Stefanie Sargnagel:"Das ist aus Wien, das ist böse, das gehört so"

Lesezeit: 3 min

Die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel. (Foto: Theresa Bitzan/Apollonia)

Gewohnt selbstironisch und unverblümt berichtet die Österreicherin Stefanie Sargnagel in ihrem Buch "Dicht" über ihr Leben. Bald liest sie im Münchner Volkstheater - und erzählt vorab von Schreibprozess, Cartoons und warum ihre Werke in Bayern gut ankommen.

Von Sandra Langmann, München

Wenig Schlaf, ungesundes Essen, viele Zigaretten und Alkohol. "Meistens wiege ich danach fünf Kilo mehr und sehe deutlich älter aus." Horrortrip oder Lesereise? Wohl eine Mischung aus beidem. "Aber mit Denice Bourbon und Christiane Rösinger lache ich auch sehr viel auf Tour." Gerade ist Stefanie Sargnagel mit ihrem Coming-of-Age-Roman "Dicht - Aufzeichnungen einer Tagediebin" auf Lesereise in Österreich und Deutschland unterwegs. Eine Station ist dabei seit jeher das Münchner Volkstheater.

Wenn die Wiener Schriftstellerin und Cartoonistin in den Zug steigt und deutschen Boden betritt, recherchiert sie entweder über das Oktoberfest - "Am Wiesnrand" brachte 2020 die Regisseurin Christina Tscharyiski auf die Volkstheater-Bühne - oder sie liest aus ihren Büchern. "Dicht" ist mittlerweile ihr sechstes Buch und ihre erste Biografie. Ist es mit 35 Jahren nicht ein bisschen früh, um sein Leben Revue passieren zu lassen? "Ich wollte immer schon die Figuren porträtieren, die mich in meiner Jugend geprägt haben." Den meisten Platz räumt sie Michael, 40 Jahre, Alkoholiker, ein, in dessen Wohnung sie die meiste Zeit verbrachte. Ein skurriler Freiraum, der für sie zum besonderen Ort wurde. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis jemand über Michis Wohnung schreibe.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Gewohnt selbstironisch und trocken, offen und unverblümt berichtet Sargnagel über Schmusereien, Kiffen im Park, Grasbeschaffung im Wiener Beisl und lässt ihre Leser und Leserinnen nah ran. Ehrlichkeit ist ihr wichtig. Zugleich durchleuchtet Sargnagel das österreichische Bildungssystem, das als veraltet und unzeitgemäß nicht gut wegkommt. "Die soziale Selektion, die in Österreich sehr früh stattfindet, halte ich für unsinnig aus vielen Perspektiven. Wie viele Talente da auf der Strecke bleiben, nur weil die Eltern keine Akademiker sind und es keinen Raum für Förderung gibt, wenn man sich Privatnachhilfe nicht leisten kann."

Stefanie Sargnagel ist Tochter einer Krankenschwester und eines Installateurs. Schon früh merkte sie, dass sie in ihrer Schule als angehende Künstlerin auf wenig Verständnis stieß und verstand sich gut darin, sich vor dem Unterricht zu drücken. Auf die Akademie der Bildenden Künste schaffte sie es dann doch irgendwie.

Das Café Weidinger in Ottakring ist ihr Arbeitsort

Druck braucht sie aber, wenn es ums Schreiben geht. Das weiß jeder und jede, der der Meisterin des Prokrastinierens auf Social Media folgt. "Zum einen bin ich sehr mitteilungsbedürftig. Ein Oversharer. Zum anderen ist meine Motivation zum Schreiben eine sehr direkt kommunikative." Heißt also, sie braucht einen Raum, in dem sie sich "sozial überwacht" fühlt. Den findet sie im Café Weidinger in Ottakring, "zwischen Lugner und Rotlichtmilieu" wie das Wiener Stadtmagazin Stadtbekannt titelt. "Es gibt kein Internet und abends trudeln manchmal Bekannte ein, mit denen man sich bei einem Bier für die Arbeit belohnen kann."

Aufgewachsen ist Stefanie Sargnagel ohne Social Media. Ob das ihre Jugend beeinflusst hätte? "Ich denke, ob Social Media oder nicht, die Jugend hat ein Bedürfnis sich zu treffen. Ich persönlich denke, ich hätte wohl schon früher mehr Cartoons gemacht, weil man leicht ein Publikum findet." Cartoons zeichnet Sargnagel für die österreichische Wochenzeitung Falter. Manchmal albern und absurd, dann wieder politisch und satirisch. "Da wechsel ich gerne." Ob der Altkanzler mit roten Wangen oder ein Corona-Virus mit FPÖ-Schild, das für Vielfalt und Toleranz demonstriert. Dank zahlreicher Polit-Skandale geht ihr der Zeichenstoff nicht aus. Oder wird man dem ganzen Chaos als Wienerin irgendwann doch überdrüssig? "Es ist schon schön, das Trugbild Sebastian Kurz endlich bröckeln zu sehen und das auch ganz Österreich das wahre Gesicht dieser ÖVP sieht."

Über ihren Oktoberfesttext hat sich in Bayern keiner aufgeregt

Stefanie Sargnagels Werke kommen in Bayern gut an. Gemeinsamkeiten gebe es genug: "Die Dialektfamilie, das Bäuerliche, das Konservativ-Chauvinistische, der Katholizismus. Eine gewisse Derbheit im Humor ist in beiden Regionen vorhanden." Mit dem Unterschied, dass in Österreich noch das Morbide, Gemeine dazukomme. "Mein Oktoberfesttext sorgte zum Beispiel für null Empörung in Bayern, man konnte einordnen: Das ist aus Wien, das ist böse, das gehört so, so sind die halt."

An Morbidem und Gemeinem mangelt auch in "Sargnagel - Der Film" nicht. Eigentlich sollten aus ihren Social-Media-Tagebücher "Fitness" und "Statusmeldung" ein Spielfilm werden. Über Jahre wurde das Projekt aber nicht gefördert, und am Ende wurde daraus ein Mockumentary-Konzept. Vielleicht geht's jetzt als Schauspielerin weiter oder schreibt sie doch bald eine Biografie über das Leben von Bela B. Felsenheimer, der den Wunsch geäußert hat? "Warum nicht? Ich finde jedes Leben erzählenswert." Allerdings macht Sargnagel ungern Pläne. Erstmal holt sie die Dicht-Lesungen nach, und danach würde sie sich, wie sie es jedes Jahr sagt, gerne zur Ruhe setzen. "Weil ich, wie alle intelligenten Menschen, nicht arbeiten will, aber dann sag' ich aus Eitelkeit doch wieder zu viel zu.

Stefanie Sargnagel: "Dicht - Aufzeichnungen einer Tagediebin", So., 21. Nov., 20 Uhr, Münchner Volkstheater .

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSerie: Licht an mit Stefanie Sargnagel
:Gammeln, Snacken, Masturbieren

Frühjahr und Sommer waren noch sehr in Ordnung. Aber jetzt werden die Leute mürbe. Eindrücke aus der Dunkelheit daheim in Wien.

Gastkommentar von Stefanie Sargnagel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: