Musik:In schauerlicher Atmosphäre

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Ins Geheimnisvolle entführen die Pianistin So-Jin Kim und der Tenor Julian Prégardien die Zuhörer im Liederzyklus "Winterreise" von Franz Schubert im Andechser Florianstadl. (Foto: Georgine Treybal)

Der Tenor Julian Prégardien und die Pianistin So-Hin Kim interpretieren Schuberts Liederzyklus "Winterreise" im Andechser Florianstadl auf besonders berührende Weise.

Von Reinhard Palmer, Andechs

Die leichtere Muse wie in Operette oder Musical ist wohl nicht sein Ding, aber ansonsten gibt es kein Gesangsfach, in dem der knapp vierzigjährige Tenor und Gesangsprofessor in München, Julian Prégardien, nicht erfolgreich wäre. Oper, Lied und Konzert gleichermaßen meisterhaft zu beherrschen, ist eine enorme Leistung, aber auch eine Art Freischein, eigene Vorstellungen umsetzen zu dürfen.

Und den löste er in der Reihe Lied International im beschämend dürftig besuchten Andechser Florianstadl ausgiebig, zumal ihm mit der künstlerischen Leiterin und einstigen Meisterschülerin des Altmeisters in der Liedbegleitung und hier Schirmherren Helmut Deutsch, So-Jin Kim, eine überaus einfühlsame und pianistisch hochmusikalische Klavierbegleiterin zur Verfügung stand.

Schuberts 24-teiligem Liederzyklus "Winterreise" Neues abzugewinnen, ist bei der Popularität und bis ins Detail durch analysierten, etablierten Interpretationsweise eine Gratwanderung auf dünnem Eis. Schubert hatte ja die Gedichte von Wilhelm Müller mit feinsten emotionalen Nuancen in der musikalischen Auslegung bereits festgelegt. Heißt es oft. Aber Müllers Gedichte sind überaus bedeutungsschwanger, vieldeutig, voller Metaphern und Gleichnisse. Und Schubert hatte 1827 nur einen "Zyklus schauerlicher Lieder" angekündigt. Das alles bietet viel Raum für Neubetrachtungen, die Prégardien auch wagte. In erster Linie auf der emotionalen Ebene, denn jede Interpretation der Winterreise beginnt mit einer eigenwilligen Atmosphäre, die die Weichen stellt für die jeweilige Ausdeutung. Für Prégardien galt Schuberts Einschätzung als Grundstimmung: schauerlich.

Eine Orientierung, die allerdings noch eine Menge Raum für Auslegungen offen lässt. Für Prégardien bedeutete sie in erster Linie, sich in der Lautstärke weit zurückzunehmen, in einen Bereich des Geheimnisvollen und Ungewissen. Ein schattiger Grundtenor am Rand zum Abgrund, aus dem aber auch vieles emporwachsen, herausblühen, emporstürmen oder dramatisch ausbrechen konnte. Einen solchen Zugriff kann sich allerdings nur jemand leisten, dessen Stimme auch in den leisesten Registern noch trägt und ihre Substanz behält. Selbst in den leisesten Ausdrucksnuancen der Kraftlosigkeit und Ermattung garantierte Prégardiens Textverständlichkeit, seine Stimme hob sich auch ausreichend von der Klavierbegleitung ab, um feinste Farbnuancen noch wahrnehmbar zu machen.

Mit düsterem Hintersinn

So wurde selbst monotone Narration noch ein eindrucksvolles musikalisches Gestaltungsmittel. Besonders wirkungsvoll, obgleich höchst minimalistisch, gerieten die Wendungen im choreographischen Aufbau, der in jedem Lied eine Reise durch weite Gefühlswelten darbot. Etwa in "Erstarrung", beginnend bewegt über einer ruhelosen Klavierbegleitung: "Ich such im Schnee vergebens / Nach ihrer Tritte Spur". Dann der forsche Entschluss: "Ich will den Boden küssen, / Durchdringen Eis und Schnee", um anschließend in geschmeidiger Sanftheit "Wo find ich eine Blüte, / Wo find ich grünes Gras?" für eine Spur von Hoffnung zu sorgen. Letztendlich doch eine Wendung zum verhaltenen Zweifeln in "Soll denn kein Angedenken / Ich nehmen mit von hier?", um schließlich in banger Beklommenheit die Schlusszeilen einzuleiten mit "Mein Herz ist wie erfroren, / Kalt starrt ihr Bild darin". Sogar im sehr abgegriffenen "Der Lindenbaum", längst zum Volkslied geworden, gelang es Prégardien, mit ausgeprägten Charakterwechseln eine gehaltvolle Erzählung zu entspinnen.

Eine Herausforderung besonderer Art stellten Vertonungen von Gedichten dar, die in ihren metaphorischen und vieldeutigen Formulierungen ihren hintergründigen Gehalt im Ungewissen und Angedeuteten belassen. Prégardien wagte auch hier einen Blick hinter die vorgeschobenen Bilder, die den düsteren Hintersinn meistens verharmlosen. So in "Irrlicht" mit der Pointe "Jeder Storm wird's Meer gewinnen, / Jedes Leiden auch ein Grab." Aber nicht alles in der Winterreise ist so beklemmend. Der "Frühlingstraum" in sanfter, unbekümmerter Heiterkeit leuchtete darin umso mehr, trotz energisch-dramatischer Einschübe. Schließlich ging es darin bis zu einer hoffnungsvollen melodischen Geschmeidigkeit. Aber zuletzt blieb, was "Der Leiermann" an schauerlicher Atmosphäre in erstaunlich leisen Registern hinterließ. Eine Winterreise, die mächtig unter die Haut ging.

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