Verbrechen:Wer hat Sonja Bletschacher getötet?

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In der Dachwohnung dieser herrschaftlichen Villa in der Max-Emanuel-Straße in Starnberg wurde die 47-jährige Mieterin erstochen. (Foto: Staatsarchiv München)

Die 47-jährige Mieterin einer Starnberger Villa wird am 12. Dezember 1951 bestialisch ermordet. Der Fall ist bis heute ungelöst, das Motiv unklar. Das Opfer war eine schillernde Persönlichkeit. Ulrike Claudia Hofmann hat den "Mord im Hause Adlon" und seine Umstände rekonstruiert.

Von Christian Deussing, Starnberg

Sie bereitet sich gerade am Abend eine Semmel zu, als sie vom Täter in ihrem Wohnzimmer überrascht wird: Der Eindringling ist gnadenlos, metzelt die 47-jährige Witwe eines Wehrmachtsoffiziers mit zahlreichen Messerstichen nieder und schlägt brutal auf sie ein. Sonja Bletschacher hat keine Chance. Ihre blutüberströmte Leiche wird am Vormittag des 13. Dezember 1951 in einer Dachgeschosswohnung in der Starnberger Max-Emanuel-Straße aufgefunden. "True Crime Starnberger See - Mord im Hause Adlon" heißt das neue Buch (343 Seiten, Allitera Verlag) der promovierten Historikerin Ulrike Claudia Hofmann. Sie ist Archiv-Oberrätin im Staatsarchiv München und hat anhand von originalen Ermittlungsakten den rätselhaften Fall minutiös und spannend aufgerollt.

Unter dem Titel "Zeitreise Mord" wird die Autorin an diesem Freitag, 30. Juni, um 19 Uhr (Eintritt: fünf Euro) in der Starnberger Stadtbücherei in einer Lesung über das bis heute ungeklärte Verbrechen berichten - unter Mitwirkung des Ersten Kriminalhauptkommissars Ludwig Waldinger, einer der Sprecher des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA).

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Waldinger bewertet die damalige Polizeiarbeit zur Tatzeit Anfang der Fünfzigerjahre und ordnet hierbei die Vernehmungsprotokolle ein, die Ermittler nach der mysteriösen Tat im Wohnviertel erstellt haben. Das Verbrechen spielte sich im Anwesen von Ottilie Adlon ab: Die 72-jährige geschiedene Ehefrau des bekannten Berliner Hoteliers Louis Adlon, lebte mit ihrer Tochter Elisabeth in der Villa und hatte die Dachwohnung an Bletschacher vermietet.

Autorin Hofmann taucht tief ins damalige Geschehen ein, zoomt es heran. Sie dokumentiert Aussagen der Familie des Opfers, von Nachbarn, Freunden sowie anderen Zeugen. Beleuchtet wird vor allem das nähere Umfeld und teils undurchsichtige Leben der Getöteten. Welche Gepflogenheiten, Bekanntschaften und Liebschaften pflegte Sonja Bletschacher, die als attraktiv beschrieben wird? Mit welchen Männern hatte sie ein Verhältnis? Hofmann schildert detailliert die Lebensumstände, interpretiert die jeweiligen Aussagen und verwebt die Vernehmungsprotokolle, wobei sie auch auf Widersprüche hinweist.

Das Mordopfer Sonja Bletschacher, geborene Wolf. (Foto: Staatsarchiv München)

Reflektiert werden zudem die Ermittlungen der Kriminalpolizei, die Alibis überprüft und das Tatmotiv sucht, das am Ende dennoch unklar bleibt. Von der Spurenlage her wird nicht ausgeschlossen, dass zwei Personen Bletschacher ermordet haben - unter Beteiligung einer Frau. Es bleibt nebulös. Doch eines steht fest: Es ist kein Raub- oder Sexualmord. Der oder die Täter dürften vermutlich aus Hass oder Eifersucht die Tat begangen haben - im Affekt oder kaltblütig geplant. Laut Hofmann sehen die Ermittler einen wichtigen Schlüssel zur Aufklärung in Sonja Bletschachers Verhältnis zu Männern. Sie habe sowohl in "ersten Gesellschaftskreisen" verkehrt, sich aber auch mit "einfachen Männern abgegeben", wie die Fahnder herausfinden, in deren Visier deshalb auch ein Dachdecker gerät.

Im Buch werden die letzten Stunden der kinderlosen Frau rekonstruiert: Wann war sie am 12. Dezember - also an ihrem Todestag - noch im Lebensmittelgeschäft in der Starnberger Maximilianstraße einkaufen? Wer hat sie zuletzt gesehen? Ist das Alibi der Adlons, die ein gespanntes Verhältnis zu ihrer Mieterin haben, wirklich stichhaltig? Ein Verdacht erhärtet sich vor allem gegen Tochter Elisabeth Adlon, die kurzzeitig in Untersuchungshaft genommen wird.

Das Wohnzimmer des Opfers zeigt Spuren eines Kampfes. (Foto: Staatsarchiv München)
Die verdächtige Schuhspur eines Mannes im Schnee auf dem Grundstück Adlon in Starnberg. (Foto: Staatsarchiv München)

Sonja Bletschacher hat unter anderem in einem Hutgeschäft in München gearbeitet und als Arzthelferin. Die 47-Jährige galt als pragmatisch und resolut. Doch in ihren letzten Jahren beschäftigte sie sich mit Okkultismus. Hofmann geht der Frage nach, ob das Opfer brisante Informationen besaß und sie jemanden erpresste. Die Archivarin fragt auch, ob es einen Zusammenhang mit dem Fall Vera Brühne gibt: Mit dem späteren Mordopfer, dem Pöckinger Arzt Otto Praun, hatte Bletschacher vor ihrer Ehe offenbar eine Affäre.

Zeithistorikerin Ulrike Claudia Hofmann liest aus ihrem neuen Buch über einen ungeklärten Mordfall vor 72 Jahren in Starnberg. (Foto: privat)

Die Ermittlungsakten offenbarten "vielschichtig die Facetten des Lebens, der Schicksale der Menschen in ihrer Zeit", erläutert die Autorin. Sie empfinde es dabei als faszinierend, dass sich die Person Sonja Bletschacher in "keine der zeitgenössischen Schubladen einordnen" lasse. Hofmann mutmaßt, wer die Frau in der Villa getötet haben könnte: eine fiktive Geschichte zwar, die aber nicht unglaubwürdig erscheint. Spannend fände es die Historikerin, wenn sich noch Menschen an diesen Fall erinnern könnten - und sich noch Hinweise ergeben würden.

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