SZ-Adventskalender:Geschwister auf sich allein gestellt

Lesezeit: 3 min

Auch Julia P. wurde vom neuen Mann ihrer Mutter geschlagen. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Nachdem die alleinerziehende Mutter nach einer Hirnblutung zum Pflegefall wird, kümmert sich Julia P. um ihre kleine Schwester.

Von Carolin Fries, Herrsching

Julia P. ( Name und identifizierbare Angaben von der Redaktion geändert) sagt, ihre Schwester sei alles für sie. "Ich versuche einfach, ihr ganz viel Liebe zu geben. Schwesterliebe, aber auch Mutterliebe." Die 26-Jährige kümmert sich seit dem Frühjahr allein um die 13 Jahre alte Angelina. Die alleinerziehende Mutter der beiden ist nach einer Hirnblutung ein Pflegefall und wird nach mehreren Operationen und einer Reha derzeit in einer intensivmedizinischen Einrichtung versorgt. Sie kann sich weder bewegen noch sprechen oder schlucken, Besucher nimmt sie optisch kaum wahr. Acht Monate ist es her, dass die Frau plötzlich bewusstlos wurde.

Julia P. besucht ihre Mutter jeden zweiten Tag nach der Arbeit. "Dann sage ich ihr, dass sie sich keine Sorgen machen muss und wir klarkommen", erzählt die 26-Jährige. Und dass ihrer Mutter dann manchmal eine Träne über die Wange laufe.

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Die junge Frau aus Herrsching hat die gesetzliche Betreuung für ihre Mutter übernommen. Die Ärzte haben kaum Hoffnung, dass sich deren Zustand verbessern wird, doch Julia P. weiß: "Unsere Mutter ist eine Kämpferin. Sie hat uns allein groß gezogen, sie hatte es immer schwer." Die junge Frau erzählt, wie ihre Mutter immer einen Job fand, obwohl sie ein Kind und keine Ausbildung hatte. Und dass sie von früh bis spät arbeitete, um ihrer Tochter eine gute Schulausbildung und damit eine bessere Ausgangssituation zu ermöglichen. "Doch sie hatte immer wieder Pech mit der Liebe", so Julia P.

Einige Jahre nach der Trennung von ihrem Vater habe sie sich neu verliebt und Julia P.s Halbschwester Angelina kam auf die Welt. Allerdings sei der neue Mann immer wieder gewalttätig geworden. Er schlug seine Frau und auch Julia P. Zweimal flüchteten sie sich verzweifelt in das Frauenhaus nach Murnau. "Mama hat immer versucht, für uns zu lächeln", erzählt Julia P. Doch sie habe gesehen, wie traurig und hilflos ihre Mutter oft gewesen sei. Die Mutter erkrankte schließlich an einer Depression, die vergangenen Jahre bezog sie eine Frührente.

Trotz der gesundheitlichen Probleme ihrer Mutter und der finanziellen Einschränkungen hätten sie versucht, sich zu dritt ein schönes Leben zu machen, erzählt Julia P. Sie absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und unterstützte mit einem Teil ihres Lohns die Familie. Ihr sei es wichtig gewesen, "der Mutter etwas zurückzugeben". Die jüngere Schwester besucht die Schule. Am Wochenende unternahm die Familie meistens etwas gemeinsam, sie gingen gerne schwimmen oder Fahrrad fahren. Bis sich von einem Tag auf den anderen alles veränderte.

Julia P. weiß gar nicht mehr, wie sie das geschafft hat: Für die Mutter da sein und mit den Ärzten sprechen, den Haushalt machen, in die Arbeit gehen und für Angelina da sein. Außerdem galt es, zahlreiche Formalitäten zu erledigen: So werden Miete, Strom und alle anderen laufenden Kosten nun von ihrem Konto abgebucht. Und auch die Einkäufe zahlt die 26-Jährige. Manchmal reiche das Geld, sagt sie. Immer wieder aber müsse sie von ihrem Ersparten zuschießen. Sie hofft, nun bald das Kindergeld für Angelina zu bekommen. Dafür musste sie die Vormundschaft beantragen.

Bald hat Angelina Geburtstag und dann ist Weihnachten

"Mir ist wichtig, dass es Angelina an nichts fehlt", sagt Julia P. Ihre kleine Schwester solle "möglichst wenig Schlechtes mitbekommen" - es reiche, was sie selbst erleben musste. Das Zusammenleben ohne die Mutter funktioniere gut. Angelina staubsaugt, wenn sie nachmittags von der Schule kommt, räumt die Spülmaschine aus oder leert den Mülleimer. Julia P. geht einkaufen, kocht und putzt und macht die Wäsche, "das dauert mir sonst zu lange", sagt sie und lacht. Streit gebe es nie. "Wir haben nur noch uns", sagt Julia P., "da hält man zusammen."

Die 26-Jährige wirkt souverän, doch auch erschöpft. Zeit für ihre Hobbys habe sie seit Monaten nicht gefunden, auch für Erholung ist keine Zeit. Bald hat Angelina Geburtstag und dann ist Weihnachten. Beide Tage werden sie bei ihrer Mutter in der Pflegeeinrichtung verbringen. Angelina wünscht sich zum Geburtstag eine Playstation und Julia P. möchte ihr diesen Wunsch gerne erfüllen.

Die beiden träumen außerdem davon, einmal gemeinsam zu verreisen. Elf Jahre liegt der letzte Urlaub zurück, damals gemeinsam mit der Mutter. Der SZ-Adventskalender hat die Kosten für das Geschenk und die Auszeit übernommen. Den größten Wunsch konnte das Hilfswerk den Schwestern leider nicht erfüllen: dass ihre Mutter wieder gesund wird.

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