Geflüchtete:Was bringt die Bezahlkarte?

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Mit Bezahlkarten wie dieser sollen Geflüchtete bald auch im Landkreis Starnberg einen Großteil ihres Lebensunterhalts bestreiten. (Foto: Bodo Schackow/dpa)

Asylbewerber sollen künftig bundesweit mit einer Chipkarte bezahlen. Befürworter erhoffen sich davon, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen. Die Gegner des Vorhabens prangern Diskriminierung an und bezweifeln die Sinnhaftigkeit.

Von Linus Freymark, Starnberg

Sie wird kommen, das steht fest- nur wann genau und wie sie genau aussehen wird, ist noch unklar: die Bezahlkarte für Asylbewerber. Damit sollen die Menschen in Supermärkten und anderen Geschäften künftig bezahlen. Das bislang vom Staat ausgegebene Bargeld wird hingegen auf ein Minimum gekürzt, im Gespräch sind Beträge zwischen 50 und 100 Euro. Der Rest der staatlichen Zuwendungen wird stattdessen als Guthaben auf die Bezahlkarte überwiesen.

Im Herbst hat die Ministerpräsidentenkonferenz die Einführung des Systems beschlossen. Seit Kurzem testen einzelne Landkreise wie Fürstenfeldbruck in Pilotprojekten die Bezahlkarte bereits. Doch die Abstimmung im Bundestag kann nicht wie geplant in dieser Woche stattfinden, da es in der Ampel-Koalition noch Uneinigkeit über die genaue Ausgestaltung des Modells gibt.

Die Befürworter erhoffen sich, die Migration nach Deutschland damit reduzieren zu können. Auch soll der Verwaltungsaufwand nach der Einführung geringer sein als bislang. Zudem soll die Finanzierung von Schleppern bekämpft und Überweisungen in die Herkunftsländer der Geflüchteten unterbunden werden. Kritiker wiederum sehen in dem Modell eine Diskriminierung und Überwachung der betroffenen Menschen.

Bei der Einführung geht jedes Bundesland bislang seinen eigenen Weg. Bayern prescht dabei mit Mecklenburg-Vorpommern vor: Die Karte solle "schneller und härter" sein als anderswo, erklärte CSU-Ministerpräsident Markus Söder. Wie aber ist die Haltung zur Bezahlkarte bei denjenigen, die sie vor Ort, etwa im Landkreis Starnberg, umsetzen müssen? Bei Kommunalpolitikern, Flüchtlingshelfern, Sozialbetrieben und der Wirtschaft?

Starnbergs Landrat Stefan Frey (CSU) sieht in dem System ein "spannendes Instrument". Den Ansatz, Fluchtanreize zu reduzieren, befürwortet er. Wie die meisten anderen Kommunen auch steht der Landkreis Starnberg mit der Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten an der Grenze zur Überforderung. Aber ob dieses Vorhaben auch gelingt? Frey ist davon nicht restlos überzeugt. "Das wird man sehen müssen", sagt er. An eine zusätzliche Belastung seiner Behörde durch die Einführung der Bezahlkarte glaubt er nicht, denn der größte Teil der Organisation werde von der Staatsregierung übernommen. "Der organisatorische Aufwand wird sich in Grenzen halten", glaubt Frey. Damit käme die Bezahlkarte Kommunen wie seinem Landkreis entgegen.

Starnbergs Landrat Stefan Frey (CSU) begrüßt die Bezahlkarte - restlos überzeugt von deren Wirkung aber ist er nicht. (Foto: Georgine Treybal)

Damit das so bleibt, gelte es, den Geltungsbereich der Bezahlkarte möglichst großzügig zu gestalten - am besten deutschlandweit. "Das würde helfen, Bürokratie gering zu halten", so der Landrat. Würde die Karte hingegen nur für einzelne Landkreise oder Regionen gelten, würde das die Verwaltung hingegen stärker belasten. Eine Diskriminierung der Asylbewerber sieht Frey nicht. Würde man die Zuwendungen etwa als Sachleistungen ausgeben, sei das etwas anderes. Bei der Bezahlkarte aber würden die Menschen ja weiterhin Geld vom Staat bekommen - nur eben nicht mehr allein in bar.

Anders sieht das Verena Machnik vom Helferkreis "Asyl und Integration" in Berg. Die grüne Gemeinderätin und ihre Mitstreiter lehnen die Bezahlkarte ab. "Wir sind komplett dagegen", sagt sie. Das geplante System sei diskriminierend - und zudem kaum praktikabel. Denn wie sollen sich etwa Kinder von Asylbewerbern eine Brotzeit oder ein Eis kaufen, wenn sie mit ihren Freunden unterwegs sind? Auch die bürokratische Mehrarbeit für die Kommunen und die Kosten seien enorm. Auf sie und ihre Kollegen in den Helferkreisen kämen dadurch zusätzliche Aufgaben zu. "Wir müssen den Menschen ja erklären, wie das funktioniert", sagt Machnik.

Verena Machnik ist im Helferkreis engagiert und grüne Gemeinderätin in Berg. Sie lehnt die Bezahlkarte für Geflüchtete ab. (Foto: Nila Thiel)

Ob sich der erwünschte Effekt tatsächlich einstellt, glaubt die ehrenamtliche Betreuerin von Geflüchteten nicht. "Kein Mensch, der auf der Flucht ist, sagt sich, ich gehe nicht nach Deutschland, weil es dort jetzt eine Bezahlkarte gibt", so Machnik. Die dafür notwendigen Ressourcen hätte man besser für die Integration der Geflüchteten aufbringen sollen. Gleichzeitig sieht Machnik die Gefahr, dass die Einkaufsmöglichkeiten für Asylbewerber stark eingeschränkt werden. Denn auch für Geschäfte und Betriebe stelle das neue Bezahlsystem einen administrativen Aufwand dar, den womöglich nicht alle mitgehen können oder wollen. Die Folge: Asylbewerber hätten dann deutlich längere Wege oder müssten in Läden mit höheren Preisen einkaufen.

In der regionalen Wirtschaft ist diese Debatte offenbar noch kein Thema. "Davon haben wir noch gar nichts gehört", berichtet Christoph Winkelkötter, Geschäftsführer der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung im Landkreis (GWT). Bislang gehe man nicht davon aus, dass die Einführung der Bezahlkarte großen Einfluss auf Branchen wie den Einzelhandel haben dürfte.

Auch bei der Starnberger Tafel blickt man der Einführung der Bezahlkarte gelassen entgegen. Anderswo hatten die Tafeln befürchtet, Asylbewerber könnten Schwierigkeiten bekommen, von ihrem wenigen Bargeld die Beiträge für die Tafel zu bezahlen, eine Digitalisierung des Zahlungsprozesses sei nicht zu leisten. Die Starnberger Vorsitzende Erika Ardelt aber zeigt sich zuversichtlich. Ein Erwachsener bezahle bei ihr einen Euro pro Besuch. Diesen Betrag könne man wohl auch von 50 Euro Bargeld im Monat bezahlen. "Ich denke nicht, dass es deshalb Probleme gibt", sagt Ardelt. "Aber man weiß nie, wie es in der Praxis ausgeht." Zumindest Letzteres dürfte für jeden Bereich gelten, in dem die Bezahlkarte zum Einsatz kommt. Nach Einschätzung von Landrat Frey wird es in Bayern wohl spätestens im Herbst so weit sein.

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