Kultur:Gesamtkunstwerk mit Kappe

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So kennen ihn die Fans: Der "Tiger Willi" plaudert bei einem Auftritt. (Foto: Georgine Treybal)

Wilhelm Raabe aus Steinebach, der "Tiger Willi", wird am Sonntag 70 Jahre alt.

Von Astrid Becker, Wörthsee

Er ist einer, der immer Herz bewiesen hat - für die Schwachen, die Unterdrückten, für die, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen: Wilhelm Raabe, den wohl die meisten nur als "Tiger Willi" kennen. Am Sonntag wird der gebürtige Steinebacher 70 Jahre alt - und ein Wunsch, den er vielleicht äußern würde, wenn er könnte, wäre vermutlich, diesen Tag dort zu verbringen, wo er aufgewachsen ist, im Kirchenwirt mitten im Ortszentrum. Doch im vergangenen Jahr ist "Raabes Wirtshaus", wie es lange auch hieß, an die Gemeinde verkauft worden.

Seit 1911 war die Wirtschaft im Besitz der Familie Raabe. Großvater Carl hatte sie damals erworben. Später führten das Lokal die Eltern vom Tiger, der in seiner Kindheit nur Helmi genannt wurde. Als der Tiger 15 Jahre alt war, starb der Vater, mit 18 Jahren verlor er auch die Mutter. Das Gasthaus selbst zu führen, kam für den gelernten jungen Metzger nicht in Frage. Das Gasthaus wurde verpachtet. Doch der Tiger Willi ging deshalb nicht fort. Er wurdegewissermaßen zum Stammgast im eigenen Lokal, das für ihn immer eine Art Wohnzimmer war. Früher saß er dort gern und erzählte von seiner Kindheit oder prominenten Gästen wie Franz Beckenbauer oder auch einem RAF-Mitglied, Günter Sonnenberg, der 1977 im Raabe übernachtete.

Eines Tages kam Wilhelm Raabe mit Goethe, Schopenhauer oder auch Adorno in Berührung und beschloss, dass es mehr geben musste im Leben als das Metzgerdasein. Im Alter von 27 Jahren holte er damals das Abitur nach und studierte anschließend Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie und Sozialpädagogik. Bis er in Rente ging, betreute er junge Handwerker im Wohnheim des Bayerischen Bauindustrie Zentrums in Stockdorf.

Vor ihnen trat der Mann, der immer ein Käppi trug, unter anderem auch auf: "Sie mögen meine Lieder", erzählte er immer wieder gern. 19 Jahre war er alt, als er seinen ersten Text schrieb und die Musik dafür komponierte: den "Isele Rock", benannt nach seinem Lehrherrn. Viele Lieder sind es dann geworden, Texte, Gedichte, mit denen er in seinem Wirtshaus auftrat, aber auch auf diversen Kleinkunstbühnen der Stadt, im Theater im Fraunhofer oder auch im Heppel & Ettlich war er öfter zu hören. Fünf CDs nahm er auf, Kritiker lobten ihn als Gesamtkunstwerk, als Philosophen, der stets die fleischliche Lust auf seine ihm recht eigene, teils skurrile, teils recht direkte Art thematisierte oder verstörende Geschichten über die Geschundenen in dieser Welt erzählte. Er sang vom Mond, der "a geile Sau ist" oder auch vom Lonely Boy. Gleich mehrmals wurde er dafür ausgezeichnet. Mittlerweile ist es ruhig geworden um den fein- und hintersinnigen Künstler. 2011 ist er an Alzheimer erkrankt.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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