SZ-Adventskalender:Durchs Raster gefallen

Lesezeit: 5 min

Obdachlosigkeit ist im reichen Landkreis Starnberg kein sichtbares Problem. Trotzdem steigt die Zahl der Menschen, die Job und Wohnung verlieren, von Jahr zu Jahr. Notunterkünfte sind Mangelware. Und die Corona-Pandemie könnte die Probleme noch verschärfen

Von Astrid Becker, Starnberg

Es kann schnell gehen. Und es kann jeden treffen. Gerade in Coronazeiten setzen viele Arbeitgeber auf Kurzarbeit oder kündigen Beschäftigten. Für viele Arbeitnehmer mit gravierenden Folgen: Sie verlieren nicht nur einen Großteil ihres Einkommens, sondern können auch oft das Geld für die hohen Mieten im Landkreis Starnberg nicht mehr aufbringen. Die Rückstände türmen sich immer weiter auf. Kommen dann noch Krankheiten, Trennungen oder Scheidungen hinzu, dreht sich die Abwärtsspirale immer schneller.

Den Betroffenen werden die Wohnungen gekündigt, immer häufiger werden die Gerichte für Zwangsräumungen bemüht. "Es werden von Jahr zu Jahr mehr Menschen, die im Fünfseenland akut von Wohnungslosigkeit bedroht sind", berichtet etwa Julia Schmidbauer, die mit diesem Thema im Herrschinger Rathaus betraut ist. Auch Thomas Regler vom Starnberger Ordnungsamt wird seinen Worten nach immer häufiger vom zuständigen Amtsgericht in der Kreisstadt über anstehende Zwangsräumungen informiert.

Menschen ohne Dach über dem Kopf, die mit einer Spendendose um Geld bitten, sind im Fünfseenland selten zu sehen. Trotzdem nimmt auch hier die Obdachlosigkeit zu. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Für die zuständigen Mitarbeiter in den einzelnen kommunalen Verwaltungen bedeutet dies: Sie müssen schnell reagieren und vor allem möglichst viel Zeit für die in Not geratenen Menschen gewinnen. Dazu gehört zum Beispiel, mit den Vermietern zu verhandeln, juristisch Einspruch gegen die Kündigungen zu erheben und dabei Hilfe zu leisten oder auch Beratungen zu staatlicher Hilfe zu geben und Behördengänge anzuregen - wenn etwa Sozialhilfe oder Wohngeld beantragt werden können. Besonders aber kümmern sich Menschen wie Schmidbauer und Regler darum, den in Not Geratenen ein Dach über dem Kopf zu sichern. "Das ist schließlich eine kommunale Pflichtaufgabe", wie Schmidbauer und auch Regler betonen.

Doch ganz so einfach ist es für die Gemeinden des Landkreises nicht, diese Aufgabe auch zu erfüllen. Denn auch ihnen fehlen angesichts von Flächenknappheit und damit verbundenen hohen Immobilienpreisen in Ballungsräumen wie München und Umland häufig geeignete Grundstücke und Liegenschaften, um dort wohnungslos gewordene Menschen unterzubringen.

In Starnberg hat die Stadt 2016 in der Petersbrunner Straße auf dem Areal der Flüchtlingsunterkunft Container von der Regierung angemietet, um dort bis zu 16 obdachlose Menschen unterbringen zu können. "Nachdem die bisherige Unterkunft baufällig geworden war, sprach sich der politische Wille gegen den Bau einer neuen Unterkunft und für diese Lösung aus", sagt Regler. Eine dauerhafte Lösung sei dies aber nicht. Und städtische Liegenschaften mit günstigeren Mieten als auf dem freien Markt stünden meist nicht zur Verfügung: "Dort ist nichts frei. Die Fluktuation ist äußerst gering. Alle sechs Monate zieht vielleicht jemand dort aus, darauf kann man nicht spekulieren." Daher bemühe man sich, für diese Menschen andere Wohnungen zu finden. Mittellose können für die Mieten und die damit verbundenen Kosten Hilfe vom Staat erhalten. In der Kreisstadt seien dies bis zu 600 Euro pro Monat. Das dürfte im Landkreis Starnberg der wohl höchste Mietkostenzuschuss sein, der in den einzelnen Kommunen gewährt werde, so Regler: "Bei kleineren Gemeinden ist es weniger. Aber klar ist auch, dass das hierzulande nirgendwo ausreichen kann, um die tatsächlichen Kosten zu decken." Für den Rest müssten dann die Betroffenen selbst aufkommen.

(Foto: SZ Grafik)

Anders ist das bei der Notunterbringung in der Unterkunft in der Petersbrunner Straße, deren Kosten sich derzeit auf 437 Euro pro Kopf belaufen. "Sollten dort aber alle Plätze in den Containern belegt sein, müssen wir andere Lösungen finden, etwa Zimmer in Pensionen oder Hotels anmieten - das ist sehr kostenintensiv ", so Regler. Bis zu den genannten 600 Euro könne sich Starnberg das Geld wieder vom Staat zurückholen, was darüber hinausgehe, müsse die Stadt aber selbst tragen. Und diese Kosten könnten in Zukunft wegen Corona steigen, befürchtet er. Dann nämlich, wenn durch die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen staatliche Hilfen ausliefen oder bislang ausgesetzte Gesetze wie die Fristen zur Anmeldung von Insolvenzen oder das verstärkte Mieterschutzrecht keine Geltung mehr hätten oder nicht verlängert würden. Schon jetzt beispielsweise beobachtet Regler, dass vermehrt Beschäftigte der Gastronomie in Not geraten, weil sie wegen Corona in Kurzarbeit geschickt oder ganz gekündigt worden sind. "Servicekräfte etwa oder Küchenhilfen können unter diesen Umständen hier im Kreis nicht mehr überleben."

Auch in Herrsching kennt man dieses Problem. Dort aber gibt es aber bislang gar keine Unterkunft für obdachlos gewordene Menschen. Verliere derzeit ein Bürger seine Wohnung, finde keine neue und könne sich die in den vergangenen Jahren stark angestiegenen Mieten ohnehin nicht leisten, kümmere sich die Gemeinde um ein Zimmer für ihn in einer Pension im Nachbarlandkreis Fürstenfeldbruck, ist aus dem Rathaus zu erfahren. "Eigentlich ist das so gar nicht erlaubt", wie auch Bürgermeister Christian Schiller sagt: "Aber momentan bleibt uns nichts anderes übrig." Sieben Übernachtungsplätze standen bisher in einem Gebäude in der Gemeinde zur Verfügung, die im Notfall durch Mehrfachbelegungen noch auf zwölf aufgestockt werden konnten. Doch das Haus ist baufällig geworden. Die Gemeinde plant daher für rund 650 000 Euro den Bau einer neuen Unterkunft für bis zu 16 Menschen auf einem Areal in der Nähe des Herrschinger Gewerbegebiets, das direkt an ein Grundstück angrenzend, das Hundesportverein nutzt. An diesem Projekt hielt der Gemeinderat auch dann noch fest, als es darum ging, wegen der Pandemie und der damit verbundenen geringeren Gewerbesteuereinnahmen diverse geplante Projekte nach hinten zu verschieben. Die Unterkunft soll im kommenden Jahr realisiert werden.

Auch bezahlbaren Wohnraum will Herrsching auf einem gemeindeeigenen Grundstück nahe der Kirche im Ort realisieren. Frühere CSU-Gemeinderäte wie etwa Willi Welte hatten dieses schon länger geplante Vorhaben stets kritisiert. Ein Filetgrundstück wie dieses sollte die Gemeinde angesichts seines hohen Wertes doch lieber anderweitig nutzen, so die damalige Argumentation.

Dass die Projektgegner damit nicht durchdrangen, stimmt Sozialamtsleiterin Julia Schmidbauer froh. "Wir brauchen die neue Unterkunft ganz dringend", sagt sie. Denn ihr zufolge gibt es in Herrsching in den vergangenen drei Jahren zwar weniger Fälle von echter Straßenobdachlosigkeit, wie sie in München zu beobachten ist, aber immer mehr Menschen, die sich keine Wohnung in ihrer Gemeinde mehr leisten können. "Da werden Häuser abgerissen oder Grundstücke neu bebaut - und den Mietern schon allein deswegen gekündigt. Bezahlbare Wohnungen finden diese Menschen aber nicht." Zwar habe Corona die Zahl derer, die akut von Wohnungsverlust bedroht seien, noch nicht signifikant ansteigen lassen. Das aber werde noch kommen, schätzt sie: "Mir ist bange, wenn ich auf die nächsten Jahre blicke."

Seit etwa 20 Jahren gibt es in Gilching bereits eine Unterkunft für Wohnungslose, 15 Einheiten gibt es dort, aber nur eine davon ist mit ihren 50 Quadratmetern für ein Pärchen oder eine Familie geeignet. Einige der Einheiten werden derzeit nicht genutzt, weil sie renoviert werden, wie der dafür im Rathaus zuständige Tobias Baumann erzählt. Obdachlosigkeit, so sagt auch er, sei im Landkreis Starnberg kein sichtbares Problem, aber eines, das sich wegen der Pandemie in den nächsten Jahren verstärken werde. "Wir wissen aber nicht, in welchem Maß. Corona ist nicht einschätzbar." Eigenbedarfskündigungen hätten auch schon vor Covid-19 zahlenmäßig zugenommen. Nun kämen aber noch drohende Arbeitsplatzverluste, damit verbundene finanzielle und psychische Probleme der Betroffenen hinzu und womöglich auch noch gesundheitliche Folgen. Die Devise der Zukunft laute daher mehr denn je, Wohnungslosigkeit zu vermeiden - eine Arbeit, auf die Baumann und seine Kollegen in den anderen Rathäusern das Hauptaugenmerk legen. Eng arbeitet er unter anderem auch mit der Fachberatungsstelle für Prävention von Wohnungslosigkeit der Caritas Starnberg (Telefon 08151/9131-10) zusammen, die seit Ende 2019 mit dem Sozialpädagogen Jörg Neumann besetzt ist und vom Landkreis mitfinanziert wird - was ihre Bedeutung unterstreichen dürfte. Neumann hilft, wenn Räumungsklagen angedroht wurden oder bereits vorliegen, Eigenbedarfskündigungen im Raum stehen, oder wenn andere persönliche Schwierigkeiten wie Gesundheits- oder Suchtprobleme zu Existenzängsten führen. Etwa 50 Fälle habe er bereits betreut, seit er seinen Job angetreten hat.

Hilfe gibt es aber auch bei der Fachberatungsstelle für Menschen ohne festen Wohnsitz in Starnberg (Bahnhofsplatz 2 b in Starnberg, Telefon 08151/274836), die ebenfalls vom Landkreis finanziell unterstützt und die von der e Sozialpädagogin Simone Christenn geführt wird, die sich auch um die Beratungsstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in der Gemeinde Gilching kümmert (Weßlinger Straße 38, auf dem Areal der dortigen Obdachlosenunterkunft, Telefon 08105/775203). Weitere Informationen dazu sind auch auf der Homepage der Caritas Starnberg zu finden. Die Adresse: https://www.caritas-starnberg.de/hilfe-und-beratung/hilfe-und-beratung .

© SZ vom 19.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: