Gleichberechtigung:Eine Brücke ins Metier der Männer

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Bei der Neugestaltung der Dießener Seeanlagen ist der Tiefbau eine spannende Angelegenheit, findet die zuständige Bauingenieurin Anita Schmid-Azar. (Foto: Arlet Ulfers)

Bauingenieurin Anita Schmid-Azar aus Dießen hat sich für einen sonst männlich dominierten Beruf entschieden und in den Vereinigten Arabischen Emiraten gearbeitet. Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März erzählt sie von ihren Erfahrungen.

Von Sabine Bader, Dießen

"Ich wollte schon immer eine Brücke bauen", sagt Anita Schmid-Azar. Dieser Wunsch war wohl mit ausschlaggebend dafür, dass sich die heute 44-Jährige aus dem kleinen Dießener Ortsteil Dettenschwang entschloss, nach dem Abitur Bauingenieurwesen an der Technischen Universität München (TUM) zu studieren. Ein Studiengang, in dem die Männer, zumindest zahlenmäßig, eindeutig überlegen sind. Etwa 500 Studierende seien sie im ersten Semester gewesen, davon lediglich 20 Frauen.

Dass Schmid-Azar nach Abschluss ihres Studiums die Chance erhielt, für zehn Jahre beruflich in die Vereinigten Arabischen Emirate zu gehen, war für sie ein glücklicher Zufall. Sie hatte noch im Studium bei einer Münchner Firma ein Praktikum gemacht, die sich auf Stadionbauten spezialisiert hatte. Als Praktikantin durfte sie 2004 und 2005 am Bau der Allianz-Arena mitarbeiten.

Es folgte ein Auftrag für ein Cricket-Stadion in Dubai. Eine Arena mitten in der Wüste, im Niemandsland ohne Straßen und Zufahrten. Schmid-Azar meldete Interesse an und durfte mit. Schließlich blieb sie zehn Jahre. In Dubai lernte sie auch ihren späteren Mann kennen, einen aus dem Libanon stammenden IT-Spezialisten mit eigener Firma. Heute haben die beiden drei Kinder im Alter von elf, neun und fünf Jahren.

Dubai hatte die junge Ingenieurin von Anfang an fasziniert: Bauwerke der Superlative, ultramoderne Architektur, eine aus Wolkenkratzern bestehende Skyline, dominiert vom 830 Meter hohen Burj Khalifa, dem höchsten Gebäude der Welt. Als Schmid-Azar zum ersten Mal in Dubai war, befand sich dieser Wolkenkratzer gerade im Bau. Sie kontaktierte einen Verantwortlichen und durfte mit der Firma, die gerade die Schalung lieferte, nach oben ins damals höchste Stockwerk fahren. "Das war schon toll für mich", sagt sie. Im Lauf der Bauphase sollten es dann 163 nutzbare Stockwerke werden.

War es nicht schwierig für eine junge Ingenieurin, alleine in den Arabischen Emiraten zu leben und zu arbeiten? Schließlich herrscht dort eine Gesellschaftsordnung, bei der der Mann eine bevorzugte Stellung in Staat und Familie hat. So kann ein Mann beispielsweise laut dem Auslandsrundfunk "Deutsche Welle" noch immer eine Ehe einseitig mit ein paar gesprochenen Worten beenden. Eine Frau hingegen benötigt die schriftliche Erlaubnis eines männlichen Vormunds, um eine Ehe einzugehen oder zu beenden.

"Wir Frauen müssen nicht auf Rechte warten, wir müssen sie uns selbst nehmen."

Schmid-Azar weiß um die Ungleichbehandlung von Frau und Mann, sie weiß um die Missstände in vielerlei Hinsicht in der schnell wachsenden Wüsten-Metropole. Sie selbst habe aber als zuständige Ingenieurin auf der Baustelle nie das Gefühl gehabt, von den Männern nicht akzeptiert zu werden. Zuweilen habe es sogar Vorteile gehabt, eine Frau zu sein. Etwa beim Umgang mit einem offenbar cholerischen syrischen Projektleiter. Ihm sei es auffällig schwer gefallen, sie als Frau anzuschreien. "Wenn irgendetwas schiefgegangen ist, haben mich meine Kollegen immer vorgeschickt, weil er mich nicht so leicht angebrüllt hat. Er war im Umgang mit Frauen einfach weniger vertraut." Überhaupt plädiert Schmid-Azar dafür, sich selbst generell mehr zuzutrauen: "Wir Frauen müssen nicht auf Rechte warten, wir müssen sie uns selbst nehmen." Das Gefühl, stets mehr leisten zu müssen als ihre männlichen Kollegen, habe sie nie gehabt.

An eine schlechte Erfahrung kann sie sich allerdings auch erinnern. Das war 2006. Sie war wegen eines Projekts vier Monate in Katar, wo ihre Firma Bohrproben für ein Bodengutachten nahm. Dort war so mancher Mann offenbar dem Irrtum aufgesessen, europäische Frauen seien "leicht zu haben", erzählt sie. Aus diesem Grund habe sie einen Mann nach einem Disput "vor die Tür gesetzt". Denn "gegen solche Vorurteile muss man sich einfach wehren".

Rückblickend empfindet es Schmid-Azar als Vorteil, dass sie das Zusammenleben unterschiedlicher Nationen und Kulturen in Dubai kennenlernen konnte. Schließlich machen Migranten rund 80 Prozent der dortigen Bevölkerung aus. Wo viel gebaut wird, werden auch viele Gastarbeiter benötigt. Für die Bedingungen, unter denen sie in Dubai schuften, werden die Emirate kritisiert: Camps und Container, in denen sie schlafen, seien eng, die Arbeit sei extrem hart und der Verdienst gering. Außerdem würden Menschen von Arbeitsvermittlern an den Golf gelockt. Das Flugticket und das Arbeitsvisum werde von den Arbeitgebern vorgestreckt. Die Kosten dafür müssten die Gastarbeiter abbezahlen.

Auch damit ist Schmid-Azar in Berührung gekommen. Für sie war das eine bedrückende Erfahrung. Sie wurde mit einem Bus in ein Camp mit indischen Arbeitern gebracht und sollte dort 50 von ihnen für die Baustelle auswählen. Einer nach dem anderen sei vor sie hingetreten, und sie habe "ja" oder "nein" sagen müssen. "Das war echt schlimm für mich." Vor allem die schlechte Unterbringung der Menschen hat sie entsetzt: in Stockbetten zusammengepfercht, mit kaum funktionierenden Klimaanlagen.

Die 44-Jährige leitet den Umbau der Dießener Seeanlagen

Den Ausschlag, wieder nach Deutschland zurück zu gehen, gab die Einschulung ihres ältesten Sohnes. In Dettenschwang wohnt die fünfköpfige Familie gemeinsam mit den Eltern der 44-Jährigen in einem umgebauten Bauernhaus. Ihr Vater ist Bautechniker. "Bei uns in der Familie wurde also schon immer gebaut."

Der dreifachen Mutter ist wichtig, dass die Kinder nicht in einer Großstadt wie Dubai aufwachsen und sich bei sengender Hitze in der Wohnung mit iPad und der Playstation beschäftigen, sondern lieber zum Fahrradfahren nach draußen gehen. Ihr Ehemann sei im Home-Office, seit er in Deutschland lebe; wenn nötig, reise er nach Dubai. Die 44-Jährige arbeitet derzeit als freie Bauingenieurin für die Gemeinde Dießen und eine Starnberger Firma, für die sie ein Münchner Bauvorhaben betreut. Sie ist gerne auf Baustellen und trifft gerne bodenständige Menschen.

In Dießen ist Anita Schmid-Azar für den Umbau der Seeanlagen zuständig. "Ich war als Kind oft hier, da hat es mich einfach gereizt, einen Beitrag zur Verschönerung und Erneuerung der Anlangen zu leisten." Die Anlagen sollen optisch durch Stufen zum Wasser hin aufgewertet werden. Interessant für die Ingenieurin sind in diesem Fall vornehmlich die Tiefbauarbeiten in unmittelbarer Nähe zum See. Das allein habe bereits an die sechs Millionen Euro verschlungen. Nach dem Töpfermarkt im Mai soll nach dem derzeitigen Zeitplan der eigentliche Landschaftsbau beginnen; im Herbst soll alles fertig sein.

Auch in den Dießener Seeanlagen gibt es eine Brücke. Die führt aber nur über ein Bächlein und dürfte somit kaum in Schmid-Azars Brückenbau-Träumen vorkommen.

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