SZ-Adventskalender:Kontakte einfädeln

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Das Projekt "Die rollenden Nähmaschinen" schafft Netzwerke und ermöglicht Austausch. Und nebenbei lernen die Teilnehmerinnen in Handarbeitskursen, wie man Kleidung oder Geschenke herstellt

Von Johannes Korsche, Freimann

Das ratternde Geräusch, das Nähmaschinen von sich geben, jenes kalt-mechanische "Tacktacktack" klingt an diesem Freitagvormittag durch den Heidetreff Freimann. Alle zwei Wochen ist das so, dann stehen mindestens fünf davon auf dem großen Tisch in der Mitte des Heidetreffs. Drumherum sitzen bis zu acht Frauen, darunter zwei Kursleiterinnen der "rollenden Nähmaschinen", wie das offene Kursangebot heißt. Genäht wird, worauf die sie an dem Tag Lust haben. An diesem Dezembervormittag, draußen wird der Atem bereits winterlich zu Dampf und eine feine, weiße Schicht hat sich auf die Autos und Bäume gelegt, entstehen Kindermützen. Nuray ist nicht zum ersten Mal dabei, erzählt sie. An dem Tisch duzt man sich, für die Zeitung will sie das nicht ändern. Dunkelblau und grau ist die Mütze, die sie für ihren zweijährigen Sohn schneidert. Sie kommt aber nicht nur wegen des Nähkurses. "Wir sind alle Mamis", sagt die 33-Jährige, "da bekommt man Tipps von den Älteren, was man tun kann, wenn zum Beispiel die Kinder krank sind". Das Nähen ist zwar der Anlass für das Treffen, wichtiger sind allerdings die Kontakte und die Hilfe, die sich die Frauen gegenseitig geben.

Bei den rollenden Nähmaschinen im Heidetreff Freimann lernen sich vor allem junge Mütter kennen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Da passt es ganz wunderbar, dass sie sich ausgerechnet beim Nähen treffen. Schließlich ist das maschinelle Rattern ja nur das Akustische. Eigentlich werden dabei mit Nadel und Faden zwei Stück Stoff verbunden, die zuvor nichts miteinander zu tun hatten. Wie bei den Näherinnen, die um den Tisch herum sitzen. "Das Nähen ist vielleicht nur der Beginn, an dem etwas anderes anknüpfen kann", sagt Elke Stamminger, Leiterin des Stadtteilangebots im Heide-Treff. Freundschaften sind da nur ein Beispiel. Nuray und die anderen Besucher erfahren durch das Nähen, kreativ Lösungen zu finden, das sei die Idee dahinter. Durch diese Erfolgserlebnisse könne sich auch der Mut entwickeln, sich für andere Angebote zu öffnen. Wichtig ist Stamminger dabei vor allem, ein offenes Angebot für jeden zu bieten. "Alle Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit haben hier ihren Platz", sagt Stamminger.

Mit Fingerstricken kann man auch das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Der blau-weiße Wollwurm soll den Christbaum schmücken. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Geschichte des Projekts zeigt, was sie damit meint. Die Nähmaschinen standen davor in der Lernwerkstatt Halle 36 in der Bayernkaserne. Weil Agnes Maria Forsthofer von dem Verein Kulturverstrickungen, die in der Lernwerkstatt aktiv war, aus der Halle ausziehen mussten, zogen die Nähmaschinen eben ein paar Hundert Meter weiter in den Heidetreff um. Das Projekt "rollt jetzt hierher", sagt Forsthofer als sie in Stammingers Büro sitzt. Daher auch der Name. Aber diesmal richte es sich nicht ausschließlich an Geflüchtete, wie noch in der Bayernkaserne. Im Heidetreff soll sich "verstricken", wer kommen will - egal, mit welchem kulturellen Hintergrund. Alle gemeinsam sollten "schauen, dass man sein eigenes Umfeld lebenswert macht", sagt Forsthofer. "Es bringt nichts auf Facebook etwas zu posten", sagt sie, "wenn mir dann die kranke Nachbarin egal ist". Forsthofer will lieber die Realität verbessern, als in der digitalen Welt schöne Reden schwingen.

Damit leiste das Projekt auch einen Beitrag gegen den Trend der Individualisierung und der Alterseinsamkeit, stimmt Elke Stamminger zu. Sie denkt dabei auch über das Nähprojekt hinaus und hat das gesamte Angebot des Heidetreffs im Blick. Sie will, dass sich mit der Zeit die Netzwerke im Treff weiten. Dass zum Beispiel die Näherinnen mit den Besuchern des Seniorencafés im Heidetreff ins Gespräch kommen. Bis man sich untereinander so gut kennt, dass man sagt: "Mensch, die kenne ich doch. Die kann ich fragen, ob sie auf mein Kind aufpassen könnte."

Doch damit dieses "Zugehörigkeitsgefühl" zur Nachbarschaft, wie Stamminger es nennt, noch mehr gefördert werden kann, müssten die rollenden Nähmaschinen öfter auf dem Tisch ausgepackt werden. Der Wunsch: Einmal die Woche an einem Tag sowohl am Vormittag als auch am Nachmittag. Oder an Wochenenden. Dann ließen sich auch aufwendigere Nähprojekte angehen. Ja, das wäre perfekt, sind sich Stamminger und Forsthofer. Nur dafür fehlt das Geld.

Was sie mit einem aufwendigeren Projekt meinen, sieht, wer wieder aus dem Büro zum Gruppenraum nebenan geht. Dort, an der Stirnseite der Nähtische, liegen auf weißem Grund unterschiedlich gemusterte Stoffzuschnitte. Angeordnet zu einer bunten Weltkarte, Südamerika mit einem Inka-Muster, Afrika mit Ananas auf gelbem Grund. Auf jedes Land, aus dem die Näherinnen kommen, soll mal etwas Symbolisches aufgenäht werden. Es wird wohl eine bunt bestickte Karte werden. Christiana Madiga hat sich inzwischen auch den Tisch gesetzt und mit dem Fingerstricken begonnen. Die 28-Jährige floh aus dem Senegal. Heute kommt sie fast täglich in den Heidetreff, zum Deutschkurs, zum Frauencafé und eben zum Nähen. "Ich treffe hier neue Menschen und lerne etwas. Das ist sehr gut", sagt sie. Der blau-weiße Wollwurm, den sie mit ihren Fingern strickt, wird an den Christbaum gehängt, der vor dem Heidetreff aufgestellt ist. Ein besseres Bild für das selbstverständliche Miteinander, das sich Elke Stamminger und Agnes Maria Forsthofer wünschen, gibt es wohl nicht.

Inzwischen ist der Vormittag fast vorbei. Und Nurays Mütze nimmt Form an. Dunkelblau mit grauem Rand. "Ich wusste gar nichts in Sachen Nähen", sagt sie mit der fast fertigen Mütze in der Hand. Inzwischen habe sie aber im Zweiwochenrhythmus die Grundlagen gelernt. Auch wenn sie ab und an noch Tipps braucht. "Das muss mir Gudrun noch zeigen, wie es geht, dass man die Naht nicht sieht", sagt Nuray. Wenn sie das könne, "gibt es gleich ein paar Sachen, die ich auch Zuhause noch machen kann". Sie habe sich extra eine Nähmaschine für Zuhause zugelegt.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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