Evangelische Akademie Tutzing:"Wir wollen dieses Bild nicht länger unkommentiert lassen"

Lesezeit: 2 min

Unter dem Motto "Antisemitismus bekämpfen - aber wie?" enthüllen (v.li.) Akademie-Direktor Udo Hahn, Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, und Kultusminister Ludwig Spaenle eine Mahn- und Gedenktafel in der Tutzinger Schlosskapelle. (Foto: Arlet Ulfers)

Unter dem Motto "Antisemitismus bekämpfen - aber wie?" wird in der Schlosskapelle der Bildungungsinstitution eine Mahn- und Gedenktafel enthüllt

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Tutzing

Hoch aufgerichtet, mit Krone und Kelch, ist Ecclesia dem Kreuz zugewandt. Synagoga indes dreht sich von Jesus weg. Ihre Krone fällt herunter, ihr Stab ist zerbrochen und ihre Augen sind mit einem Tuch verbunden. Der Erbauer der Schlosskapelle in der Evangelischen Akademie in Tutzing, der Kunsthändler und damalige Schlossbesitzer Marczell von Nemes, hat in den 1920-er Jahren das Glasfenster der Kathedrale von Bourges aus dem Jahr 1230 nachbilden lassen. Auf der Glasfläche sind mehrere Repliken von Bleiglasfenstern berühmter Kathedralen in Europa zu sehen, so dass das Bild "Ecclesia und Synagoga" beinahe unscheinbar und aus der Zeit gefallen wirkt. Doch bei näherem Hinsehen springt dem Betrachter die hässliche Fratze des Antisemitismus ins Gesicht; denn das Motiv zeigt, wie die stolze, schöne Ecclesia über die schwache Synagoga triumphiert, die unfähig ist, Jesus als verheißenden Messias zu erkennen. Dies gilt als Symbol der abgegebenen Herrschaft an das Christentum.

Erklärungsbedürftig ist die Darstellung von "Ecclesia und Synagoga" - die Replika eines Glasfensters der Kathedrale von Bourges, die der Kunsthändler und damalige Tutzinger Schlossbesitzer Marczell von Nemes in den 1920-er Jahren nachbilden ließ. (Foto: Arlet Ulfers)

Mit diesen Abbildungen, die in vielen mittelalterlichen Kirchen zu finden sind, wurden Jahrhunderte lang Juden von Christen auf schlimmste Weise herabgewürdigt. Damit haben sie nach Meinung von Akademiedirektor Udo Hahn zum Judenhass beigetragen und an der Entstehung des "verheerenden und gewalttätigen Antisemitismus der Neuzeit" mitgewirkt. Nun hat die Evangelische Akademie unter dem Bild "Ecclesia und Synagoga" eine Mahn- und Gedenktafel angebracht, die diesen ins Bild gesetzten Antisemitismus erklärt. "Wir wollen dieses Bild nicht länger unkommentiert lassen", erklärte Hahn. In Verbindung mit der Tafel soll das Bild heute eine Mahnung sein gegen jede Form von Propaganda, Hass, Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus und soll zudem dazu beitragen, dass Würde und Rechte aller Menschen gewahrt werden. Die Tafel wurde am Freitag von der Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, und Ludwig Spaenle - Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe - feierlich enthüllt. Eingeladen waren zudem Schülerinnen und Schüler der Tutzinger Benedictus-Realschule, die anschließend mit Knobloch und Spaenle zum Thema "Antisemitismus bekämpfen - aber wie?" diskutierten.

Für Knobloch ist es das erste Mal, dass sich eine kirchliche Einrichtung von judenfeindlichen Darstellungen distanziert

Für Knobloch war es nach eigenen Angaben das erste Mal, dass sich eine kirchliche Einrichtung von judenfeindlichen Darstellungen distanziert. "Das ist für mich der erste Vorgang zu diesem Thema", betonte sie. "Wir sind dankbar, dass sich eine große Kirche bereit erklärt hat, damit zu beginnen." Sie leide schon seit Jahrzehnten unter diesen Vorgängen und sie hoffe, dass sich auch die katholische Kirche überlege, wie sie sich zu diesen Figuren stelle, sagte sie mit Blick auf die mittelalterlichen "Judensau"-Reliefs, wie sie beispielsweise am Regensburger oder am Bamberger Dom zu sehen sind. Wie Knobloch betonte, wurden derartige Darstellungen seit dem 1700-jährigen Bestehen des Judentums durchgehend gezeigt. "Es gab keinen Zeitpunkt, in dem Judenhass weg war - keinen", bestätigte auch Spaenle, der die Abbildungen als "besondere Herabwürdigung" und als "eine geistesgeschichtlich besonders unappetitliche Situation" bezeichnete. Es gebe keinen Ort auf der Welt, an dem es keine Hasstiraden gegen Juden gebe. Schuldirektorin Angela Richter monierte, dass die Antisemitismus-Problematik "noch sehr sparsam" in den Lehrplänen enthalten sei. Laut Spaenle wird das Thema jedoch aktuell im bayerischen Lehrplan aufgenommen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusNationalsozialismus
:Ein musikalisches Mahnmal

Der Musiker Karl Amadeus Hartmann wurde am Starnberger See Augenzeuge des Todesmarschs und versuchte, das Grauen zu verarbeiten. Entstanden ist die Klaviersonate "27. April 1945".

Von Sabine Bader

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK