Lokalposse:Die schiefe Mauer von Schondorf

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Die Seemauer ist über 100 Jahre alt. Viele verbringen hier gern ihre Freizeit. (Foto: Nila Thiel)

Seit mehr als 100 Jahren prägt eine Steinwand am Ufer das Bild des Dorfes am Ammersee. Nun gibt es Pläne, sie abzureißen - zum Unmut mancher Kulturliebhaber.

Von Johanna Heimann, Schondorf

Mit einem Glas Wein und Picknick den Sonnenuntergang auf der Ufermauer genießen - so verbringen viele Schondorfer die lauen Abende direkt am See. Die Frage ist nur, wie lange noch. Denn die 100 Jahre alte Mauer bröckelt, die Gemeinde liebäugelt mit einem Abriss. Doch für viele ist sie ein Stück Nostalgie und Architekturgeschichte. Schließlich ist sie vom Architekten Max Joseph Gradl im Stil des Art Déco gebaut worden. Und so ist nun eine Debatte im Ort entbrannt, wie es weitergehen soll mit der Mauer.

"Sie ist ein Stück unserer Identität", sagt Leopold Ploner, Mitglied des Vereins Schondorfer Kreis für Kultur und Landschaftspflege. Der Schondorfer Kreis setzt sich seit seiner Gründung 1979 für die Pflege des kulturellen Erbes im Dorf ein. Der Verein war bereits mehrmals maßgeblich daran beteiligt, Bauwerke in Schondorf zu renovieren oder sie unter Denkmalschutz setzen zu lassen. Jetzt beschäftigt er sich mit der Mauer.

2020 hat die Gemeinde Schondorf einen Ideen- und Realisierungswettbewerb für die Erneuerung der Seeanlage ausgeschrieben. Eigentlich soll die Ufermauer hier laut der Vorgaben möglichst erhalten bleiben. In der Jury sitzen Mitglieder des Gemeinderats, der Bürgermeister - und eine Mehrheit aus externen Fachpreisrichtern.

Anfang 2023 veröffentlichte die Gemeinde den Gewinner: ein Münchner Architektenbüro, das die Ufermauer entfernen und nicht erneuern will. Seither versucht der Schondorfer Kreis, die Mauer unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Das funktioniert bei Mauern aber laut der Vereinsvorsitzenden Dorothee Mayer-Tasch nur in Verbindung mit einem "stattlichen Gebäude", etwa einem Schloss.

Als Art Déco gilt Kunst zwischen den Weltkriegen

Vereinsmitglied und Jurist Peter Cornelius Mayer-Tasch schlägt den "Fortsetzungszusammenhang" als Begründung für den Denkmalschutz vor. Dieser würde suggerieren, dass nicht nur die Mauer, sondern umliegende Bauwerke als gemeinsames Werk unter den Denkmalschutz fallen. Das heißt, die Ufermauer, das Sonnenbad Ernst, die Umkleidekabinen des Strandbad Forsters und das Chauffeurshaus der Röhm Villa, auch Hunger Villa genannt. All diese Bauwerke stammen vom Architekten Max Joseph Gradl. Sie alle sind Werke des Art Déco, der "Kunst zwischen den Weltkriegen", so Dorothee Mayer-Tasch. Chauffeurshaus und Sonnenbad Ernst stehen bereits unter Denkmalschutz.

Die Mauer bröckelt seit Jahren vor sich hin. (Foto: Nila Thiel)

Schondorfs Bürgermeister Alexander Herrmann hingegen verteidigt die Abrisspläne. Er spricht sich für den Wettbewerbsgewinner aus: "Kein deutscher Ingenieur hätte die Mauer so gebaut, wie sie heute steht!" Er verstehe zwar die emotionale Bindung der Schondorfer zu ihrer Ufermauer. Ihm ist aber auch das Sicherheitsrisiko, das die Mauer mit sich trägt, bewusst. "Die Mauer steht im Uferdreck. Der Erddruck schiebt sie immer weiter weg." Die Mauer wird immer schiefer, das lässt Herrmann seit zehn Jahren abmessen.

Eine Aufrichtung der Mauer werde nicht funktionieren. "Wenn etwas so marode ist, dann muss man etwas tun", sagt der 58-Jährige. Er sieht es als unwahrscheinlich, dass die Ufermauer unter Denkmalschutz gestellt wird. Zwar sei noch nichts entschieden: "Natürlich kann es sein, dass es wieder eine neue Mauer geben wird." Herrmann erklärt, dass es sogar möglich ist, dass die Architekten der neuen Seeanlage alte Bausteine der Mauer für die Neue verwenden könnten.

Liebhaber sprechen von einem Unikat

Dass das Thema Ufermauer im Ort hohe Wellen schlägt, zeigte sich kürzlich bei einem Vortrag von Dorothee Mayer-Tasch. Ein unruhiges Raunen ging durch das Dorfhaus, als die Vereinsvorsitzende die Mauer erwähnte. "Kinder lernen hier laufen und balancieren. Sie ist einfach nicht aus Schondorf wegzudenken", sagte eine Zuschauerin. Man merkte Mayer-Tasch an, wie sehr sie für das Thema brennt: "Es ist eine Herzensangelegenheit!"

Man wolle "kein zweites Herrsching" sein und "kein zweites Utting" - beide Gemeinden haben schlichtere Mauern. Die Schondorfer Mauer hingegen, die sei "ein Unikat". Ihre Zuhörer gaben ihr recht. Auch im Publikum: Peter Gradl, Enkel des Mauerarchitekten Max Joseph Gradl. Er selbst ist auch Architekt und gegen die Veränderung der Seeanlage. Er hätte auch bei dem Architektenwettbewerb mitmachen können - hat er aber nicht: "Passt doch alles." Er weiß, dass eine Sanierung der bröckelnden Mauer aufwendig und teuer wäre, aber "sie ist Schondorf."

Für manche ist sie Ortsidentität - für andere ein Haufen maroder Steine

Schon seit 2011 dauern die Diskussionen über die Betonmauer nun an. Bereits damals forderte der Kulturverein den Denkmalschutz, dafür war die Mauer aber noch zu jung. 2023 lud Mayer-Tasch den Referatsleiter des bayerischen Amtes für Denkmalpflege, Detlef Knipping nach Schondorf ein.

Er soll die Mauer unter Denkmalschutz setzen, bevor das Münchner Architektenbüro sie abreißen kann. Doch statt der Mauer schützt Knipping das Chauffeurshaus. Ob es noch eine reale Chance auf den Denkmalschutz gibt, ist unklar.

Es scheint, als würde die Mauer nicht mehr nur den See vom Festland trennen, sondern als würde sie sich auch durch die Meinungen der Bewohner ziehen. Wann die Renovierung der Seeanlage beginnen soll, ist noch offen. Bis dahin bleibt die Mauer für die einen ein Stück Schondorfer Identität, für die anderen bleibt sie eine Anreihung maroder Steine.

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