Seeshaupt/Gräfelfing:Die zweite Geburt

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KZ-Überlebende sprechen in Seeshaupt und im Würmtal

In seiner Rede bei der Gedenkfeier zur Erinnerung an die Befreiung von 1800 KZ-Häftlingen vor 70 Jahren in Seeshaupt schlug Ulrich Chaussy einen großen Bogen: von verzweifelten Menschen, die auf überfüllten Kähnen ins Meer stechen zu den ausgemergelten Häftlingen, die tagelang in einem Güterzug durch Oberbayern gefahren worden waren. Vergleichen könne man das nicht, aber das was damals geschah, könne den Blick schärfen für das, was man heute tun könne und solle, sagte der BR-Redakteur am Mahnmal. Chaussy erinnerte an die Hilflosigkeit der Häftlinge, die ihren Bewachern ausgeliefert waren und erinnerte an die Erlebnisse der Seeshaupter nach der Befreiung der Häftlinge, als die amerikanischen Besatzungssoldaten das Dorf zur Plünderung freigegeben hatten. Acht Tage lang erfuhren sie, was für Juden unter der NS-Herrschaft Alltag war: ohne Rechte und ohne Schutz zu sein.

Viele Jahre wurde darüber nicht gesprochen, die Diskussion um die Errichtung des Mahnmals vor zwanzig Jahren habe aber das Schweigen gebrochen. Seeshaupt habe Kontakt mit Überlebenden aufgenommen und sie eingeladen und ihnen zugehört. 70 Jahre nach der Befreiung und 20 Jahre nach der Errichtung des Mahnmals erinnert nun auch eine Gedenktafel am Bahnhofsgebäude an die Ereignisse. Zur Einweihung war der heute 84-jährige Stephen Nasser aus Las Vegas angereist. Er war als Kind aus dem Zug befreit worden, seit Jahren hat er es sich zur Aufgabe gemacht, über seine Erlebnisse zu berichten. Er besucht er Schulen in den USA und liest aus seinem Buch "Die Stimme meines Bruders", das auf Tagebuchaufzeichnungen aus dem KZ basiert. Der Bruder, der kurz vor Kriegsende im Lager starb, hatte ihm den Auftrag gegeben: Er solle sich nicht von Hass zerfressen lassen. Diese Botschaft gab Nasser auch den etwa 80 Zuhörern am Seeshaupter Bahnhof mit. Er könne den Mördern nicht vergeben, aber wer Hass im Herzen trage, vergifte sein Leben. Er sei stolz, nach 70 Jahren am Ort seiner zweiten Geburt zu stehen und in lächelnde Gesichter zu blicken.

Auch Bürgermeister Michael Bernwieser bekräftigte die Aufgabe, die Erinnerung wach zu halten. Demnächst soll auch ein Lageplan sowohl das Mahnmal an der Bahnhofstraße als auch das Grabmal auf dem Friedhof zeigen und den Überlebenden und ihren Nachfahren den "Weg der Erinnerung" weisen.

Durch das Würmtal führt an diesem Samstag ein Gedenkzug, der an den Todesmarsch von Dachau erinnert. Vier Überlebende aus Israel werden mit Angehörigen den Zug begleiten, darunter Zwi Katz, der am Mittwoch vor 350 Schülern des Feodor-Lynen-Gymnasiums in Planegg einen Vortrag über seine leidvollen Erlebnisse hielt. Der Gedenkzug startet um 13 Uhr in Lochham am Parkplatz des Technomarktes. Gautinger Realschüler übernehmen um 15.45 Uhr die Mahnmal-Feier in Krailling, Gymnasiasten gestalten um 17.15 Uhr das Gedenken am Mahnmal in Gauting.

© SZ vom 02.05.2015 / kia/mak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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