Starnberger See:Trance in der Tiefe

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Apnoe-Taucher Jens Stötzner ist am Samstag bei einem Rekordversuch an der Allmannshauser Steilwand kollabiert. Um Abstiege bis auf 81 Meter zu schaffen, muss er sich selbst hypnotisieren.

Von Armin Greune, Starnberg

Nur mit der Luft in der Lunge und im Rachenraum ist er beim Training im Starnberger See schon in 86 Meter Tiefe vorgedrungen. Am Samstag aber kam der Apnoe-Taucher Jens Stötzner beim Rekordversuch aus 81 Metern bewusstlos an die Oberfläche - einen Tag bevor sich an der Allmannshauser Steilwand erneut ein tödlicher Unfall beim Gerätetauchen ereignete. Da war Stötzner schon wieder auf dem Heimweg nach Regensburg, die Nacht zum Sonntag hatte er zur Überwachung im Klinikum Starnberg verbracht.

In Begleitung von zwei Tauchärzten, drei Sicherungstauchern und weiteren Helfern hatte der 51-Jährige versucht, den deutschen Rekord im Apnoe-Tauchen in Seen mit einer Monoflosse zu knacken. "Doch schon beim Abstieg bin ich in fünf Meter Tiefe mit einem Fuß aus der Flosse herausgerutscht", erzählt Stötzner. Es dauerte nur drei Sekunden, bis der Fuß wieder in der Flosse steckte, doch Denken bedeutet Sauerstoffverlust: "Die Entscheidung Weitertauchen oder Abbruch hat mich aus dem Entspannungsrhythmus gebracht, sodass der Tauchgang 3:11 Minuten statt der geplanten 2:40 Minuten gedauert hat." Er konnte zwar zum Beweis der Tauchtiefe das Kärtchen an der Grundplatte noch abreißen, "doch beim Aufstieg war dann irgendwann die Luft nicht mehr da".

Fünf Meter unter der Wasseroberfläche fiel er in Ohnmacht; die Sicherungstaucher, die ihn auf 30 Meter erwartet und von dort an begleitet hatten, zogen ihn in ein Schlauchboot und ans Ufer. Nach Sauerstoffzufuhr aus einer Flasche erlangte er noch auf dem Rettungsbrett das Bewusstsein wieder: "Im Krankenwagen war mir noch schlecht, aber ich war wieder voll da", sagt Stötzner. Sicherheitshalber brachte man ihn ins Krankenhaus. Dort wurde unter anderem die Lunge geröntgt, aber keine bleibende Schäden festgestellt.

Mit einem Atemzug und ohne Flossen. (Foto: OH)

Weil er nach dem Auftauchen das geforderte Oberflächenprotokoll nicht ausfüllen konnte, ist der Rekordversuch ungültig. Doch zwei seiner Teamkolleginnen waren am Samstag erfolgreich und konnten an der Allmannshauser Steilwand neue deutsche beziehungsweise österreichische Bestmarken setzen. Stötzner, der den Nationalteams der zwei Tauchverbände CMAS und AIDA angehört, belegte bei der jüngsten WM in der Karibik 2017 den vierten Platz in der Gesamtwertung. Er hat bereits neun deutsche Rekorde im Freitauchen aufgestellt. In dieser Sportart werden je nach Gewässer (Pool, See oder Meer) und Hilfsmitteln (Flossen, Seil und Gewichte) acht verschiedene Disziplinen unterschieden. Heuer konnte er vier nationale Bestmarken setzen: Die jüngste vor zwei Wochen, als er ohne Flossen im Bruststil im Roten Meer bis auf 74 Meter tauchte.

Mit Flossen erreichte er dort auch seinen persönlichen Tiefenrekord von 90 Metern. Mit einem schweren Tauchschlitten und Aufstiegshilfen sind beim sogenannten No-Limit-Tauchen sogar bis zu 214 Meter möglich. "Doch das hat mich bislang nicht gereizt", sagt Stötzner. Weil man dabei im hohen Grad auf die Technik angewiesen ist, sei diese Disziplin extrem gefährlich. Besondere Bedeutung erlange dabei der Druckausgleich, für den erfahrene Apnoe-Taucher einen separaten Luftvorrat im Nasen-/Rachenraum mitführen. Denn mit jeweils zehn Meter Tiefe nimmt der Druck um je ein Bar zu, die Lunge wird ab etwa 30 Meter Tiefe auf ihr minimales Volumen von einem Viertel komprimiert. "Von da an setzt der freie Fall ein und es geht mit jeder Sekunde einen Meter tiefer", sagt Stötzner. Die gefährlichste Phase aber hat man da erst noch vor sich, denn die meisten Unfälle ereignen sich kurz vor dem Auftauchen.

Bevor er vor gut sechs Jahren zum Freitauchen kam, war Stötzner schon Profi-Triathlet. Um am legendären Ironman auf Hawaii teilzunehmen, war er 1989 aus der DDR geflohen, wo der Triathlon als Sportart des "dekadenten Westens" eher behindert als gefördert wurde. Als 22-Jähriger hatte er bereits im Osten die Bestenliste angeführt, in Hawaii wurde er 1991 und 1992 Vize-Weltmeister der Junioren. Für seine neue Sportleidenschaft sei vor allem Luc Bessons Spielfilm "The Big Blue" verantwortlich. "Der nächste Wettkampf findet genau dort statt, wo der Film gedreht wurde": Stötzner lässt keinen Zweifel daran, dass er in zehn Tagen am "Authentic Big Blue" auf der Kykladeninsel Amorgos teilnehmen will.

Bei der Apnoe-WM in der Karibik konnte sich Jens Stötzner im vergangenen Jahr über einen vierten Platz freuen. (Foto: OH)

Zum Freitauchen habe ihn aber auch eine zwischenzeitliche berufliche Überlastung geführt. Als selbständiger Unternehmer leitet Stötzner eine IT-Dienstleistungsfirma mit zehn Angestellten, der Tauchsport hilft ihm, einem erneuten Burnout vorzubeugen. Denn dazu sei neben körperlicher auch viel mentale Fitness gefragt. Um den Atemreiz zu unterdrücken und für den Druckausgleich müsse man völlig entspannt, wie in Trance sein. Zu den Techniken, die er sich antrainiert, gehöre also auch eine Art Selbsthypnose. Mehr als sieben Minuten hat er schon mit einem Atemzug im Wasser verbracht.

Bis auf einen Trommelfellriss habe er sich bei seinem Extremsport noch keine Verletzungen zugezogen. Dass er dabei das Bewusstsein verliert, sei die absolute Ausnahme: "Man provoziert das nicht, sondern tastet sich mit viel Training allmählich an immer größere Tiefen heran."

Nach dem bis zu 50 Meter tiefen Murner See bei Wackersdorf, der von seinem Wohnort Regensburg rascher erreicht werden kann, ist Starnberger See Stötzners bevorzugtes Trainingsrevier: "Der bietet halt die richtigen Tiefen an und die Steilwand ist auch nicht weit vom Ufer entfernt." Vor zwei Monaten aber musste er erst mal wieder umkehren: Nach dem bislang vorletzten tödlichen Unfall eines Gerätetauchers war die Steilwand abgesperrt und Stötzner musste den geplanten Trainingstauchgang um einen Tag verschieben.

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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