Stadtentwicklung:Das Tutzing von morgen

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Wie ein Gemälde wirkt Tutzing an schönen Tagen - doch verbirgt der Blick vom See auch einige Schandflecken. (Foto: imageBROKER/Martin Siepmann via www.imago-images.de/imago images/imagebroker)

Bröckelnde Gebäude, Staus und unbezahlbare Grundstücke: Die Gemeinde am Starnberger See gilt als zerklüftet und richtungslos. Das soll sich nun ändern - mit einem Programm, bei dem auch die Bürger mitreden sollen.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Zwischen alter und neuer Welt sind es in Tutzing nur wenige Schritte. Hier das einst prachtvolle alte Bahnhofsgebäude im Maximilian-Stil, auf das ein trauriges Smiley gesprüht ist. Weniger Meter abwärts dann das neue Tutzing mit seinen kantigen Kastenhäusern, in denen Architekten und IT-Leute werkeln und es eine Kugel Eis für 1,80 Euro gibt.

Ein bisschen Nostalgie, ein bisschen Gewerbe; Alteingesessene und Zugezogene, und unten an der Hauptstraße buddeln sie den Investitionsstau vergangener Jahrzehnte lautstark auf. So ist das im Jahr 2023 in Tutzing. Der 10 000-Einwohner-Ort war früher mal Fischerdorf, dann Kurort. Längst droht er, zur Schlafstadt zu werden, auch weil das Wachstum im Sandwich zwischen Starnberger See und Naturschutzgebieten begrenzt ist und sich die Kinder des Orts selber kaum noch leisten können, hier zu wohnen, wenn sie nicht gerade eine Immobilie erben.

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Wie kann man dem entgegensteuern? Wo kann sich in Zukunft noch das überlebenswichtige Gewerbe ansiedeln? Und was ist eigentlich mit der eher nicht vorhandenen Ortsmitte? Fragen, die nun gezielt angegangen werden sollen, um Tutzing wieder zu klarerer Identität zu verhelfen. Das Programm dahinter trägt den sperrigen Namen "integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept" (ISEK). Der Charme liegt hier nicht zuletzt in öffentlichen Zuschüssen: Bis zu 60 Prozent werden von Bund und Land getragen.

Geld, das sich auch andere Gemeinden nicht entgehen lassen wollten. So soll in Starnberg die Barrierefreiheit ausgebaut und die Innenstadt verkehrsberuhigt werden; in Pöcking könnten unter anderem Schulwegverbindungen untersucht und verrohrte Bachläufe freigelegt werden. In Tutzing soll der Fokus zunächst auf dem Gebiet östlich der S-Bahn liegen, was im Gemeinderat am Dienstag Unmut hervorrief. "Es ist aber nicht festgemauert", betonte die Münchner Planerin Martina Schneider vom Büro "Stadt Raum Planung" in der Sitzung.

In Tutzing soll nun erst grob und dann immer konkreter untersucht werden, wo die Chancen im Ort liegen und wie dieser auf lange Sicht fit gemacht werden kann. Themen wie Bau, Verkehr und Nachhaltigkeit sollen dabei miteinander verzahnt werden. Schnelle Früchte gibt es hier nicht zu ernten. Schneider verglich den Prozess mit Waldbau. "Es geht um Entscheidungen, die in 15, 20 Jahren greifen."

Das alte Bahnhofsgebäude darbt vor sich hin. Es wurde von der Deutschen Bahn an private Investoren verkauft. (Foto: Georgine Treybal)
Wenige Meter weiter symbolisiert der Hubert-Hupfauf-Platz das moderne Tutzing. (Foto: Viktoria Spinrad)
Unten an der Hauptstraße ist die Mini-Ortsmitte zwischen Baggern eingekesselt. (Foto: Viktoria Spinrad)
Der Abwasserverband Starnberger See hat seine Bauarbeiten an der Kanalisation in der Hauptstraße in Tutzing drei Wochen früher als geplant abschließen können. (Foto: Viktoria Spinrad)

Dass das Tutzing von übermorgen nun überhaupt strukturell angegangen werden soll, geht auf einen Antrag der Tutzinger Liste vom Mai 2020 zurück und damit auf Zugezogene um den Gemeinderat Wolfgang Behrens-Ramberg (gebürtiger Wuppertaler) und seine Schatzmeisterin Lucie Vorlíčková (gebürtige Tschechin). Diese wollten eigentlich den gesamten Ort beleuchten. Nach zwischenzeitlichen Unklarheiten, was der Gemeinderat überhaupt beschlossen hatte, blieb es beim ISEK.

Seit dem Beschluss vom November 2021 mussten diverse bürokratische Hürden genommen werden. Eine schwere Geburt, wie auch Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) am Dienstagabend nicht verhehlte. Sie sprach von einer "denkwürdigen Sitzung". Endlich gehe es nun voran. Mit dem einstimmigen Beschluss zu den sogenannten vorbereitenden Untersuchungen sind am Mittwoch, 18. Oktober, Tutzinger Bürger aufgerufen, bei einer Abendveranstaltung über die Identität des Ortes zu beraten und Themen zu sammeln. Drei Tage später sollen die Gemeinderäte bei einer Klausurtagung kreativ werden.

Es geht um den Ort "jenseits von Parteipolitik", mahnt die Planerin

Zum Jahresende sollen die Bürger dann über verschiedene über den Ort verteilte Tafeln mit QR-Codes digital zum Brainstorming beitragen; für Freunde analoger Wege soll ein eigener Briefkasten am Rathaus als Ideensammlung dienen. Im kommenden Frühjahr können dann laut Zeitplan verschiedene Bevölkerungsgruppen in mehreren Veranstaltungen über die Zukunft des Orts beraten. Wer gerne spaziert oder radelt, kann sich einer Vor-Ort-Tour anschließen.

Bürgern, Verwaltung und Gemeinderat in Tutzing wird oft ein Verhältnis nachgesagt, das so zerklüftet sei wie der Ort. Dass hier alle an einem Strang ziehen sollen, betonte denn auch Planerin Schneider. Es gehe in dem Prozess nicht um die nächste Wahl, "es geht um den Ort, jenseits von Parteipolitik." Und das, sagte sie, habe doch eine echte Kraft.

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