Kultur:Gegen den Filmriss

Lesezeit: 3 min

Seit 1954 gibt es das Dorfkino "Kurtheater" in Tutzing. Der Betreiber hat hingeschmissen, nun sind neue Ideen gefragt. (Foto: Nila Thiel)

Seit Weihnachten ist das Tutzinger Kino geschlossen. Doch das Kurtheater soll wieder öffnen - als multifunktionales Bürgerprojekt.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Die Popcornmaschine ist leer, genau wie die Fächer, in denen sonst Süßigkeiten auf willige Abnehmer warteten. Auch hinten durch im Kinosaal ist niemand, der auf den 127 etwas abgewetzten Sitzen aus den Siebzigern lümmelt. "Außer Betrieb", steht auf einem alten Projektor über der hintersten Sitzreihe.

Es ist gerade das Alte, Nostalgische, das stets den Charme des Tutzinger Dorfkinos "Kurtheater" ausgemacht hat. Zwischen orientalisch anmutenden Leuchtern und altbewährten Soundboxen liefen Filme wie die "Sch'tis", "die Häschenschule" und "Haute Couture". Das kam an. 4,8 Sterne hat die Institution auf Google - besser geht's kaum.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Doch seit Weihnachten sind hier der Lichter aus. Nach 20 Jahren hat der Betreiber, Filmjournalist und Hörfunk-Moderator Michael Teubig dichtgemacht. Er zahle bei fast jedem Film drauf, schimpfte er. Nun gleicht der Saal einem cineastischen Stillleben. Am Rand stehen Putzmaterialien, es gilt aufzuräumen und sich neu zu sortieren nach dem plötzlichen Ende der Ära Teubig.

An einem schneebedeckten Nachmittag lässt Robert Harthauser den Blick über den Saal wandern. Seine Eltern hatten das Kino 1954 gegründet, damals mit noch 365 Stühlen und einem Theater. Und nun? Er weiß ja, dass er auch eine Lagerhalle daraus machen könnte und damit das Dreifache verdienen von den 664,29 Euro, die er seit 20 Jahren als Pacht verlangt. Doch getreu des Mottos "The show must go on" soll es weitergehen mit dem Kurtheater. "Sonst ist das auch noch weg", sagt er. Dabei gehöre das Kurtheater doch zu Tutzing dazu.

Auch Lucie Vorlickova ist gekommen an diesem Nachmittag. Die Schatzmeisterin der Tutzinger Liste ist im Ort vor allem als kritische Stimme gegenüber der Rathauspolitik bekannt. Doch auch die Kultur ist ihr nicht fern. Sie sieht das Kino als wichtige Ergänzung zu den Akademien im Ort. "Das hier ist Bürgernähe", sagt sie. Und so bildete sie zusammen mit Harthauser ein Gespann, das sich zum Ziel gesetzt hat, das Filmtheater zu retten.

20 Jahre lang hat Michael Teubig das Kurtheater betrieben. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Die Schatzmeisterin der Tutzinger Liste, Lucie Vorlickova und Kinobesitzer Robert Harthauser treiben das Projekt voran. (Foto: Nila Thiel)

Keine einfache Mission, hat doch Teubigs offener Frust gezeigt, wie schnell so ein Dorfkino in Zeiten vom Streaming zum Finanzgrab werden kann. Eben deshalb soll das Kurtheater diversifiziert werden, zu einem Veranstaltungsort für die 10 000-Einwohner-Gemeinde. Mit regulärem Kinobetrieb, aber eben auch mit Sonderveranstaltungen wie Lesungen und Theatervorführungen, so die Idee. Dafür soll eigens ein gemeinnütziger Kulturverein namens "Kurtheater Tutzing e.V." gegründet werden, dem möglichst viele Tutzinger beitreten sollen. Die Mitglieder könnten zum Beispiel an der Kasse sitzen - so spart man bereits Personalkosten.

Das Kino als Dorfprojekt - kann das funktionieren? Abwegig ist es nicht. Deutschlandweit gibt es mittlerweile mehr als 80 Kinos, hinter denen in Zeiten des Aufmerksamkeitskampfs um das Publikum und mangels Nachfolge ein gemeinnütziger Verein steht. Ein prominentes Beispiel liegt 170 Kilometer nördlich von Tutzing. Das Nürnberger "Casablanca" wurde 2009 von einer Gruppe Freiwilliger übernommen.

Seitdem hat es sich zu einer Kreativstätte mit teils abgefahrenen Veranstaltungen entwickelt. Es gibt Jazz-Reihen, Katzenfilme, queeres Kino, James-Bond-Abende und Sneak Reviews - also Rückblicke auf alte Klassiker. 1500 Mitglieder hat der Verein, die Mitgliedschaft kostet regulär 30 Euro im Jahr. Durch die freiwillige Unterstützung in der Breite spart sich der Verein drei bis vier Vollzeitstellen. Die angeschlossene Kneipe trägt zur Querfinanzierung bei. Ein Erfolgsmodell: 2023 wurde das Casablanca vom Film-Fernseh-Fonds Bayern als bestes Kino im Freistaat gekürt.

Ein Filmprojektor aus alten Zeiten. (Foto: Nila Thiel)
Auch retro: die Bedienungsanlage für den Bühnenvorhang. (Foto: Nila Thiel)

Ein Modell für Tutzing? Der Nürnberger Kinoleiter Matthias Damm ist da optimistisch. "Man kann durchaus auch in einem kleinen Ort eine anspruchsvolle Mischung machen", sagt er. Wie man die Menschen in Zeiten, in denen jeder zu Hause Blockbuster streamen kann, weiter ins Kino lockt, weiß auch Fabian Schauren. "Man muss den Zauber des Kinos bewahren. Dann geht vieles", sagt der Geschäftsführer vom Bundesverband kommunale Filmarbeit. Hier sammelt sich mit von Vereinen und Kommunen getragene Kinos eine aufstrebende Spezies. Um die Blockbuster, sagt Schauren, komme man dabei teils nicht drumherum.

In Tutzing soll aus dem Rettungs-Duo in einem nächsten Schritt ein Trio werden. Zum Verpächter Harthauser und Vorlickova als begleitende Organisatorin soll noch ein Kinobetreiber dazukommen, der oder die Beziehungen zu Filmverleihern hat und sich in der Branche auskennt. Auch räumlich sollen Synergien entstehen. Schließlich gehören zum Gebäudekomplex auch das Restaurant "Filmtaverne" und die Souterrain-Bar "Flimmis".

Im August hat der Betreiber aufgehört, seit September ist es eine anmietbare Eventlocation. Erst Pizza, dann Kino, dann eine Afterparty in der Bar nach dem Motto des Films - so sieht eine der vielen Ideen von Harthauser und Vorlickova aus. Wann genau die Popcornmaschine wieder anspringt? Allzu viel Zeit wollen sie sich damit nicht lassen. "Auf jeden Fall noch dieses Jahr", sagt Vorlickova.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBauernproteste
:"Wir haben ein Recht darauf, auf die Straße zu gehen"

Vor der Aktionswoche der Landwirte dreht sich die Debatte vor allem um den Angriff auf Robert Habeck. Dabei geht es den Landwirten um ganz andere Sachen - und längst nicht nur um Subventionen für Agrardiesel und die Kfz-Steuer, erklärt die Starnberger Kreisbäuerin Sonja Frey.

Interview von Linus Freymark

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: