Weltfrauentag:"Das Kopftuch ist kein Stück Stoff, es ist eine Waffe"

Lesezeit: 3 min

"Vielen iranischen Frauen wurde ihr Leben im Kampf gegen das Kopftuch genommen": Mina Ahadi bei ihrem virtuellen Auftritt in Dießen. (Foto: Nila Thiel)

Ein Leben in Freiheit, auch als Frau - das ist die Vision von Mina Ahadi. Im Rahmen der zweiten Dießener Frauentage der Freien Kulturanstalt diskutiert die Aktivistin mit den Gästen der Mittwochsdisko über die aktuellen Entwicklungen im Iran.

Von Luzi Power-Feitz, Dießen

"Ich wollte Marx lesen, Kaffee trinken und kein Kopftuch, sondern Minirock tragen, aber das hat überhaupt nicht funktioniert", sagt Mina Ahadi und muss lachen. Aber nicht der Minirock wäre das Hindernis gewesen - es war das Buch. "Unter der Dynastie der Pahlavi war das Denken verboten", so die Aktivistin.

Im Rahmen der zweiten Dießener Frauentage der Freien Kunstanstalt veranstaltete die Mittwochsdisko zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bayern und dem Kurt-Eisner-Verein in der Alten Schreinerei eine Diskussionsrunde mit der Aktivistin Mina Ahadi. Die 66-Jährige kämpft inzwischen seit 44 Jahren gegen die Unterdrückung der Frauen in Iran. Sie ist Gründerin der "Internationalen Komitees gegen Steinigung und Todesstrafe" und seit 2007 Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime. "Wir wollen eine säkulare, laizistische Zukunft für Iran. Wir möchten Freiheit und Gleichheit, ein Ende der Geschlechter-Apartheit", so die Aktivistin.

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Als Kind ging Mina Ahadi nur mit Kopftuch auf die Straße. "Ich habe diesen Stoff sehr gut kennengelernt", erinnert sich die 66-Jährige. "Allah möchte das so", antwortet der Vater als sie als kleines Mädchen die Frage stellt, wieso ihr Bruder mehr Rechte habe als sie. Als Jugendliche wird Mina Ahadi gegenüber ihrer Religion zunehmend skeptisch. "Ich habe aufgehört zu beten, und war dann irgendwie Atheistin", erzählt die gebürtige Iranerin.

Als Teil der linken Opposition engagierte sich Ahadi bei der Revolution gegen Schah Mohammad Reza Pahlavi im Jahr 1978. "Die Revolution war nicht von Anfang an islamisch, sie wurde islamisch gemacht", so die Aktivistin. "Die westlichen Regierungen haben in Iran eine große Rolle gespielt. Die meisten Iraner wollten kein islamisches Regime." Die Machtübernahme der Islamischen Kräfte im Iran beschreibt die Aktivistin als einen herben Rückschlag für alle Frauen.

"Meine Lebensgeschichte ist nur eine von 100 000 Frauen", sagt Ahadi

Trotzdem ziehen 100 000 Frauen am Weltfrauentag 1979 auf die Straße, um für ihre Rechte einzustehen. Eine davon ist Mina Ahadi. Viele Demonstrantinnen wären festgenommen, vergewaltigt und später hingerichtet worden. Die restlichen Frauen hätten fast alles verloren, so die Aktivistin. Mina Ahadi pausiert kurz, danach sagt sie: "Meine Lebensgeschichte ist nur eine von 100 000 Frauen." Nach der Demonstration wurde die Aktivistin von der Universität in Täbris ausgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon sechs Jahre ihres Medizinstudiums hinter sich, wäre beinahe fertig gewesen mit ihrer Ausbildung zur Ärztin.

Nichtsdestotrotz kämpft sie weiter: Gemeinsam mit ihrem ersten Mann veröffentlicht sie regimekritische Texte. Als ihre Wohnung 1980 durchsucht wird, ist Mina nicht zu Hause. Ihr Mann schon - er wird festgenommen. Aus der Zeitung erfährt die junge Frau vier Wochen später, dass ihr Mann hingerichtet wurde. Gegen die Aktivistin wird die Todesstrafe verhängt. Im Publikum erstarren einige Gesichter, andere schütteln entsetzt den Kopf. Mina Ahadi lebt monatelang im Untergrund in Teheran. Danach flieht sie nach Kurdistan, wo die Partisanin zehn Jahre lang lebt und ihren jetzigen Mann kennenlernt. Trotz ihrer Vergangenheit hat sich Mina Ahadi eine kindliche Leichtigkeit bewahrt. Über die Leinwand sieht man die Aktivistin immer wieder lächeln.

Als Mina Ahadi schwanger wird, flieht sie im Jahr 1990 nach Wien. Dort sucht sie sofort den Kontakt zu Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, baut sich ein Netzwerk auf, um aufmerksam zu machen auf die Verbrechen an Frauen in Iran. "Ich war mir damals sicher, dass die Uhren stehen bleiben, wenn die Welt von den Steinigungen von Frauen hört", erzählt sie. Bei einem Frauenkongress der Uno im Jahr 1993 in Wien traut sie ihren Augen nicht, als Vertreterinnen des Mullah-Regimes über Feminismus sprechen. "Das war ein Schock. Trotz meiner schlechten Deutschkenntnisse, habe ich versucht mit Reportern zu reden - und zwar über die wahre Situation in Iran."

"Es sollte keine Zusammenarbeit mit dem Islamischen Regime geben", fordert sie

Sprechen über die Situation in Iran - das macht die Aktivistin auch heute noch. Sie setze viel Hoffnung auf die aktuelle Revolutionswelle, so Ahadi. Trotzdem bräuchten die Menschen vor Ort internationale Unterstützung. Eine Prognose treffen über zukünftige Entwicklungen, will Ahadi nicht. "Das Regime ist unberechenbar. Erst letztens hat es unschuldige Kinder vergiftet, wer weiß was als nächstes kommt", erklärt sie.

An der deutschen Bundesregierung übt die Aktivistin Kritik: "Deutschland hat immer die Augen verschlossen und weiterhin Beziehungen zu Iran gepflegt." Als einer der Gäste im Publikum fragt, was getan werden müsse, um den Menschen im Iran zu helfen, antwortet Mina Ahadi: "Alle Beziehungen abbrechen. Es sollte keine Zusammenarbeit mit dem Islamischen Regime geben, solange die Regierung ihre eigenen Menschen umbringt." Außerdem fände sie es "zum Kotzen", wenn europäische Politikerinnen mit einem Kopftuch nach Iran reisen. Das Publikum beginnt zu klatschen, die meisten können sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dann wird es wieder still. "So vielen iranischen Frauen wurde ihr Leben im Kampf gegen das Kopftuch genommen, was soll das?", sagt sie und schüttelt den Kopf.

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