SZ-Adventskalender:"Es ist nicht leicht, aber es geht"

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Am Ende blieb ihnen nur das, was sie am Leib trugen: Ein Großbrand hat das Zuhause der Familie Keresztesi vollkommen zerstört. Jetzt baut sich die Familie eine neue Existenz auf.

Von Carolin Fries, Starnberg

Von dem Feuer, das ihnen mit Ausnahme dessen was sie am Leib trugen, alles nahm, sprechen sie kaum noch. "Es war schlimm, aber was danach kam, war viel mehr", sagt Timea Varga. Die 41-Jährige kann es selbst kaum glauben, was in den vergangenen sechs Monaten alles geschehen ist, nachdem ein Großbrand einen Handwerkerkerhof und damit auch die Wohnung der vierköpfigen Familie Keresztesi über Nacht komplett zerstört hat. "Wir haben nochmal ganz neu angefangen", erzählt Istavàn Keresztesi, 38: "Neue Wohnung, neue Jobs, neuer Hausstand."

Die neue Wohnung in Starnberg ist 59 Quadratmeter groß und liegt im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses. Die Wäsche trocknet auf einem Ständer im Wohnzimmer, es ist nicht viel Platz. Vor den Fenstern fallen dicke Schneeflocken in die Dunkelheit, die Kinder sind gerade aus der Kita heimgekommen. Sie wuseln aufgeregt herum, zeigen ihr Spielzeug. Kamilla, 4, trägt eine Puppe vor dem Bauch, der fünfjährige David lässt mit der Hand einen Gummi-Dinosaurier durch die Luft fliegen. Im Kinderzimmer stehen zwei Betten, ein handbemaltes pinkes mit Prinzessinnen-Bettwäsche und eines mit bunten Autos auf Kopfkissen und Decke. "Von Ebay", sagt Timea Varga und zeigt auf die einzelnen Dinge im Raum. "Der Schrank war schon da, die Vorhänge gab es bei einer Haushaltsauflösung, die eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes vermittelt hat." Dort habe sie auch das Geschirr geholt, das in den Hängeschränken in der Küche steht, Töpfe und Besteck.

Die Familie hat sich ihren neuen Hausstand mehr oder weniger zusammengesucht und nur das nötigste von den Spendengeldern gekauft, die durch die Gemeinde Berg damals für die Familie gesammelt wurde: Schuhe und Kleidung, einen Fernseher, Laptop und Drucker. "Und eine Kaffeemaschine aus dem Katalog", schwärmt Timea Varga. Sie habe in den vergangenen Monaten gelernt, wie wenig man wirklich zum Leben braucht. "Unnötige Dinge schaffe ich gar nicht mehr an", sagt die gelernte Kosmetikerin. Eigentlich sei alles wieder da.

Und doch fehlt ihnen vieles. Vor allem die Fotos und Videos, die sie von ihren Kindern gemacht haben, als diese noch klein waren. Die ersten Schritte und Worte der Kleinen, gebrannt auf eine CD - verkohlt. Überhaupt alle Andenken an die Familie in Ungarn - verbrannt. Timea Varga vermisst außerdem ein paar besondere Kleider, die für sie mehr waren als nur Stoff, Istavàn Keresztesi seine Fußballschuhe: Er spielt in seiner Freizeit beim MTV Berg. "Ich hatte bestimmt sieben Paar", sagt er. Jetzt hat er nur noch eines. Und die Kinder fragen manchmal nach ihrem Lieblingsspielzeug von einst: einem großen pink-weißen Spielzeugauto.

Der Handwerkerhof im Manthal nach dem verheerenden Brand im Mai: Alles, was die Familie besaß, wurde ein Raub der Flammen. (Foto: Georgine Treybal)

An die Flammen selbst, die in der Nacht auf Pfingstsonntag in ihrer früheren Wohnung wüteten, erinnern sie sich nicht. "Sie haben ja geschlafen", erzählt Istavàn Keresztesi, als er vom Rufen des Nachbarn geweckt wurde und seine Kinder aus dem brennenden Haus trug. Das Handy nahm er noch mit und ein wenig Kleidung - das war alles. "Die ersten Tage hatte ich keine frische Unterwäsche." Ein müdes Lächeln huscht über sein Gesicht. Die ersten Monate konnten sie zunächst in einer Einzimmerwohnung im Bauhof in Berg unterkommen, dann bot ihnen ein Unternehmer aus dem Landkreis die Wohnung in Starnberg und gleichzeitig neue Arbeitsstellen an.

Beide wirken erschöpft. Istavàn Keresztesi arbeitet viel, zwischen 42 und 60 Stunden in der Woche bei einer Wohnungsbaugesellschaft als "Mädchen für alles", sagt der gelernte Forstwirt. Timea Varga hat einen Minijob als Haushalts- und Putzhilfe. Sie schuften, weil sie müssen. Die Frage, warum es sie getroffen hat, stellen sie nicht. Zweimal binnen eines Jahres haben sie in Deutschland von vorn angefangen, diesmal wird es schon gut gehen. Timea Varga war ihrem Mann, der bereits seit sieben Jahren im Landkreis lebt und arbeitet, erst im Sommer vergangenen Jahres mit Kamilla und David gefolgt. Sie hatten sich von Deutschland bessere berufliche Möglichkeiten versprochen, eine Zukunft für die Kinder. Sohn Daniel, 15, der in Ungarn das Gymnasium besucht, sollte nachkommen - das war zumindest der Plan vor dem Feuer. Wenige Monate später saß die Familie auf wenigen Quadratmetern in einem Notquartier.

Für Daniel ist in der Wohnung kein Platz. Doch eine bezahlbare größere Bleibe ist kaum zu finden. So bleibt es bei wenigen Fahrten nach Ungarn, die die Familienkasse belasten. "Es ist nicht leicht, aber es geht", sagt Istavàn Keresztesi. Weihnachten, das haben sie sich fest vorgenommen, wollen sie wieder nach Hause fahren. Sie freuen sich auf Daniel, auf die Familie und das Essen. An Heiligabend gebe es traditionell Fischsuppe. Die Kinder sollen mit Hilfe des SZ-Adventskalenders Fahrräder bekommen. "Meines hat das Feuer unbeschadet überstanden", berichtet Istavàn Keresztesi. "Es stand im Hof, ein Feuerwehrmann hat es beiseite geschafft."

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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