SZ-Adventskalender:Von Seifenblasen und Glücksgefühlen

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Die Tovertafel regt Menschen mit Demenz zu Aktivitäten an. Das Diakoniewerk hat eine der Spielekonsolen geleast. Im Seniorenheim an der Heßstraße ist sie eine Alternative zu all den Beschäftigungen, die Corona gerade verhindert

Von Franziska Gerlach, Maxvorstadt

Zwei, drei bunt schillernde Seifenblasen, mehr braucht es nicht, um Elisabeth Weber und Gisela Blazejewski, beide in roten Strickjacken, an diesem tristen Vormittag in Schwung zu bringen. Größer und größer werden die Blasen, ihre Konturen dehnen sich, dann zerspringen sie mit einem metallischen Ploppgeräusch. "Gut, Frau Weber. Prima, Frau Blazejewski", ruft Betreuungsassistentin Elena Antoniadis, die das Spiel moderiert. Immer schneller fliegen die virtuellen Seifenblasen nun herbei, die ein Kasten auf den Fußboden im Gemeinschaftsraum des Seniorenwohnheims projiziert. Und die Füße der Seniorinnen folgen ihnen immer schneller. Plopp. Plopp. Plopp.

Begeisterter Einsatz an der Tovertafel: Gisela Blazejewski (links) und Elisabeth Weber beim Puzzeln. (Foto: Stefanie Rose/Diakoniewerk)

Das Bild wackelt, für einen Augenblick sind nur eine Zimmerpflanze und eine Holzkommode zu sehen, dann erscheint wieder Elisabeth Weber auf dem Display. Zum Schutz der betagten Herrschaften in Corona-Zeiten findet die Recherche aus der Distanz statt. Die 89-Jährige ist eine von rund 130 Bewohnern des Heimes, das das Diakoniewerk an der Heßstraße betreibt. Sie schmunzelt, ihre Strickjacke hat sie ausgezogen, denn nach einigen Minuten ist ihr beim Spiel mit der Tovertafel warm geworden. Mache Spaß, sie seien hier ja ohnehin "eine lustige Truppe", sagt sie. Der Hintergrund allerdings ist ein ernster: "Die Tovertafel eignet sich zum Einsatz bei Menschen mit Demenz, aber auch bei Gesunden", sagt Maria Berninger, Leiterin der Sozialen Betreuung im Seniorenheim. Und natürlich hat eine solche Technik ihren Preis. Mehrere Tausend Euro kostet die Spielekonsole, die im Jahr 2015 von einem niederländischen Medizintechnikunternehmen entwickelt wurde; die erste Version entstand im Zuge der Doktorarbeit der Niederländerin Hester Le Riche, seinerzeit Studentin des Fachbereichs Industriedesign an der Technischen Universität Delft sowie der Abteilung Neuropsychologie der Freien Universität Amsterdam. Man habe die Tovertafel in einer Zeitschrift entdeckt, erzählt Berninger, und nach einmonatiger Probezeit entschieden, dass künftig auch die Senioren an der Heßstraße davon profitieren sollen.

Nicht nur der "Glücksmomente im Pflegebereich" wegen, die der Hersteller verspricht. Oder weil die bunten Simulationen die Gehirnaktivität von Menschen mit Demenz anregen. Sondern auch der Pandemie wegen. Die Maßnahmen gegen das Coronavirus haben das Leben der Senioren, die Routine ja lieben, für deren Wohlbefinden soziale Kontakte und Aktivitäten so wichtig sind, sehr verändert. Viele Dinge, die den alten Herrschaften in diesen kontaktarmen Zeiten Freude bereiten würden, sind nicht mehr möglich. Echte Seifenblasen pusten oder Singen zum Beispiel, weil die dabei vermehrt ausgeschütteten Aerosole das Virus übertragen können, das insbesondere für alte Menschen gefährlich ist. Auch Gesellschaftsspiele wie "Mensch-Ärgere-Dich-Nicht" oder Bewegungsspiele mit Bällen mussten von der Liste der Freizeitaktivitäten gestrichen werden - denn alles, was berührt wird, müsste anschließend desinfiziert werden. "Insofern ist die Tovertafel eine gute Alternative", sagt Berninger. Da berührten die Senioren allenfalls die Tischplatte. Mehr als 20 Spiele gibt es, gespielt wird mit Händen oder Füßen, und vielseitig einsetzbar ist die Konsole offenbar obendrein. Die Tovertafel wirke beruhigend auf unruhige Patienten, rege aber auch zu Bewegung an. Und körperliche Bewegung sei einfach wichtig für Menschen mit Demenz. Tue ihnen gut.

"Du kommst mir net aus", sagt Elisabeth Weber und scheucht einen virtuellen Käfer unter raschelndem Laub hervor. Eines ihrer Lieblingsspiele. Doch egal, ob sie mit den Fingern Schmetterlingen nachjagt, Seerosen zum Blühen bringt, Puzzleteile zusammenschiebt oder sich Gedanken darüber machen soll, in welchem Beruf denn die Schreibmaschine von Nutzen sein könnte, deren Bild gerade auf der Tischplatte erscheint - die Seniorin ist hoch motiviert dabei. Bei der Schreibmaschine handelt es sich um ein altes Modell, denn im Idealfall wirken die Spiele aus den Niederlanden wie ein Türöffner zu Erinnerungen, zu denen das Gedächtnis den Zugang eigentlich verweigert. Das nächste Motiv ist ein antiker Wasserkessel. Elena Antoniadis gibt einen Tipp: Diesen Gegenstand könne man gut beim Rendezvous mit der Queen gebrauchen. Richtig, ein Wasserkessel. Dann wird es still. Fast 30 Minuten lang haben die beiden Frauen schon gespielt, die sich im Übrigen ein Zimmer teilen, befreundet sind. Vor allem Gisela Blazejewski wirkt müde. Der Blick der 88-Jährigen ruht auf den Blumen, diesen wunderschönen Blumen, die nun wie in Zeitlupe über den Tisch wehen. Rosa, blau und gelb. Was das für ein Gefühl sei, will Antoniadis wissen. Keine Regung. Wie fühle sich das an, fragt die Betreuungsassistentin noch einmal. Dann scheint plötzlich jemand ein Licht in der alten Dame angeknipst zu haben. "Bewunderung", sagt sie. Ja, genau. Bewunderung.

© SZ vom 21.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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