Kurz vor 18 Uhr am Dienstagabend: Im Schankraum des Craft Bräu in Dießen wird das Kneipenklavier aus der Ecke geschoben, einige Sängerinnen und Sänger sitzen bereits an den Tischen. Noch sind es zu wenige für einen Kneipenchor und keiner weiß, wie viele noch kommen werden. "Das ist ein Experiment", sagt Chorleiter Thomas Zagel, und das gilt auch für ihn, den Chorleiter mit jahrzehntelanger Erfahrung. Doch die Gründung eines Kneipenchors ist etwas Neues. Und die Frage, ob ein Kneipen-Chor beim Singen nun sitzt oder steht, wird im Laufe der Übungsstunde mit "sowohl als auch" beantwortet.
Mit Öffnung der Kneipe am späten Nachmittag startet auch der Chor. Für manche ist es wohl noch zu zeitig, immer wieder kommen Nachzügler in den Gastraum, was aber nicht stört, denn sie singen sogleich mit. Am Schluss werden es rund 40 Sängerinnen und Sänger sein, die mit breitem Lächeln im Gesicht mehrstimmig ein Lied anstimmen. Seit etwa einem Jahr wird die Idee eines Kneipenchors schon verfolgt, erzählt Mitinitiator Hans-Peter Sander. Die Genossenschaft Craft-Schaft eG betreibt die Schankhalle des Craft Bräus. Aus Berlin schwappte die Idee des Kneipenchors via soziale Medien an den Ammersee. Der Gastraum füllt sich weiter, und Sander freut sich sehr darüber, dass die Idee so gut ankommt.
Mitinitiator Roland Nagl konnte Thomas Zagel gewinnen, der ehrenamtlich den Kneipenchor leiten wird. Es gibt keine Verpflichtungen, keine Kleidervorschriften und kein Vorsingen. Alle sind willkommen - auch die, die keine Chorerfahrung haben. Gesungen werden sollen Lieder, die in eine Kneipe passen, meint Nagl. Mitmachen dürfen alle, auch vermeintlich Untalentierte, und der Kneipenchor soll regelmäßig proben. Nagl denkt schon an kleine Auftritte im Craft Bräu oder im Freundeskreis, wenn erst einmal ein kleines Repertoire steht. Soweit geht der Chorleiter zwar noch nicht, steigert aber behutsam die Schwierigkeitsstufen der Lieder. Einige Sängerinnen und Sänger haben bereits in früheren Jahren Chorerfahrung gesammelt, so wie Christiane Rabe. Ihr gefällt, dass sie im Kneipenchor "einfach loslegen" kann und freut sich, dass sie nun wieder mit dem Singen anfangen kann.
Chorleiter Zagel war bis Februar Musiklehrer am Gymnasium Tutzing, seit Jahrzehnten steht er dem Kammerchor Dießen vor. Er glaubt an unentdeckte Gesangstalente. Nicht ganz klar ist zu Beginn, wie gesungen werden soll. "Es gibt Kneipenchöre, die singen einstimmig", sagt er und erklärt alles Theoretische einfach und kurz, als sich jemand auf den Passus "keine Vorkenntnisse nötig" beruft. Musikkenntnisse sind tatsächlich nicht nötig, auch Noten muss man nicht lesen können.
"What will we do with a drunken sailor?"
Ausgeteilt werden stattdessen angestaubte Gesangsschulbücher, die Zagel schon vor 15 Jahren hätte entsorgen sollen. Die Lieder, die er ausgewählt hat, werden aber nicht so hoch gesungen wie vorgesehen. "Inzwischen singen wir tiefer", erläutert er. Gebraucht werden die Gesangsbücher für die Texte und die Abfolge. Die jeweiligen Melodien spielt er auf dem Klavier mehrmals vor, damit es sich einprägt. Davor bietet er Stimmübungen an, erklärt launig Sinn und Zweck. Mit vollem Einsatz geht es beim ersten Lied weiter: Zagel macht vor, wie Taue gezogen werden, erläutert, worauf es ankommt - und dann geht es los mit dem Klassiker "Drunken Sailor". Das hört sich gut an und lädt zum Mitsingen ein.
Weiter geht's mit Bayrischem von Karl Valentin und einem Pop-Klassiker. "Ich bin überrascht, dass ihr so gut singen könnt", lobt Zagel, und testet mit einem anspruchsvolleren Song, wie weit er gehen kann. Stück für Stück wird "Rock my soul" mit Rhythmusvorgaben erarbeitet. Am Ende schaffen es alle. Sogar als Kanon erklingt das Lied in der Kneipe, weil alle konzentriert bei der Sache sind. Nach dem letzten Lied bescheinigt Zagel dem Kneipenchor: "Es wird was!"
Lustig und locker findet Kneipensängerin Rabe die Gründungssingstunde. Eine Runde gemeinsames Singen macht auf jeden Fall gute Laune, möglicherweise etabliert sich der neue Trend. Alle zwei Wochen sollen die Übungstreffen des Kneipenchors im Craft Bräu jeweils dienstags von 18 bis 19 Uhr stattfinden, in den Schulferien gibt es voraussichtlich andere Regelungen.
Eine offene Gesangsgruppe formiert sich am Donnerstag, 11. April (19 Uhr), auch in Herrsching. Die "Künstler aus dem Einbauschrank" (DKADE) möchten einen "barrierefreien Kneipenchor zum Mitsingen und Zuhören" in der vormaligen "Getränkequelle Schwarz" gründen. Den Laden in der Madeleine-Ruoff-Straße hat die Initiative Herrschinger Kulturschaffender vorerst bis Ende Mai für Veranstaltungen und Ausstellungen angemietet. Jeden Donnerstag soll sich dort der "Offene Quellchor" um 19 Uhr treffen. ARM