Energiewende:Wenn der Starnberger See zur Heizung wird

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Ob im Starnberger See einmal Wasser für Energie abgepumpt wird? Die Zeit wird es zeigen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Taugt das Gewässer als Wärmequelle für Tutzing? Eine Machbarkeitsstudie soll das nun klären.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Sanft schwappt der Starnberger See dieser Tage, ein paar Enten drehen ihre Runden. Ob sie es stören würde, wenn tief unter ihnen Rohre verlaufen würden, die Wasser an Land pumpen, als Wärmequelle für den Homo sapiens? Würden sie es merken, wenn das Wasser, in dem sie schwimmen, um einen winzigen Bruchteil eines Grades kälter würde? Würden sie die Dreikantmuscheln vernaschen, die sich gerne an Rohren festsetzen? Und was wäre gewonnen für den Menschen, würden hier jeden Tag pro Stunde Tausende Liter Wasser ein- und ausfließen?

Es sind Fragen, mit denen sich die Gemeinde Tutzing dieser Tage beschäftigt. Schließlich werden alternative Wärmequellen infolge der Energiekrise attraktiver. Zudem möchte die Gemeinde bis 2035 klimaneutral werden. Doch davon ist sie noch recht weit entfernt. Bisher ist es eher ein Allerlei aus Balkonkraftwerken und Solarflächen, das man bisher vorzuzeigen hat. Doch wird dieser Tage etwas diskutiert, das tatsächlich mal ein größerer Wurf sein könnte. Die Idee: Statt mit Öl- und Gasheizungen sollen die Tutzinger mit Wärme aus dem See heizen. Seethermie nennt sich das im Fachjargon - ein Konzept, das in der Schweiz längst gängig, in Deutschland aber weitgehend Neuland ist.

Am Starnberger See gilt Bernried als Vorreiter, doch auch hier steckt das Projekt mit einer Machbarkeitsstudie noch in den Kinderfüßen. Ein Schritt, den nun auch Tutzing geht. In der vergangenen Woche hat der Gemeinderat beschlossen, ebenfalls Bundesgelder zu beantragen, um entscheidende Fragen zu beantworten. Wie heizen die Tutzinger derzeit? Wie offen wären sie für Energie aus einem umspannenden Wärmenetz? Welche großen Einrichtungen wären dabei? Und wäre der pittoreske See tatsächlich die beste Wärmequelle?

Es ist der Auftakt zu einem Projekt mit Pioniercharakter. Bisher gibt es in Deutschland kein fertiges Projekt - schließlich gab es bisher ja immer billiges russisches Gas. Die Seetechnologie war schlicht nicht konkurrenzfähig. Das änderte sich mit der Energiekrise. Immer mehr Kommunen halten das Thema für interessant. So stellt man in Prien am Chiemsee dieser Tage erste Berechnungen an, um perspektivisch Gebäude und Becken eines Erlebnisbades zu heizen. Und am Tegernsee soll ein Hoteldorf mithilfe des Seewassers geheizt und gekühlt werden. Auch für die Gemeinde wird Seewärme geprüft. Weitere Projekte sind aber auch dem bayerischen Wirtschaftsministerium nicht bekannt.

Uta Waldau und Marco Lorenz haben die Tutzinger Klimaneutralitätsbewegung begründet. (Foto: Georgine Treybal)

Will man sehen, wie das Ganze in der Praxis aussieht, muss man in die Schweiz schauen. Dort ist Seewärme längst eine etablierte Energiequelle. Dort war auch Marco Lorenz zu Besuch, gewissermaßen der Tutzinger Ur-Pionier. Erst sanierte der ITler sein Haus zur Strombude um, dann wurde er zur Speerspitze der Tutzinger Klimabewegung. Als solcher hat er in den vergangenen Monaten ganze Arbeit geleistet.

"Megawattstunden", "Kühlungskreislauf", "Potenzialanalyse", mit Stichworten wie diesen hat er zuletzt im Tutzinger Rathaus für das Projekt geworben. Die Gemeinde hatte zur Sondersitzung geladen, die Zeit drängt. Derzeit kaufen viele Menschen neue Heizungen, zudem müssen auch Einrichtungen wie die derzeit sanierende Mittelschule an irgendwelche Energiequellen angeschlossen werden. Und warum sich mit Klein-Klein aufhalten, wenn man gleich groß denken kann?

Wirtschafts- und Energie-Staatssekretär Tobias Gotthardt und Bürgermeister Ludwig Horn loten die Chancen der Seethermie vor Ort aus. (Foto: Rathaus Tutzing)

Das dachte sich wohl auch Bürgermeister Ludwig Horn (CSU). Eigentlich wollte bereits seine Vorgängerin Marlene Greinwald (FW) die Seethermie anschieben. Doch der Bundeshaushalt war eingeforen, und damit auch die Fördergelder. Seit Ende Januar fließen diese wieder. Und das braucht es auch im armen Tutzing. Etwa 50 000 Euro kostet eine Machbarkeitsstudie, die Hälfte davon zahlt der Bund. Der zeigt sich dieser Tage überhaupt spendabel bei Projekten zu nachhaltigen Energien. Von 1635 Anträgen wurden bisher 1223 bewilligt, heißt es aus dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.

Das Momentum ist da. Bereits Anfang März war der bayerische Wirtschafts-Staatssekretär Tobias Gotthardt (FW) zu Besuch in Tutzing. Es gibt Bilder davon, wie Horn und Gotthardt am See sitzen und auf die mögliche Energiequelle von morgen deuten. Das Signal: Die Politik versichert ihre Rückendeckung. Und das auf allen Ebenen. Als zusätzliches Standbein könne das Projekt "einen wertvollen Beitrag der involvierten Gemeinden zur Energiewende leisten", sagt Dominikus Findler, Abteilungsleiter im Wasserwirtschaftsamt Weilheim. Hier sieht man auch noch einen anderen möglichen Vorteil: "Mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel könnten mit einer fachlich sinnvoll gestalteten Seeabkühlung sogar positive Effekte für das Gewässer erreicht werden."

Im Nordosten des Kustermannparks (links hinten) könnte theoretisch die Basisstation des Seethermie-Projekts gebaut werden - oder auch auf dem Klostergelände. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wie das Ganze in der Praxis aussehen könnte, hat Marco Lorenz in den vergangenen Monaten in Gesprächen mit Behörden und Energielieferanten ausgelotet. Demnach könnte an zwei oder drei Stellen im Starnberger See Wasser in etwa 20 Meter Tiefe abgepumpt werden, um das Gewässer nicht einseitig zu belasten. Von dort würden Rohre das Wasser zu einer Energiezentrale transportieren - etwa im Kustermannpark oder auf dem Klostergelände. Dort würde dem Wasser mittels Wärmetauschern Energie entzogen, die dann mit Wärmepumpen erhitzt angehoben wird. Das kältere Wasser wird dann wieder in den See geleitet.

Darin liegt zugleich die Crux. Denn Gewässer wie der Starnberger See dürfen nur begrenzt abgekühlt oder aufgeheizt werden - sonst gerät das Ökosystem durcheinander. Deswegen, ist aus dem Wirtschaftsministerium zu vernehmen, sollte das Gesamtpotenzial der Seethermie auch nicht überschätzt werden. Die thermische Nutzung von Oberflächengewässern dürfte jedoch vor allem auch im Rahmen der Wärmeplanung von Kommunen mit erneuerbaren Energieträgern zunehmend interessanter werden, heißt es von dort.

In der Schweiz ist Seethermie längst etabliert - so wie hier mittels einer See-Energie-Zentrale in Luzern. (Foto: ewl energie wasser luzern)

Dahinter steckt kein besonders intuitives Verfahren, das sich den Verbrauchern leicht erklären lässt. Das weiß auch Lorenz. Doch er weiß, dass sich viele für die Preise interessieren. Und da hat er gute Nachrichten. Ein Anbieter habe ihm zehn bis zwölf Cent die Kilowattstunde angeboten, sagt er. Das hat selbst ihn überrascht. Zum Vergleich: Bei den Münchner Stadtwerken zahlt man derzeit 11,31 Cent die Kilowattstunde, bei Energie Südbayern 13,87 Cent.

Damit das Geld in der Region bleibt, wirbt Lorenz für ein Genossenschaftsmodell. Das wäre aufwendiger, aber die Bürger hätten die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Für ihn eine charmantere Lösung, als wenn Kontrolle und Geld beim Versorger liegen. Doch davor liegen noch viele Schritte. Etwa ein Jahr würde die Machbarkeitsstudie dauern. Setzt sich das Projekt durch, gäbe es satte zehn Jahre lang Zuschüsse. Die braucht es auch. Laut einer groben Schätzung des Energieanbieters Eon würde die Infrastruktur mehr als 13 Millionen Euro kosten. Und in den ersten Betriebsjahren gelten Nahwärmenetze ohnehin als defizitär.

Und vielleicht werden auch größere Liegenschaften wie das Krankenhaus davon profitieren - eines der Vorteile der Seethermie. Doch auf dem Weg dorthin wartet noch viel Papierarbeit. Förderantrag, Einzelfallprüfung, Umweltverträglichkeitsprüfung. Der Genehmigungs-Marathon hat erst begonnen. Derweil wollen Lorenz und seine Mitstreiter sich noch mit anderen Seegemeinden zusammentun. Was Lorenz antreibt, ist die Aussicht, dass schon in einigen Jahren etwas stehen könnte. Eine Vision zu haben und zu realisieren, dass vielleicht sogar schon 2030 etwas davon zu sehen ist - "das ist doch ultrageil", sagt er.

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