Oper in Andechs:Überzeugende Versuchsanordnung

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Florian Zwipf-Zaharia inszeniert für das Carl Orff Fest dessen fast melodiefreies Jugendwerk "Gisei" und kombiniert dies mit einer Choreografie zu Mozarts Klavierkonzert in d-Moll.

Von Reinhard Palmer, Andechs

Die Aufführung von Mozarts Klavierkonzert d-Moll KV 466 erntet neben begeistertem Applaus auch einige Buhrufe. Doch die gelten keinesfalls den Ausführenden. Die Münchner Symphoniker und die armenische Klaviersolistin Margarita Oganesjan unter Leitung von Hansjörg Albrecht geben das an Dramatik reiche Werk kraftvoll, in den Rahmensätzen beherzt, den langsamen Mittelsatz indes in klangsatter Sinnlichkeit - alles ganz im Sinne Mozarts von edler Schlankheit. Auch die fünf Tänzer des Münchner Gärtnerplatztheaters zeigen eine reife Vorstellung mit erzählerischen Motiven des italienischen Choreographen Matteo Carvone. Der Tanz in eindrucksvollen Bildern wird frontal auf den Schleier projiziert, hinter dem die Handlung stattfindet: zwei Perspektiven einer Geschichte.

Was in der Aufführung des Carl Orff Festes im fast ausverkauften Andechser Florian-Stadl so Manchem missfällt, ist offenbar die Idee an sich, Mozarts Klavierkonzert zu inszenieren - vielleicht ein Tabubruch. Doch will man Mozarts Klavierkonzert mit Orffs Musikdrama zusammenbringen, ist ein unkonventioneller Blickwinkel nötig. Der Wink mit dem Zaunpfahl vorab war ja deutlich genug: Zwei Ohren wurden da auf den Schleier projiziert, deren Bild Oganesjan improvisatorisch mit monotonen Tonwiederholungen und harmonischen Reibungen interaktiv verzerrte: Ein Versuch, die Zuhörer aus dem Klammergriff ihrer Hörgewohnheiten zu befreien. Dann erst setzt das Orchester attacca mit dem Klavierkonzert ein.

"Gisei & Mozart Klavier 20" war eine Art Versuchsanordnung, Mozarts Dramatik zum jugendlich-expressiven Orff in Beziehung zu setzen. Im Grunde war es gewagter, im zweiten Teil vom Münchener Bach-Chor das "Lacrimosa" aus Mozarts Requiem stimmmächtig als Prolog und Epilog singen zu lassen. Aber indem der Focus auf die Dramatik und Ausdruckskraft gelenkt war, gelang eine bruchlose Synthese, auch wenn Orffs geballte Spannung - nahezu gänzlich ohne Melodiebildung - formal in extremem Kontrast zu "Lacrimosa" stand. Das lag vor allem daran, dass sich der damals erst 17-jährige Komponist an den asiatischen Formen des Musikdramas orientierte: "Gisei - Das Opfer" entstand nach dem japanischen Drama "Terakoya" (Die Dorfschule) von Takeda Izumo. Die Geschichte ist an Tragik kaum zu überbieten und hat im Original sieben bis acht Stunden Spieldauer. Europäer bringen gerne alles schneller, mit extremer Konzentration auf den Punkt. Orff entnahm die entscheidende Szene und setzte eine kurze Einleitung mit der Vorgeschichte voran, Nebenschauplätze entfielen. Die Handlung ist auch in der abendländischen Geschichte nicht neu: Ein Fürst wird ermordet, dessen Sohn aber vor dem Feind versteckt, schließlich entdeckt, soll er sterben. Die überraschende Wendung im Geschehen ist aber typisch asiatisch: Um seine Ehre wiederherzustellen, opfert der übergelaufene Vasall seinen eigenen Sohn anstelle des Fürstenkindes.

Florian Zwipf-Zaharia stand bei der Inszenierung vor einer Gratwanderung zwischen spätromantischer Instrumentierung und impressionistischer Harmonik mit neumusikalischen Schärfen. Er versuchte, ein japanisches Klangbild mit adäquaten Stimmungen zu kreieren. Thomas Bruner griff im Bühnenbild die Formensprache von Scheren- und Holzschnitten in Schwarz, Weiß, Dunkelblau und Rosa auf, konterkariert mit gelben Schreibpulten der Schüler - also eher eine offene Konfrontation der Kulturen. Zwipf-Zaharia bediente sich der Bewegungsabläufe und der expressiven Gestik japanischer Schauspielkunst mit Zurückhaltung. Die Darsteller Ezgi Kutlu und Ulrike Malotta, Raymond Ayers, Joachim Goltz und Richard Resch sowie die Solisten des Münchner Knabenchores verstanden es, symbolbeladenes Agieren mit adäquat pointiertem Gesang stimmig zu verbinden. Kein leichter Stoff, zumal Orff mit Worten und musikalischen Zitaten spielte. Die Symbolik ist vielfältig, doch Zwipf-Zaharia schuf Klarheit. Etwa wenn die Kinder den getöteten Schmetterling mit Lilien der Unschuld begruben und die Lehrerin einen Kirschblütenzweig mit den Worten "Der schöne Strauß", in die Vase drapierte - nachdem das Orchester an Richard Strauss erinnert hatte. Das Konzept ging auf und überzeugte schließlich auch die Skeptiker.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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