SZ-Adventskalender:Leben mit Narbe

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Tochter und Mutter, Lena und Hanna M., freuen sich, endlich eine eigene Wohnung zu haben. (Foto: Robert Haas)

Jahrelang erduldete Hanna M. die Gewalt ihres Lebensgefährten. Nach zwei Jahren im Frauenhaus hat sie mit ihrer Tochter endlich eine eigene Wohnung. Was fehlt, sind Möbel.

Von Sabine Buchwald

Sie hoffte auf ein glücklicheres und sorgenfreies Leben. Als Hanna M. ihre Sachen packte, um nach Deutschland zu ziehen, war auch eine gehörige Portion Mut im Gepäck. Hanna M. war 30 zu der Zeit. Sie hatte mit 20 schon ihre Tochter Lena bekommen und wollte noch einmal neu anfangen. Sie war neugierig und auch verliebt, als sie den Umzug von Polen nach München wagte. Lena war neun Jahre alt. Sie würde schon Deutsch lernen, dachte Hanna M., und sie selbst sicher auch. Lena spricht Deutsch nun perfekt, aber einfach war es nicht für das Mädchen. Anfangs musste sie eine Übergangsklasse besuchen, weil sie in der neuen Münchner Schule kein Wort verstand. Erst nach einem Jahr in Sendling kam sie dann in die Grundschule in der Nähe ihrer Wohnung. Sie lernte schnell, aber die Schule war nicht das Problem.

Das Problem war der neue Mann der Mama. Zunächst, sagt Hanna M., war noch alles gut. Sie kannten sich aus Polen, sie vertraute ihm. Über eine Zeitarbeitsfirma fand sie bald Arbeit in einer Firmenkantine. Finanziell ging es ihr jetzt besser als in der alten Heimat. Die Kolleginnen und Kollegen waren nett zu ihr. Der Lebensgefährte aber veränderte sich. Er wurde gewalttätig, vor allem wenn er betrunken war. "Er war brutal", sagt Hanna M. Sie hatte Angst vor ihm. Und sie fürchtete, alles zu verlieren. Der Mietvertrag für die Wohnung lief auf ihn. Wohin sollte sie ziehen, in einer Stadt, in der es kaum bezahlbaren Wohnraum gibt? Zurück nach Polen? Lena wieder aus der Schule reißen? Hanna M. biss die Zähne zusammen, wenn er sie schlug. Die blauen Flecken versteckte sie.

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Einmal aber schlug er sie so heftig in den Bauch, dass sie ins Krankenhaus musste. Ihre Milz war gerissen. Fast wäre sie verblutet. Angezeigt hat sie den Mann aber auch dieses Mal nicht. Die Ärzte fragten argwöhnisch, was ihr passiert war. Und sie faselte etwas von einem Fahrradunfall. Sie hatte panische Angst vor ihrem Freund und war froh, dass man ihr glaubte.

Er lebe jetzt nicht mehr in Deutschland, sagt Hanna M., deshalb traue sie sich, ihre Geschichte zu erzählen. Aber nicht mit ihrem richtigen Namen. Mit diesem Namen hat sie Kredite aufgenommen. Für ihn. Die zahlt sie noch immer ab. Irgendwann hat sie dann doch das Nötigste schnell zusammengerafft und ist mit ihrer Tochter geflohen. Eine Freundin habe ihr geholfen, erzählt sie. Zwei Jahre lebten die beiden in einem Clearinghaus und hofften auf eine eigene Wohnung. Die haben sie nun. Eine Sozialwohnung mit Blick ins Grüne. Hanna M. und ihre Tochter fühlen sich wohl in diesem Zuhause.

Eine lange vertikale Narbe teilt ihren Oberkörper

"Es ist vorbei", sagt die blonde zierliche Frau. Sie wiederholt diesen Satz, als ob sie es noch immer nicht glauben könnte. Sie sitzt in ihrer Wohnküche, spricht schnell und fahrig. Ihre blauen Augen sind so groß wie Murmeln. Mit ihnen wollte sie etwas mehr von der Welt sehen. Jetzt, sagt sie, sei sie nach der Arbeit eigentlich fast immer zu Hause. Sie kann im Moment nur noch halbtags in die Firma. Mehr schafft sie nicht, sie hat Gicht und Thrombose im Bein, sie kann nicht mehr lange stehen. "Ich liebe meine Arbeit", sagt sie. Salate vorbereiten, die Spülmaschinen bedienen, es gebe viel zu tun. Dann hebt Hanna M. ihren Pullover hoch. Eine lange vertikale Narbe teilt ihren Oberkörper, die hat sie von dem Milzriss zurückbehalten. Im Mai war sie erneut auf der Intensivstation. Wieder war sie in Lebensgefahr. Diesmal wegen einer Lungenembolie.

Die beiden Frauen sind berufstätig, aber große Sprünge können sie sich mit ihren Einkünften nicht erlauben. Lena würde gerne den Führerschein machen, und eigentlich möchte sie auch eine Ausbildung anfangen. Und ihre Mutter braucht dringend eine orthopädische Matratze. Sie wünscht sich auch ein paar Möbel. Ein Sofa, einen Sessel. Die kleine Küchenzeile könnte auch noch einen Oberschrank vertragen.

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