren Qualitäten ist so ein Goldfischglas eine dankbare Sache. Beinahe wie die Einheit von Zeit, Ort und Handlung im Antiken Drama: Kein Tänzer, besser Fisch, verlässt das Glas, ergo die Bühne. Die Bewegungen sind vom Verhalten des Körpers im und vom Schweben der Fische unter Wasser inspiriert. Die Zuschauer sehen von Außen zu. Doch halt. Es gibt einen Punkt im Stück an dem Das Licht ausgeht, "Blackout" wie Edmonds es nennt, und getreu ihrer Aussage "jeder Mensch choreografiert sowieso wenn er sich bewegt", hoffe sie, dass sich der Tanz und die Bewegungen in den Köpfen der Zuschauer von alleine weiterspinnen werden. Doch wie entsteht aus solchen Gedanken und dem Spüren dieser Bewegungen ein Stück. Während des Lockdowns hatte Edmonds in der Wohnung die Möbel beiseite geschoben und getanzt. Sich selbst dabei aufgenommen. Und dann aus dem Material langsam Phrasen destilliert.

"Das Bewegungsvokabular entwickle ich alleine", sagt sie, doch dann schätzt und braucht sie auch die Arbeit mit den Tänzern und der Kompanie. Mit der spezifischen Körpersprache die sie für ein Stück gefunden hat, geht sie zu den Tänzer, sie improvisieren, daraus entwickelt sich mehr. Und die Zuschauer? Edmonds erzählt von den Reaktionen und Emotionen, die sich körperlich unweigerlich ausdrücken: Zurückweisung oder Flirts. Das verstünden sogar Tiere. Und in dieser Universalsprache liegt die große Stärke des Tanzes.

Heute ist morgen , Donnerstag, 24. bis Sonntag, 27. Juni, 19 Uhr, Prinzregententheater

© SZ vom 24.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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