Wirtschaft:Klischee ade!

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Beim Girls' Day im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) dürfen die Schülerinnen einen Flugsimulator testen. (Foto: Arlet Ulfers)

Schülerinnen programmieren Roboter, Jungs arbeiten in der Kita. Der Girls' Day und der Boys' Day sollen mit Geschlechterklischees in Berufen aufräumen. Aber funktioniert das wirklich?

Von Leopold Beer, Weßling/Gilching

Ob das klappt? Konzentriert beugen sich Marlene und Isabelle über einen kleinen Roboter. Ihr Ziel: Das Mini-Fahrzeug soll die Lichter einschalten und auf einer schwarzen Linie fahren. Gar nicht so einfach. Daher bekommen die Achtklässlerinnen Unterstützung von Sonja Matuska, studentische Hilfskraft am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen. Im Gegensatz zu Matuska sind Marlene und Isabelle keine Expertinnen im Programmieren - zumindest noch nicht. Aber als Teilnehmerinnen des Girls' Day können sie diesen Beruf für einen Tag ausprobieren.

Ziel der Aktion, die es für Jungen wie für Mädchen gibt, ist es, dass junge Menschen einen Tag lang in Berufsfelder hineinschnuppern können, in denen Frauen oder Männer unterrepräsentiert sind. Bundesjugendministerin Lisa Paus (Grüne) erklärt den Hintergrund des Projekts: "Klischees in Arbeitswelt und Gesellschaft verhindern, dass sich junge Menschen frei entfalten." Der bundesweite Aktionstag soll dazu beitragen, dass sich junge Menschen "bei der Berufswahl an ihren persönlichen Stärken und Interessen orientieren können".

Isabelle interessiert sich schon lange für Weltraumtechnologien. Dass das oft noch eine Männerdomäne ist, stört sie nicht. "Davon lasse ich mich nicht aufhalten. Ich muss ja keine Rücksicht auf die Männer nehmen", erzählt sie und grinst. Neben ihr sitzt Emma. Sie findet es "cool", dass immer mehr Frauen in technischen Berufen arbeiten. Viel wichtiger sei jedoch etwas anderes: "Das eigentliche Problem ist, dass Frauen für den gleichen Job schlechter bezahlt werden als Männer." Neben dieser Ungleichheit, auch bekannt als Gender-Pay-Gap, stören die Teilnehmerinnen des Girls' Day auch Alltagsklischees. "Mädchen mögen nicht immer rosa. Ich mag blau viel lieber", erzählt Marlene.

Klischees aufzubrechen ist einer der Gründe, weswegen das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen seit 2004 jährlich seine Türen für den Girls' Day öffnet. Das Programm für die 24 Schülerinnen an diesem Tag ist abwechslungsreich: Die Mädchen programmieren einen Roboter, fliegen im Flugsimulator ein Forschungsflugzeug, überwachen einen simulierten Raketenstart in einem Kontrollzentrum und erlernen die Funktionsweise von Satellitennavigation. Das Forschungszentrum möchte auf diese Weise Talente fördern und für Nachwuchs in den eigenen Reihen sorgen. Nicht ganz uneigennützig, wie Dieter Hausamann vom DLR School Lab zugesteht. Denn irgendwoher müssen die Astronautinnen und Forscherinnen von morgen ja kommen.

Marlene und Isabelle beim Programmieren des Roboters (Foto: Arlet Ulfers)

Während Hausamann in Oberpfaffenhofen die Schülerinnen fürs Weltall begeistern will, bemüht man sich keine 500 Meter Luftlinie entfernt in der "Denk mit Kita" in Gilching um männlichen Nachwuchs. "Da ist was hinter deinem Ohr", sagt der Sechstklässler Henri und zaubert einen kleinen Ball hervor. Die Kinder der Gruppe Wolkenzwerge klatschen, lachen und springen um den Schüler herum. Im Rahmen des Boys' Day verbringt Henri gemeinsam mit seinen Freunden Gregor, Raphael und David einen Tag als Erzieher in der Kinderkrippe. Auf diese Weise lernen die Jugendlichen einen überwiegend von Frauen ausgeübten Beruf kennen. Bundesweit sind in der Kinderbetreuung nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit weniger als 20 Prozent der Belegschaft männlich. In der Einrichtung in Gilching arbeitet kein einziger Erzieher.

Das stört Nicola Pfeiffer. Sie ist seit einigen Jahren Erzieherin in der Betreuungseinrichtung in Gilching. Über männliche Unterstützung im Team würde sie sich freuen. Denn das gäbe eine neue Perspektive auf viele Themen. Zwar ändere sich in dieser Hinsicht schon etwas, doch das sei noch lange nicht genug. Angesichts der unzureichenden Bezahlung arbeite in der Erziehung von Kindern nur, wer den Beruf liebt. Und das sind den offiziellen Zahlen zufolge offenbar eher Frauen. Vielleicht liegt das daran, dass manche gar nicht wissen, was alles zur Arbeit in einer Kita gehört. Pfeiffer jedenfalls sieht da Nachholbedarf. "Wir wollen mehr gesehen werden und mehr Transparenz über das, was wir hier leisten", sagt sie. Dafür eigne sich der Boys' Day gut, denn "die Jungs sind interessiert, was wir wirklich machen."

Nach ihrem Einblick in die Berufswelt der Erzieher kritisieren die Jungs vor allem die schlechte Bezahlung. Von den knapp 3200 Euro brutto im Monat, die Erzieher bei einer 40-Stunden-Woche in Deutschland durchschnittlich verdienen, könne man kaum eine Familie ernähren. Und das, obwohl "gerade dieser Beruf super wichtig für uns als Gesellschaft ist", wie Gregor erläutert.

In der "Denk mit Kita" schaut Henri gemeinsam mit den Kindern der Gruppe Wolkenzwerge Bilderbücher an. (Foto: Arlet Ulfers)

Doch Erzieher seien nicht die Einzigen, die sich für die Gesellschaft einbringen. Die Teilnehmer des Boys' Day stört die häufig vorgenommene Bewertung der Berufe nach ihrem vermeintlichen sozialen Mehrwert. "Auch ein Bauarbeiter macht etwas Soziales", bringt es David auf den Punkt. Denn er baue Wohnungen, Häuser, Kindergärten, Schulen und Sporthallen und kümmere sich so um die Bedürfnisse und das Wohlergehen aller.

Die Schüler beobachten, dass sich viele Rollenklischees Tag für Tag in Alltagssituationen manifestieren. David erzählt: "Wenn wir zu Hause eine Lampe reparieren müssen, ruft meine Mama immer meinen Papa. Denn das sei der Job des Mannes." Henri ergänzt, dass auch in der Schule immer nur "starke Jungs" als Unterstützung zum Tragen gesucht würden.

Mit mehr als 23 000 Angeboten für insgesamt 175 000 Teilnehmende verzeichneten der Girls' Day und Boys' Day dieses Jahr einen Rekord. Marlene und Isabelle haben den Roboter schließlich zum Fahren gebracht. Das Tempo haben sie auf maximale Geschwindigkeit eingestellt. Das Aufbrechen von Rollenklischees geht hingegen langsamer voran. Und es findet im Kleinen statt. Tag für Tag. Zum Beispiel beim Reparieren von Lampen.

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