Öffentlicher Nahverkehr:Unterwegs im Namen der Verkehrswende

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Abfahrbereit (von links): Zekeriya Ceyhanli vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der Starnberger Landrat Stefan Frey, MVV-Chef Bernd Rosenbusch und Wirtschaftsförderer Christoph Winkelkötter. (Foto: Nila Thiel)

Bei einer Tour betonen Vertreter von Politik und Wirtschaft die Bedeutung von Bus und Bahn. Doch was ist zu tun, um auch Berufspendler zu bewegen, das Auto für den Weg ins Büro stehen zu lassen?

Von Linus Freymark, Weßling

Irgendwo zwischen Gilching und Gauting wird die Miene von Stefan Frey auf einmal ernst. Eigentlich hat der Starnberger CSU-Landrat gute Laune an diesem Donnerstag. Es ist ja auch ein schöner Termin: Ein bisschen Bus fahren, Hände schütteln, Smalltalk führen. Es gibt unangenehmere Tage im Terminkalender eines Kommunalpolitikers - wenn da nicht der ernste Hintergrund wäre, weswegen Frey auf der Buslinie X910 unterwegs ist: die Verkehrswende im öffentlichen Nahverkehr. Denn die ist teuer und aufwendig. "Das ist alles ganz schön schwierig", sagt Frey.

Damit das Angebot besser genutzt wird, will Frey ein bisschen Werbung machen. Mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft geht es deshalb auf der X910 vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und den Campus Oberpfaffenhofen über das Gewerbegebiet Gilching zur Asklepios-Klinik in Gauting und weiter nach Neuried. Der Blick auf die Strecke zeigt: Die X910 verbindet auf ihrem Weg von Weßling nach Großhadern die wichtigsten Wirtschaftsstandorte des Landkreises Starnberg miteinander und stellt zudem eine Verbindung nach München dar.

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Auf der Linie liegen deshalb die Hoffnungen der lokalen Verkehrspolitik. Denn neben dem Freizeit- ist der Berufsverkehr für die meisten Staus und CO2-Emissionen verantwortlich. Gerade für touristisch beliebte und wirtschaftlich starke Regionen wie den Landkreis Starnberg und den Rest des Umlands bedeutet das eine hohe Verkehrsbelastung. Die Menschen dazu zu bewegen, mit Bus und Bahn anstatt mit dem Auto ins Büro zu fahren, ist also ein "wichtiger Bestandteil unserer Mobilitätsstrategie", erklärt Frey.

Wie wichtig Politik und Wirtschaft diese Mission ist, zeigt ein Blick auf die Namen der Fahrgäste: MVV-Chef Bernd Rosenbusch ist an Bord, der Chef der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung (GWT) im Landkreis, Christoph Winkelkötter, ist gekommen, außerdem Vertreter von Gemeinden. Auch die Unternehmen, die die Truppe auf ihrer Tour ansteuert, nehmen sich Zeit; an jeder Station gibt es kurze Vorträge. Denn auch die Firmen haben ein Interesse am Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Eine gute Erreichbarkeit steigert die eigene Attraktivität und die Zufriedenheit der Mitarbeiter. "Standort heißt nicht nur Fläche zu bieten", erklärt GWT-Chef Winkelkötter. "Die Leute können sich heutzutage aussuchen, wo sie arbeiten." Da sei es notwendig, auch die Infrastruktur schaffen, um attraktiv zu sein.

Deutlich wird das etwa am Campus Oberpfaffenhofen. Fast 5000 Menschen arbeiten dort, hinzu kommen 2000 Beschäftigte beim nahe gelegenen DLR. Die müssen irgendwie zur Arbeit kommen. Wohnraum in der Region ist knapp, das macht für viele die Wege weiter. Etwa 60 Prozent der Beschäftigten auf dem Campus würden laut einer Erhebung deshalb mit dem Auto kommen, erklärt Professor Christian Juckenack, der als Berater des Flughafen-Eigentümers Triwo fungiert. Nur etwa ein Drittel komme mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Für Juckenack ist es deshalb unerlässlich, die seit einigen Jahren diskutierte Reaktivierung des 1972 stillgelegten S-Bahnhofs Weichselbaum weiter zu forcieren.

Herzlich willkommen in Oberpfaffenhofen: Professor Christian Juckenack begrüßt die mit der X910 angereiste Gruppe auf dem Campus. (Foto: Nila Thiel)
MVV-Chef Bernd Rosenbusch will die X910 bis nach Geltendorf verlängern. (Foto: Nila Thiel)

Um langwierige Genehmigungsverfahren zu umgehen, schwebt Juckenack dabei eine Art Provisorium vor: ein Bahnsteig, eine Überführung, beides aus Holz, fertig. "Smarte Lösungen" brauche es in Sachen ÖPNV, findet er. Das Wichtigste dabei: Tempo. Im international ausgetragenen Kampf um Fachkräfte werde eine gute Anbindung des Standortes an den öffentlichen Nahverkehr immer wichtiger. "Wir müssen schnell sein", warnt Juckenack. Ansonsten würden sich Fachleute und Firmen trotz des großen Potenzials in Oberpfaffenhofen in Zukunft vielleicht woanders niederlassen. Auch Weßlings Bürgermeister Michael Sturm (FW) betont die Bedeutung des ÖPNV für seine Gemeinde. "Wir in Weßling haben mehr Arbeitsplätze als Einwohner", stellt er fest. Das bringe zwar viel Gewerbesteuer, aber auch viel Verkehr. Deshalb müsse man das ÖPNV-Angebot so attraktiv wie möglich gestalten.

Bislang funktioniert das ganz gut, die X910 ist von allen Expressbussen des MVV die Verbindung mit der dritthöchsten Auslastung. Aber es könnten eben auch mehr Passagiere sein als die 1000 pro Tag. Um die Fahrgastzahlen zu erhöhen, plant der MVV deshalb eine Verlängerung bis Geltendorf. Mit der Verlängerung bis zu diesem Drehkreuz des Nahverkehrs könnte man dann aus dem gesamten Allgäu nach Weßling, Gauting oder Großhadern kommen. Dafür aber müsste die Verbindung zur "landesbedeutenden Buslinie" erhoben werden, erst dann gebe es Fördergeld von der Bayerischen Staatsregierung. Rosenbusch zeigt sich jedoch zuversichtlich, dass der Freistaat Interesse daran hat, die Linie zu verlängern.

Nächster Zwischenstopp, nächster Wirtschaftsstandort: das Gewerbegebiet Gilching Süd. Auch hier arbeiten Tausende Menschen, die alle her- und wieder wegkommen müssen. Die X910 sei dabei "ganz, ganz wichtig", betont Vize-Bürgermeister Martin Fink (CSU). Gleichzeitig müsse man die Mikromobilität ausbauen, also mehr Angebote für die "letzte Meile" schaffen. Im Gilchinger Gewerbegebiet gibt es dafür schon eine der fünf Bikesharing-Stationen im Landkreis. Das Landratsamt ist dabei, dieses Angebot zu erweitern.

Bis dahin müssen Busse wie die Linie X910 reichen. Aber für Fink ist das kein Problem. "Mit der X910 sind wir gut unterwegs", sagt er, bevor es zurück zum Bus geht. "Im wahrsten Sinne des Wortes." Das stimmt, zumindest wenn hochkarätige Gäste an Bord sind.

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