Bürgerinitiative:Kann Tutzing Kino?

Lesezeit: 4 min

Bürgermeister Ludwig Horn (re.) feiert gemeinsam mit Robert Harthauser, Lucie Vorlickova und Alexander Netschajew (v.li.) den Startschuss des Projekts "Tutzing macht Kino!". (Foto: Nila Thiel)

Das "Kurtheater" soll mit neuem Konzept durch einen gemeinnützigen Verein weiterbetrieben werden. Die ersten Reaktionen der Bürger sind durchaus positiv.

Von Celine Urban, Tutzing

Lucie Vorlickova steht vorn im vollen Kinosaal und ist den Tränen nahe. "Ich möchte Ihnen gerne eine Geschichte erzählen", sagt sie mit belegter Stimme ins Mikrofon. "Robert Harthauser und ich standen abends vor dem Kino. Wir waren völlig erledigt, weil wir den ganzen Tag geputzt und gearbeitet haben." Dann sei eine Mutter mit zwei Kindern vorbeigekommen. Eines der Kinder - ein Zehnjähriger - habe, nachdem Vorlickova und Harthauser von der drohenden Schließung berichtet hatten, gesagt: "Mama, da müssen wir was tun!" Er habe viele Ideen gehabt und vor Tatendrang ganz rote Backen bekommen. Das habe die beiden so gerührt, dass sie sich weinend in den Armen gelegen hätten. Vorlickova beendet die Geschichte mit einer Bitte, von der man spürt, dass sie tief aus ihrem Herzen kommt: "Lassen Sie uns zusammenhalten und dieses Haus retten!"

Das 1954 gegründete Kurtheater in Tutzing ist seit Weihnachten vergangenen Jahres geschlossen. Der Betreiber hat nach 20 Jahren dichtgemacht, weil er nach eigenen Angaben bei jedem Film draufgezahlt habe. Doch die endgültige Schließung des Kinos ist für einige im Ort keine Option: Lucie Vorlickova ist Initiatorin des Projekts "Tutzing macht Kino!". Sie ist ehemalige Steuerberaterin und Schatzmeisterin der Tutzinger Liste und steht gemeinsam mit Robert Harthauser, Besitzer des Kurtheaters, an der Spitze eines Projekts, das einzigartig im Landkreis ist.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

In den vergangenen drei Monaten haben die beiden mit einem Team, das mittlerweile zwölf Personen zählt, auf Hochtouren an einem Konzept für den Erhalt des Kurtheaters gearbeitet. Mit dabei sind unter anderem der Dramaturg Alexander Netschajew sowie Jurist und Gemeinderat Ernst Lindl. Von diesem Konzept sollen jetzt an drei Informationsabenden die Bürger überzeugt werden, denn es kann nur funktionieren, wenn sich viele zum Mitmachen bereit erklären.

Lucie Vorlickova und Alexander Netschajew führen durch den ersten Infoabend. (Foto: Nila Thiel)

Donnerstagabend, kurz vor 19 Uhr: Noch vor wenigen Stunden war das Kurtheater in Tutzing leer, jetzt füllen sich 124 von 127 Kinositzen mit Bürgern, die sich für die Initiative von Vorlickova und Harthauser interessieren. Am Eingang riecht es nach Popcorn, jeder Interessent kann sich heute gratis eine Tüte davon holen. Die Markenidentität des Kinos ist klar: Flyer, Plakate und Sticker - alles ist in Orange und Lila gehalten, wie die Farben der Sitze und Vorhänge im Kino.

Eröffnet wird dieser erste von drei Infoabenden von Elisabeth Dörrenberg: Die Zweite Bürgermeisterin der Gemeinde ist an diesem Abend in ihrer Funktion als Kulturreferentin hier. Dörrenberg sieht im Kurtheater - das zukünftig "Kulturtheater" sein soll - "ein kulturelles Zentrum, das dringend erhalten werden muss." Da die finanzielle Lage der Gemeinde sehr knapp sei, brauche es dafür aber das Engagement von allen. Sie appelliert an die Bürger: "Seien Sie aktiv dabei, das Tutzinger Kino zu retten. Das brauchen wir."

Im Kinosaal bleiben nur drei Plätze frei, das Interesse der Tutzinger am Projekt scheint entsprechend groß zu sein. (Foto: Nila Thiel)

Vorlickova erklärt den Bürgern, warum der Plan nur aufgeht, wenn sich genug Menschen finden, die mitmachen. In den vergangenen Monaten habe sie mit vielen möglichen privaten Betreibern gesprochen, die ihr alle das Gleiche gesagt hätten: "Dieses Kino ist nicht kommerziell zu führen." Ihre Idee ist deshalb, einen gemeinnützigen Verein "Kulturtheater Tutzing e.V." zu gründen, der mit Mitgliedsbeiträgen und Spenden den Betrieb finanzieren soll.

Die Kulturstätte soll mit Unterstützung von sogenannten "Kino-Engeln" laufen: Das sind aktive Mitglieder, die etwa die Kasse bedienen, sich um den Wareneinkauf oder den Social-Media-Auftritt kümmern. Hinzu soll ein Kinoleiter kommen, der halbtags arbeitet; mit zwei Kandidaten sei man bereits im Gespräch. Vorlickova gilt im Ort als detailverliebt, sie hat sich tiefgehend in den möglichen zukünftigen Betrieb des Bürgerkinos hineingedacht. Von der Vereinsorganisation bis zum Kassensystem wäre alles vorbereitet - jetzt fehlen dem Verein nur noch Mitglieder und das Startkapital.

Bevor der Betrieb nämlich anlaufen kann, bräuchte es zunächst 80 000 Euro für einige Anschaffungen und Reparaturen, wie Vorlickova vorrechnet. Zum Beispiel einen neuen Digitalprojektor, der zwar gebraucht gekauft werden soll, aber trotzdem sein Geld kostet. Außerdem muss ein Kassensystem her.

Das Konzept kommt bei den Bürgern gut an, die 124 Zuhörer stellen eifrig Fragen. Es melden sich zwei Kino-Engel, ein anonymer Unterstützer spendet 5000 Euro in bar. Im Anschluss an die Veranstaltung werden erste noch unverbindliche Beitrittserklärungen ausgefüllt und am Eingang eingeworfen. Zwei weitere "Kamera-Briefkästen" stehen in der Gemeindebibliothek und in der Tutzinger Postfiliale.

Der Tutzinger Rudolf Schröder lebt seit zehn Jahren im Ort. Auch er möchte, "dass das Kino hier erhalten bleibt" und erklärt sich dazu bereit, Kino-Engel zu werden. Er ist 74 Jahre alt. Das erste Mal war er 2017 hier im Kino, "ich erinnere mich gerne an die Eberhofer-Filme, die hier liefen", erzählt er mit einem Lächeln.

Der Rentner Rudolf Schröder erklärt sich bereit, Mitglied im "Kulturtheater Tutzing e.V." zu werden. (Foto: Nila Thiel)

Die Resonanz ist insgesamt positiv, aus dem Publikum kommen viele Ideen, so zum Beispiel vom 54-jährigen Unternehmer Tyll-Patrick Albrecht: Ihm fehle noch das Sponsoring und die Einbindung von Unternehmen, die dem Kino weiteres Geld einbringen könnten. Zum ersten Mal war er 1975 im Tutzinger Kino, seither habe sich außer der Loge nicht viel verändert. Mit seinen Freunden sei er früher oft im Kino gewesen. "Wir waren hier zu Hause", erinnert sich Albrecht zurück.

Der Unternehmer Tyll-Patrck Albrecht findet lobende Worte für den Infoabend und das Konzept. (Foto: Nila Thiel)

Auch Coachin Gisela Dillmann liegt etwas am Kurtheater: "Das Kino ist fester Bestandteil für uns Tutzinger und ich möchte, dass dieses gemeinschaftsfördernde Projekt erhalten bleibt." Ihr erster Film im Kurtheater war 1970 "Mary Poppins".

Für Coachin Gisela Dillmann ist das Kurtheater aus Tutzing nicht wegzudenken. (Foto: Nila Thiel)

Auf der Website des Projekts unter www.kurtheater-tutzing.com gibt es ein "Kinobarometer", das anzeigt, wie viele Menschen sich zu einer Spende oder einer Mitgliedschaft bereit erklärt haben und wie hoch der Spendenbetrag aktuell ist. Bisher gibt es 21 Personen, die Mitglieder werden würden, gespendet wurden 5800 Euro (Stand 8. März).

Noch haben die Tutzinger sieben Wochen, um ihr Kino zu retten, Deadline ist der 30. April. Wenn das Projekt bis dahin nicht auf beiden Beinen steht, will Harthauser eine Lagerhalle daraus machen. "Und das will ich ja wirklich nicht. Ich möchte, dass das Kino erhalten bleibt", sagt er, "sonst haben wir hier gar nichts mehr". Ob der Zehnjährige mit dem Tatendrang noch die Möglichkeit haben wird, im Kino zu sitzen - es liegt in den Händen der Tutzinger.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kultur
:Gegen den Filmriss

Seit Weihnachten ist das Tutzinger Kino geschlossen. Doch das Kurtheater soll wieder öffnen - als multifunktionales Bürgerprojekt.

Von Viktoria Spinrad

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: