Requiem:Über sich hinausgewachsen

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Die Sopranistin war zwar kurzfristig erkrankt, doch Sul Bi Yi und das Vokalensemble Fünfseenland meisterten den Abend dennoch. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Chorleiterin Sul Bi Yi gelingt mit dem Vokalensemble Fünfseenland in Wörthsee ein traurig-schönes Konzert zu Ehren des Komponisten Gabriel Fauré.

Von Reinhard Palmer, Wörthsee

Die charismatische Südkoreanerin Sul Bi Yi bleibt im Fünfseenland weiterhin zwar glücklos, aber längst nicht erfolglos. Mit ihrer Qualifikation als mehrfach ausgezeichnete Kirchenmusikerin, Konzertorganistin, Chorleiterin und Kapellmeisterin brachte sie ein enormes Potenzial in die Region, konnte es aber bisher immer noch nicht im vollen Umfang in Szene setzen. Als sie 2016 nach längerer Vakanz nach Andechs kam, waren die Choristen bereits ihrem früheren Chorleiter Anton Ludwig Pfell nach Herrsching gefolgt, sodass ein gänzlicher Neuanfang nötig war. Nachdem ihre Stelle bald eingespart wurde, übernahm sie Ende 2019 das Vokalensemble Fünfseenland, einen zu diesem Zeitpunkt veritablen Klangkörper, der zuvor unter der Leitung von Andreas Schlegel (früher Sczygiol) sogar bei "Oper in Starnberg" mitwirkte.

Bis Corona kam. Einige Choristen sprangen ab, die Verjüngung war nicht möglich, nun sind die Reihen gelichtet. Aber Sul Bi Yi lässt sich weder beirren noch unterkriegen. Das nun in der Kirche zum Heiligen Abendmahl in Wörthsee präsentierte Fauré-Programm des Vokalensembles mit Gastchoristen war unter den ungünstigen Umständen geradezu eine Meisterleistung. Die Sopranistin war kurzfristig erkrankt, doch konnte Yi der großen Baritonstimme von Manuel Kundinger mit der eingesprungenen Julia-Sophie Kober einen adäquaten Sopran gegenüberstellen.

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Mit fünf Streichern und Orgel ging sie mit der Minimalbesetzung ans Werk, aber schließlich kommt es auf die Qualität der Musiker an. Der 100. Todestag von Gabriel Fauré in diesem Jahr ist ein guter Aufhänger, den musikalisch eigenwilligen Franzosen zu ehren, doch für ein Amateurensemble bleibt das ein Wagnis. Seine grandiose Musik fordert vom Chor eine feinsinnig changierende Farbigkeit, die Fähigkeit, weite Rücknahmen immer noch substanzvoll auszusingen, zudem in den voluminösen Höhepunkten die musikalische Wärme beizubehalten. Kurzum: Faurés Musik klingt nur dann gut, wenn die Choristen professionelle oder über sich hinauswachsende Amateure sind. Um es vorwegzunehmen: Sie stemmten die Aufgabe.

Mit ihrem überaus musikalischen, nahezu tänzerischen Dirigat vermochte Yi die nötige subtile Detailarbeit den großen Gedanken unterzuordnen und Kontrastwirkungen einer nahtlos-plastischen Formung zu unterziehen. Die lyrisch-elegischen, weitgespannten Bögen, die Fauré schon sehr früh anzulegen verstand, wären sogar eines nordischen Komponisten würdig. Großartig nachvollziehbar auch in "Après un rêve", mit dem Simona Venslovaite (Violine) und Vittorio Vanini (Orgel) als Zwischenmusik mit sehnsuchtsvoller Melodik das Publikum verzauberten.

Fauré gilt als der Vater der Impressionisten

Begonnen hat das Konzert mit einer Möglichkeit für Yi, ihre Auffassung von Faurés Musik gleich in den ersten Tönen zu offenbaren. "Cantique de Jean Racine" op. 11 ist zwar eine Studentenarbeit eines 20-Jährigen, doch schon ein gänzlich selbständiges Werk, in dem Yi Fauré als den zart kolorierenden geistigen Vater der Impressionisten vorstellte. Das sehr behutsame und in einer weiten Entwicklung allmählich hervorgehende Aufblühen des Klangs und der Substanz waren hier schon angelegt. Das luftige Spiel mit hauchdünnen Klanglasuren konnte man erahnen. Den begleitenden Klavier- bzw. Orgelpart hatte der Brite John Rutter für Streicher und Harfe (hier Orgel) arrangiert, worin allerdings das elegische Element den Vorzug bekam.

Den impressionistischen Ansatz fand Sul Bi Yi deutlicher im Hauptwerk dieses Konzerts: Requiem op. 48. Es ist zweifelsohne eine der berührendsten Totenmessen in der Musikliteratur. Beim versöhnlichen Ansatz war daher kein Platz für den üblichen Zorn Gottes (Dies irae), dafür für ein tröstliches "In paradisum" aus den Exequien, der kirchlichen Begräbnisfeier. Trotz des impressionistisch-sinnlichen Zugriffs ließ Yi dennoch keine Seichtheit zu und inszenierte auch die dramatischen Momente nachdrücklich. Vor allem aber gelang ihr eine hochemotionale Dramaturgie, in der Kontraste ohne harte Zäsuren auskamen. Das wogende Auf und Ab, das Fauré ungeheuer effektvoll in der Musik angelegt hatte, geschah hier nahtlos und überaus plastisch in einem behutsamen Hervorgehen wie verklingendem Entschwinden.

So eingebettet vermochten Kundinger und Kober ihre Soli ausgesprochen schön und in berührender Innigkeit in Szene zu setzen. Dem Höhepunkt mit dem "Libera me" im Wechsel von Bariton und Chor gelang auch die nötige subtile Dramatik, um mit dem Versprechen des Paradieses einen erlösend versöhnlichen Schlusspunkt zu setzen.

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