Jazz am See:Intensives Klangerlebnis mit überraschenden Effekten

Lesezeit: 3 Min.

Das Austrian Syndicate und David Helbock. (Foto: Severin Koller)

Pianist David Helbock und Austrian Syndicate begeistern das Publikum im Pöckinger Beccult.

Von Reinhard Palmer, Pöcking

Nach der packenden, bisweilen gar wilden Show der Tastenelektronik fällt es schwer zu glauben, dass der österreichische Pianist aus dem Vorarlberg, David Helbock, trotz früher Beschäftigung mit dem Jazz im Studium das klassische Konzertdiplom erwarb. Es gibt Projekte, in denen dies an seiner pianistischen Spieltechnik sicher deutlicher erkennbar ist. Doch Feldafings "Jazz am See" lud ihn ins Pöckinger Beccult mit dem Austrian Syndicate ein - eine Formation, die schon von der Besetzung her ganz andere Prioritäten setzt als klassische Spielkultur.

Die österreichische Jazzlegende, der Keyboarder Joe Zawinul, und seine Band "Weather Report" kann durchaus als Vorbild in Betracht gezogen werden. Zu erkennen an der starken Rhythmusgruppe, die beim Austrian Syndicate aus dem Jahrzehnte aufeinander eingespielten Duo Herbert Pirker (Schlagzeug) und Raphael Preuschl (Bass) sowie Claudio Spieler (Perkussion) besteht. Aber während Weather Report in seiner Fusion-Ausrichtung eher zum Rock tendierte, liebäugelt das Austrian Syndicate vordringlich mit dem Jazz, das mit avantgardistischen, sehr eigenen Klangfarben und überraschenden Effekten experimentiert.

Das im Vergleich fehlende Saxophon und die Rolle Zawinuls übernimmt Helbock mit Keyboards und Synthesizern. So fällt Peter Madsen, dem Wahlösterreicher aus Wisconsin (USA), bei dem Helbock einst Jazzpiano studierte, die Rolle zu, die kontrastierenden Bestandteile zu verbinden und sensiblere Klangfarben beizumengen. Was die Spielweise des Austrian Syndicate besonders auszeichnet, ist ein kernig-packender Zugriff, behutsam eingepflegter Ideenreichtum in improvisatorischen Parts und eine enorme Intensität beim Musizieren. Letzteres ist ein bestimmender Faktor in den in weiten Bögen hinterlegten Choreografien, die stets mit satter Substanz beginnen, dann über allmähliche Steigerung aufgebaut entsprechend gewaltige Klangfluten benötigen, um sich in der Verdichtung zum Höhepunkt hin bis zur Ekstase emporzuschwingen.

Ein enormer Gewinn im Spiel ist die Zuwendung zu den individuellen Stärken der Musiker. Jedes Mitglied im Austrian Syndicate darf seine charakteristischen Eigenheiten nicht nur beisteuern, sondern sie auch solistisch ausleben. Aber da es für ein Instrument allein dann doch zu dünn wäre, pausierten die restlichen Musiker meist nicht gänzlich, sondern zogen sich in eine ostinate Begleitung zurück, die schon mal für Grundsubstanz sorgte und die Soli wirkungsvoll in Szene setzte - bisweilen auch im fesselnden Dialog mit einem anderen Instrument.

Virtuose Verwandlung in eine Ballade voller Atmosphäre

Anders in den Intros, die gänzlich solistisch in die Materie einführten und Gelegenheit boten, von jeglichen Bindungen befreit intuitiv den Zugang zum nachfolgenden Stück zu suchen. Es konnte schon über sehr verschlungene Weg gehen, bis sich dessen Grundmotiv herausschälte. So begann Helbock etwa "The Ups and Downs" mit sphärischen Synthesizer-Klängen, arbeitete sich zum E-Piano-Ragtime zurück, um schließlich bei einer ausgedehnten thematischen Linie anzukommen, die als Bassfundament avantgardistisch-virtuosem Florieren das Feld öffnete.

Preuschels klangkuriose E-Bassstimme leitete beredsam ins "We need some Help down here" ein, das sich in eine atmosphärische Ballade verwandelte, um schließlich dank Elektronik zu einem symphonischen Kopfkino zu mutieren. Pirker leitete nicht nur "Dindonneau" ein, sondern auch das zweite Set nach der Pause. Und er wurde seiner Weckrufaufgabe mehr als gerecht: Mit fulminantem Solo sorgte er dafür, dass der Rhythmus übers ganze Stück prägend blieb.

Rasantes Spiel bis zur Ekstase

Für die Feinarbeit mit spannenden Klangnuancen war Spieler zuständig. Zudem beherrscht er Konnakol, eine Art Silbensprache-Scatgesang, der mit rasantem Zungenschlag die Klänge einer südindischen Doppelkonustrommel nachahmt. Das weckte reichlich Enthusiasmus, sodass sich Spieler ansonsten in Minimalismus üben konnte. Er blieb in Südindien mit der Kanjira: Ein tamburinähnliches Instrument, mit dem er Packendes zu kreieren verstand.

Dass es beim Cineasten Madsen, der nach eigener Moderation auch zu Stummfilmen improvisiert, imaginativ zugehen würde, lag auf der Hand. Das Intro zu "The third Man" nutzte er - ohne Bezug zur Filmmusik - auch dazu, seiner ausdrucksstarken pianistischen Virtuosität freien Lauf zu lassen. Die größte Überraschung erwartete das begeisterte Publikum im Finale, das mit "Komm, lieber Mai und mache" plötzlich ganz andere Klänge anstimmte: Karibisch vergnügt wetteiferten die Musiker im Spielwitz untereinander und sorgten für reichlich gute Laune. In der rasanten und stark verdichteten Latin-Zugabe sollte es noch einmal wild und opulent zugehen - in bewährter Choreografie bis zur Ekstase.

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