SZ-Adventskalender:Endlich ein neues Zuhause

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Ebrahim S. lebt nach Jahren der Flucht wieder mit seiner Familie zusammen - jetzt haben sie eine Wohnung, aber es fehlt am Nötigsten

Von Inga Rahmsdorf, München

Zwei Jahre lang hat Ebrahim S. warten müssen, bis er seine Frau und seine Kinder wiedersehen konnte. "Papa, wann kommst du zurück?", fragte ihn sein jüngster Sohn Jan täglich am Telefon. Aber wie konnte er einem zweijährigen Kind das alles erklären? Warum die Familie ihr Zuhause in Syrien hatte verlassen müssen. Warum die fünf Kinder mit ihrer Mutter in einem kleinen Zimmer in Istanbul lebten, in dem es feucht war und es an allem fehlte. Warum Jans Geschwister nicht mehr in die Schule gehen konnten, sondern zwölf Stunden am Tag arbeiten mussten. Und warum sein Vater in der Nähe von München wartete, statt seinen zweijährigen Sohn aufwachsen zu sehen.

Eine Asylunterkunft im Landkreis Starnberg. Seit drei Monaten ist die Familie wieder zusammen und wohnt hier in einem Zimmer. Die 18-jährige Tochter Eiva schenkt Kaffee ein. Sie und ihre beiden jüngeren Brüder können endlich wieder in die Schule gehen. Sie haben in den vergangenen drei Monaten bereits viel Deutsch gelernt. Eiva besucht eine Berufsintegrationsklasse, sie möchte einmal Lehrerin oder Erzieherin werden, wie ihre Mutter.

"Vor dem Krieg hatten wir ein gutes Leben in Syrien", sagt Ebrahim S.. Seine Frau Hievin N. arbeitete als Lehrerin, Ebrahim S. führte in Aleppo ein eigenes Geschäft. Im Erdgeschoss war der Laden, ein Stockwerk darüber wohnte die siebenköpfige Familie. Doch ihr Haus wurde zerstört und sie flohen in die Türkei. Als Flüchtlinge hatten sie dort keine Zukunft, die Kinder konnten nicht zur Schule gehen, keine Ausbildung machen und nicht studieren. "Wir mussten in der Türkei in einer Papierfabrik arbeiten, in Schneidereien und Restaurants", erzählt Eiva. "Zudem hatten wir auf der Straße immer Angst." Als kurdische Syrer hätten sie oft Ablehnung erfahren.

Endlich wieder vereint: Ebrahim S. hat nach zwei Jahren seine Familie nach Deutschland geholt. (Foto: Catherina Hess)

Weil die Fluchtroute mit Schleppern gefährlich und teuer ist, machte sich der Familienvater schließlich alleine auf den Weg von der Türkei aus nach Deutschland. Von dort aus wollte er seine Familie möglichst schnell nachholen. Ebrahim S. hatte gedacht, dass es vielleicht drei Monate dauern würde, bis er seine Kinder und seine Frau wiedersehen würde. Doch es wurden zwei Jahre. Zwei Jahre der Angst und Ungewissheit. Zwei Jahre zermürbendes Warten. Ebrahim S. wurde einer Sammelunterkunft im Landkreis Starnberg zugewiesen. Er stellte zunächst einen Asylantrag, dann den Antrag auf Familiennachzug - langwierige Prozesse. Ebrahim S. hat in dieser Zeit einen dicken Ordner mit Formularen, Anträgen und Schreiben gefüllt. Ein Asylhelferkreis hat ihn unterstützt. "Es war eine schreckliche Zeit", sagt er. Immer in Sorge um die Familie in der Türkei. Tag und Nacht quälte ihn der Gedanke, dass seine Kinder arbeiten müssen, anstatt zur Schule gehen zu können. Er konnte kaum schlafen und erlitt schließlich einen offenen Magendurchbruch.

Ebrahim S. macht eine Handbewegung, als wolle er die Erinnerung an diese Zeit wegwischen. "Aber jetzt ist alles gut, jetzt sind wir zusammen." Fast alle. Für seinen ältesten Sohn galt der Familiennachzug nicht, weil er bereits volljährig war. So machte der 22-Jährige sich ebenfalls auf die illegale Route nach Deutschland. Auch er schaffte es und wurde einer Unterkunft in Sachsen-Anhalt zugewiesen. Noch darf er nicht nach München ziehen, der Antrag auf Familienzusammenführung läuft noch.

Eiva und ihre Brüder sprechen Kurdisch, Arabisch, Türkisch, etwas Englisch und sie lernen Deutsch. Die Jungen besuchen eine Mittelschule. Der 13-jährige Gasan möchte einmal Optiker werden und der 15-jährige Hasan Arzt. "Die Lehrerin der Jungen hat geschwärmt, dass sie so höfliche, interessierte und lernbegierige Jungen sind", sagt Jennifer Eggert. Sie wohnt im Landkreis Starnberg und unterstützt Ebrahim S. bereits seit zwei Jahren als ehrenamtliche Patin. Mit ihrer Hilfe hat die Familie nun auch eine Wohnung in München gefunden. Endlich ein neues Zuhause, sagt Hievin N., nach drei Jahren auf der Flucht sind alle erleichtert. Doch die Wohnung ist leer, es fehlt noch an allem, in der Küche gibt es keine Spüle, keinen Herd oder Kühlschrank und auch keine Waschmaschine.

Ebrahim S. würde gerne als Busfahrer in München arbeiten, oder als Schneider. "Egal", sagt er. "Hauptsache schnell arbeiten und kein Geld mehr vom Jobcenter bekommen." Sobald sie für den jüngsten Sohn einen Kindergartenplatz gefunden haben, möchte seine Frau Hievin N. auch mit dem Deutschkurs beginnen. Sie hofft, in Zukunft wieder als Lehrerin oder Erzieherin arbeiten zu können. Und der vierjährige Jan hat auch schon einen Berufswunsch: "Ich möchte einmal Polizist werden", sagt er.

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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