Buchvorstellung:Balz und Höhenflüge

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Viel mehr als ein Buch über Kunstlieder: Christian Gerhaher stellt sein "Lyrisches Tagebuch" im Literaturhaus vor. (Foto: Florian Peljak)

Lieder und Leben: Der Starbariton Christian Gerhaher stellt sein "Lyrisches Tagebuch" im Literaturhaus vor. Er liest nicht nur Passagen daraus, er singt sie auch.

Von Egbert Tholl, München

Da ist die Geschichte mit dem Tiefflieger. Christian Gerhaher liest sie vor. Er erzählt, dass es dort, wo er herkommt, ein bisschen wie im Wilden Westen sei, der Horizont ist weit, der Sommer heiß. In einem dieser heißen Sommer besuchte Gerhaher einen sehr guten Freund auf dem Bauernhof, wo dieser arbeitete, half selbst ein paar Tage bei der Getreideernte mit. Nach der Arbeit "rauchten sie wie Cowboys", sprachen über Motorräder, und Gerhaher radelte schließlich nach Hause. Aber wenn man sich gut versteht, muss man vielleicht noch mehr besprechen, jedenfalls telefonierten sie am Abend. Und da kam der Tiefflieger. Erst hörte Gerhaher ihn im Telefon, da war er über dem Hof des Freundes. Und dann flog er über Gerhahers Elternhaus. Derselbe Flieger.

Und warum hat Gerhaher das aufgeschrieben? Weil es im romantischen Kunstlied etwas Ähnliches gibt. Da wird zwar die Kommunikation mit einem geliebten Menschen keinem Tiefflieger aufgetragen. Aber der Natur. Zwei können nicht zusammenkommen, sehen aber im selben Moment den Mond an. So ging das vor 200 Jahren. Jetzt kommt ein Tiefflieger oder irgendetwas Digitales. Merke: Das Lied ist Balz.

Das Buch ist lustig, es ist persönlich, es ist philosophisch

Wenn ein Sänger ein Buch geschrieben hat, darf er auch im Literaturhaus auftreten, und das ist dann ausverkauft. Alles daran ist vollkommen richtig, denn Christian Gerhaher hat sein Buch selbst geschrieben - Musiker lassen sich bei solchen Unternehmungen gerne helfen - und das nun erscheinende "Lyrische Tagebuch" ist kaum das, was man von einem Liedsänger, der ein Buch über verschiedene Kunstlieder schreibt, erwarten würde. Es ist viel, viel mehr als alles, was man sich diesbezüglich vorstellte. Es ist lustig - ein Buch über das Kunstlied! -, es ist persönlich, philosophisch, es erklärt und inspiriert, es kreiert ein eigenes Genre.

Eleonore Büning, langjährige und inzwischen ehemalige Musikchefin der FAZ, hat es gelesen. Und sagt dazu: "Das ist so klug, so geil!" Sie plaudert mit Gerhaher, aber eigentlich wäre ihr am liebsten, er läse einfach nur daraus vor. Das tut er, unterstützt dabei seine bereits niedergeschriebene Argumentation mit Tonbeispielen, also er singt, und erklärt das Lied "Die Sennin" und den darin elaboriert auskomponierten Widerstreit zwischen gerade und ungerade, zwischen zwei und drei, zwischen Duolen und Triolen, zwischen Beharren und Tanzen.

Das ist dann fast schon Theater, mit einem herrlich charmanten Hauptdarsteller und einer reizenden Gespielin im Geiste neben ihm. Was Büning und Gerhaher hier anzetteln, wirkt, als sähe man einen Ausschnitt einer grandiosen Aufführung, einfach so aus deren Mitte herausgerissen. Was bleibt? Loslaufen und das Buch kaufen.

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