Die drei Tomaten legt Beatrix von Storch vor sich auf das Rednerpult. Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende hat am Samstagnachmittag fünf Minuten auf der Wahlkampfveranstaltung ihrer Partei gesprochen, als die Tomaten geworfen werden, sie aber nicht treffen. Von Storch stockt kurz, lächelt dann und spricht weiter. Es ist der einzige kritische Moment an diesem Nachmittag, an dem laut Polizeiangaben etwa 120 Teilnehmer der AfD-Kundgebung innerhalb einer Absperrung von mindestens 2000 Gegendemonstranten umringt waren. Diese schreien, pfeifen, trompeten und trommeln eine Stunde lang so laut, dass man in den hinteren Reihen auf dem Marienplatz die Sätze der Politikerin nicht versteht.
Etwa eine Viertelstunde vor dem geplanten Beginn der Veranstaltung stehen bereits Hunderte Menschen um die von der Polizei errichteten Absperrung und halten Plakate und Schilder hoch. Über die sozialen Netzwerke hatten sich Tausende angekündigt. Auf den Plakaten sind Sätze zu lesen wie "Sogar Helene Fischer hasst die AfD", "Hass macht hässlich", "Na, auch die Beatricks durchschaut?", "Ihr seid also der Grund, warum Aliens keinen Kontakt zu uns wollen" oder "AfD wählen ist so 1933". Samstags-Einkäufer schlendern vorbei und erkundigen sich, was da wohl gleich passieren wird, auf einer kleinen Bühne steht ein Pult bereit, zwei Zelte mit dem Parteilogo der AfD sind aufgebaut, Storch steht hinter der Bühne und wartet.
Jakob Landsberger, 22, steht mit einem Freund etwas abseits und sagt: "Ich bin hier, weil ich mir das Wahlprogramm der AfD durchgelesen habe und die Ansichten komplett falsch finde." Er habe als Krankenpfleger viel mit ausländischen Patienten zu tun und bekomme mit, wie die sich Sorgen machen würden "über die Entwicklung mit der AfD". An einer Zugangsstelle zum Innenraum steht Rainer Schießler. Der Pfarrer aus der angrenzenden Kirche Heilig Geist hat eine kleine schwarze Fernbedienung in der Hand und sagt: "Wenn es gleich losgeht, schalte ich meine Glocken an." Als es dann losgeht, reicht allerdings die Funkverbindung nicht für das Auslösen der Glocken. Aber auch ohne Unterstützung der Kirche wird es so laut auf dem Marienplatz, als der erste Redner, AfD-Kreisverband München-Nord-Vorsitzender Michael Groß ans Pult tritt, dass es in den Ohren pfeift.
"Nazis raus"-Rufe gellen von außen, innen hält einer der etwa 120 Teilnehmer der Veranstaltung ein Plakat hoch mit "Schluss mit dem permanenten Rechtsbruch - Merkel muss weg". Die Polizei, die mit 130 Beamten im Einsatz ist, hält Teilnehmer und Gegendemonstranten auf Abstand, es gibt vereinzelt ein paar kurze hitzige Diskussionen, aber ansonsten vor allem viel Protest in Form von vielen Dezibel. Als Beatrix von Storch dann dran ist, spricht sie von "einem wunderbaren Empfang", das sei wirklich eindrucksvoll. "Wenn ihr glaubt, dass ihr uns damit klein macht - damit macht ihr uns stark und groß." Von Storch wählt das Provozieren statt Ignorieren. "Fangt nicht an zu schwächeln", ruft sie den Gegendemonstranten zu, um dann nach zehn Minuten zu konstatieren: "Ihr lasst nach."
25 Minuten lang spricht sie - zum Einstieg kurz über Migration, die Fehler, die alle anderen Parteien machten, und die Gefahr der Islamisierung. Zu dem Zeitpunkt stehen die Gegendemonstranten mit ihren Dutzenden Plakaten und Hunderten "München ist bunt"-Karten bis beinahe zum Alten Peter. Erst als die 47-Jährige in einem schwarzen Van vom Marienplatz gefahren wird, legt sich das Pfeifkonzert langsam. Laut eines Polizeisprechers verlief die Veranstaltung "weitgehend friedlich und ohne Störung". Die Glocken von Heilig Geist läuten dann doch, aber nur zur vollen Stunde um 15 Uhr und es bleibt weiter laut. Gegendemonstranten pfeifen und skandieren noch beim Abbau der Bühne, mehr als eine Stunde lang.