Streit um Erinnerungskultur:Kippt München das Stolpersteinverbot?

Lesezeit: 4 min

Nach teils heftigen Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern soll der Stadtrat am Mittwoch entscheiden, ob das Verbot in München weiter bestehen bleibt. (Foto: Robert Haas)
  • Schon seit vielen Jahren wird in München heftig darüber diskutiert, ob mit Stolpersteinen an Nazi-Opfer erinnert werden soll.
  • 2004 hat der Stadtrat beschlossen, das Verlegen auf öffentlichem Grund zu verbieten.
  • An diesem Mittwoch, 9 Uhr, müssen die Stadträte erneut über das Verbot entscheiden. So manchem geht es dabei um eine Grundsatzentscheidung über Erinnerungskultur.

Von Martin Bernstein und Andreas Glas, München

Marian Offman sitzt im Restaurant Einstein. Hier isst man koscher, einige Männer tragen Kippa. Offman trägt keine Kippa, sein Haar ist zerwühlt, es ist ja auch zum Haare raufen. Seit Monaten treibt ihn die Stolperstein-Debatte um, seit Monaten ist er aufgewühlt. "Ich laufe langsam Gefahr, in Melancholie zu verfallen", sagt Offman, Jahrgang 1948.

Umso länger er grüble, umso näher rücke das Gedenken an seine Großeltern, Onkel und Tanten, die in der Nazi-Zeit ermordet wurden, die er nie kennenlernen durfte. "Das bedrückt mich immer mehr", sagt Offman, der sich selbst als "überzeugten, stolzen, starken Juden" bezeichnet. Offman hat Brot, Humus und Falafel bestellt, aber viel isst er nicht, er will jetzt reden.

Darüber, dass er selbst keine Stolpersteine für seine Verwandten möchte. Weil er nicht will, dass "die unendliche Demütigung in die Straße eingegraben" werde. Aber auch darüber, dass er diejenigen verstehe, die sich die Steine als Erinnerung für ihre Angehörigen wünschen.

OB Ude ließ die Stolpersteine wieder herausreißen

So wie Peter Jordan. Der 91-Jährige lebt in Manchester und wartet dort auf die Entscheidung des Stadtrats in München. Seine Heimatstadt, trotz allem. Vor mehr als 75 Jahren hat er von dort fliehen müssen. Peter Jordan kam mithilfe von Verwandten nach London. Seine Eltern sah er nie wieder: Am 25. November 1941 wurde das jüdische Kunsthändlerehepaar Paula und Siegfried Jordan bei Kaunas in Litauen erschossen.

Im Frühjahr 2004 erinnerten ein paar Wochen lang zwei Stolpersteine an Peter Jordans Eltern. Der Kölner Künstler Gunter Demnig hatte sie im Gehsteigpflaster der Mauerkircherstraße verlegt. Und der frühere Oberbürgermeister Christian Ude ("Ein Sozialdemokrat - das kann ich nicht verstehen", sagt Jordan) hat sie wieder herausreißen lassen, noch am Nachmittag nach jenem Stadtratsbeschluss, mit dem eine Mehrheit das Verlegen von Stolpersteinen auf öffentlichem Grund in München verbieten ließ.

Der Beschluss gilt bis heute - und geht es nach dem Willen einer Mehrheit aus CSU und SPD, soll er auch nach dem kommenden Mittwoch noch gelten. Peter Jordan weiß, dass die Abstimmung für ihn die letzte Gelegenheit sein wird, die Erinnerung an seine Eltern zu bekommen, die er sich so sehr wünscht.

Der 91-jährige Peter Jordan (li), musste vor 75 Jahren aus München fliehen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

SPD und CSU favorisieren Gedenktafeln

Und Gedenkplaketten an der Hauswand, wie sie die Rathauskoalition haben möchte? Dafür wäre man in jedem einzelnen von vielen tausend Fällen auf die Zustimmung der Hauseigentümer angewiesen. Aller Hauseigentümer. "It would be a lottery", sagt Peter Jordan. Und an so einem Glücksspiel würde er sich nicht beteiligen. Er glaubt, dass nur wenige Hauseigentümer mitmachen würden.

Am Haus in der Mauerkircherstraße 3 gibt es bereits eine Gedenktafel: für Thomas Mann, der von 1910 bis 1914 dort lebte und schrieb. "Sie wollen es gemütlich haben", sagt Peter Jordan über diejenigen, die die Stolpersteine in München bis heute verhindern. "Erinnerungstafeln überall in der Stadt - das würde die Gemütlichkeit stören." Vielleicht hat sich deswegen noch nie ein offizieller Vertreter der Stadt mit dem gebürtigen Münchner Peter Jordan unterhalten.

Künstler Gunter Demnig hat bisher 50 000 Stolpersteine verlegt

Mit Gunter Demnig übrigens auch nicht. Der 67-Jährige sitzt in einer Pizzeria in Langenselbold nahe Frankfurt. Er ist auf der Durchreise, wie fast immer. Um Stolpersteine zu verlegen. Er habe das Gedenken industrialisiert, wirft man ihm vor. Doch selbst die 50 000 bisher verlegten Stolpersteine dokumentieren ja nur einen winzigen Ausschnitt des in Deutschland verübten Massenmords. "Und die Stolpersteine zeigen, wo es angefangen hat", sagt Demnig. Im Alltag, beim Wegschauen.

Demnig muss hinschauen, ganz genau. Die Stolperstein-Gegner warten nur auf Fehler. Sie schildern ihn als gefühlskalten Gedenk-Berserker, der sich nicht um Angehörige und deren Gefühle kümmere. Im persönlichen Gespräch ist Demnig zurückhaltend, fast schüchtern. "Wenn Angehörige Nein sagen, wird definitiv nicht verlegt", sagt er. Er erzählt, wie Familien, die nach der Schoah über die ganze Welt verstreut wurden, bei Stolperstein-Verlegungen zum ersten Mal wieder zusammenkamen. Es ist einer der wenigen Momente, in denen seine Augen leuchten. Und wenn er vom Engagement junger Leute erzählt.

Seit 1997 verlegt der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine. (Foto: REUTERS)

Zwischen Gegnern und Befürwortern herrscht oftmals Nichtverstehen

Auch in München waren es Schüler vom Luisengymnasium, die den Anstoß gaben, an Peter Jordans Eltern zu erinnern. Es sei einer der wichtigsten Tage in seinem Leben gewesen, erinnert sich Jordan noch heute an die Verlegung vor elf Jahren.

Vor Jahren, erzählt Jordan, habe er mit Charlotte Knobloch, der erklärten Gegnerin der Stolpersteine, gesprochen. "Es war ein gegenseitiges Nichtverstehen." Jordan sagt, er respektiere Knoblochs persönliche Haltung. Und meint damit: Respektiert doch bitte auch meine Gefühle und die so vieler anderer, die es sich wünschen, dass an ihre ermordeten Angehörigen mit Plaketten im Straßenpflaster erinnert wird. Weil für sie das Andenken dadurch nicht mit Füßen getreten wird, sondern weil das Stolpern, Stehenbleiben, der Blick auf die Messingplakette im Boden so zu einer Verbeugung vor den Opfern wird.

Die Vorstellung, dass die Stolperstein-Debatte am Ende nicht allen gerecht wird, tue ihm "in der Seele weh", sagt Marian Offman. Für ihn geht es längst nicht mehr um die Frage, ob es nun Stolpersteine geben soll oder nicht. Es ist eine andere Sorge, die ihn quält. Die Sorge, dass die Stolperstein-Debatte ausgerechnet diejenigen spaltet, die ein gemeinsamen Ziel haben: der Ermordeten des Nationalsozialismus zu gedenken.

CSU-Stadtrat Marian Offmann stimmt mit über das Verbot ab. (Foto: Stephan Rumpf)

Stadtrat Offmann will die Erinnerungskultur bewahren

"Dass sich Leute streiten, die eigentlich das gleiche wollen, ist doch widersinnig", sagt Offman. Er fürchtet, dass am Ende diejenigen profitieren, die überhaupt kein Gedenken mehr wollen. Und das seien viele, sagt Offman. Erst kürzlich habe er in der Zeitung gelesen, dass 70 Prozent der Deutschen finden, es werde zu viel über den Holocaust gesprochen.

Die Opfergruppen, sagt der Stadtrat, sollten gemeinsam dagegen kämpfen, dass die Erinnerungskultur verloren gehe. "Stattdessen blockiert man sich gegenseitig und streitet ziemlich heftig. Das ist tragisch, das macht mich traurig", sagt Offman, der für die CSU im Stadtrat sitzt und kommenden Mittwoch darüber abstimmen soll, ob es in München Stolpersteine geben soll oder doch besser Tafeln und Stelen.

Wie er dann abstimmen wird, wisse er noch nicht, sagt Offman. Seine Fraktion wird sich ziemlich sicher gegen die Stolpersteine aussprechen, er selbst wolle aber seine eigene Entscheidung treffen. "Ob es nun Gedenkplatten an der Wand oder am Boden gibt - beides ist ein Gedenken an die von den Nazis ermordeten Opfer", sagt Offman.

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: