Lehrermangel:"Die Lage ist prekär"

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Auch im Ammerseer Landheim hat in dieser Woche wieder die Schule begonnen. Eine aufregende Zeit für die Fünftklässler und ihre neue Mathe- und Physik-Lehrerin Birgit Lotz. (Foto: Nila Thiel)

An den Schulen im Fünfseenland kann der Unterricht bereits zum Schulanfang gerade noch so gestemmt werden - und auch das nur dank Quereinsteigern und kreativer Improvisation.

Von Viktoria Spinrad, Starnberg

Eines möchte Sylke Wischnevsky betonen. "Die Stimmung ist gut", sagt die Schulleiterin des Gautinger Otto-von-Taube-Gymnasiums und wählt noch eine nautische Metapher: "Wir verlassen den Hafen mit vollem Dampf voraus." Trotz allem, muss man hinzufügen. Denn damit zum neuen Schuljahr alles reibungslos läuft, musste ihr Team zuletzt als Headhunter Personalakquise betreiben. Kandidaten scouten, kennenlernen, seitenweise Verträge unterzeichnen. Es hat sich gelohnt, eine Handvoll Quereinsteiger unterrichtet nun an Wischnevskys Schule, der Unterricht ist soweit gesichert, in Gauting wie im gesamten Landkreis Starnberg. Man sei, sagt Schulamtsleiterin Karin Huber-Weinberger, mit "einem halben blauen Auge davongekommen".

Drastischer formuliert es Nicole Bannert, stellvertretende Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV). Die Lage sei "total prekär", sagt sie, und in der Region nur deshalb abgedämpft, weil die Schulen alles rekrutiert hätten, was geht. Das mussten sie auch: Denn zu den immer mehr Schülern, aber zugleich schwindenden Anzahl an Lehrern, greift zu diesem Schuljahresbeginn noch die Schulpflicht für ukrainische Schüler, die seit mindestens drei Monaten im Freistaat leben. Diese sollen an den Grundschulen in den normalen Klassen mitschwimmen und an den weiterführenden Schulen in eigenen Brückenklassen unterkommen. Dort sollen sie vor allem Deutsch lernen, um dann in einem Jahr am regulären Unterricht teilnehmen zu können.

Die Anstrengungen für einen geschmeidigen Start seien erheblich größer als sonst gewesen, sagt Sylke Wischnevsky, die Direktorin des Otto-von-Taube Gymnasiums. (Foto: Nila Thiel)

Ein logistisches Kunststück in einer Zeit, in der die Schülerzahlen steigen, aber zugleich bayernweit Hunderte Lehrer fehlen, weil weniger nachrücken als in Pension gehen und mehr als die Hälfte in Teilzeit arbeitet. Im Schulamt hat man deshalb eine Taskforce gebildet, in der auch Vertreter weiterführender Schulen sitzen. Was die Schulamtsleiterin beschreibt, klingt ein wenig nach Tetris: Hier ein paar Stunden an die Mittelschule geben, dort ein paar Stunden aufstocken, damit der Kollege nicht noch quer durch den Landkreis fahren muss, da eine ukrainische Lehrerin für die Brückenklasse einstellen. Das Geld sei ja da, sagt Huber-Weinberger, nur fehlten eben die Köpfe. "Doch der Fischteich ist leer", sagt sie.

Wer ist doch umgezogen oder zurück in der Heimat? Stehen unerwartete neue ukrainische Schüler vor der Tür? Wie viele sitzen am Ende tatsächlich in den Klassen? Der Schulstart gleiche einem Überraschungsei, sagt Schulamtsleiterin Karin Huber-Weinberger. (Foto: Nila Thiel)

Die Lücken füllen nun studierte Quereinsteiger und Lehrerinnen aus der Ukraine. Für Letztere liegen die Hürden durchaus hoch: Mit C1 benötigen sie das zweithöchste Sprachzertifikat. Sie sind es nun, die vor allem die sprachliche Integration ihrer Landsleute in den Brückenklassen ermöglichen sollen. Zwar seien noch nicht alle Verträge unter Dach und Fach. Man habe aber tolle ukrainische Lehrerinnen gefunden, die perfekt Deutsch sprächen, sagt Huber-Weinberger. So auch in Gauting. Um die Altersgruppen ähnlich zu halten, hat man die Brückenklassen hier nach Alter gestaffelt: Die Jüngeren gehen auf die Mittelschule, die Mittleren auf die Realschule und die Älteren sind am Gymnasium bei Schulleiterin Sylke Wischnevsky angesiedelt.

Erfahrene Lehrer greifen nun den Quereinsteigern unter die Arme

Drei ukrainische Lehrkräfte haben sie hier rekrutiert: eine für Deutsch, eine für Englisch, eine für Mathe. Es sei ein großer Vorteil, sagt Wischnevsky, dass diese auch auf Ukrainisch mit den Kindern reden könnten. Ambivalenter wirkt sie beim Thema Quereinsteiger. Schule brauche einen langem Atem, sagt sie, da könne man nicht dauerhaft mit befristeten Aushilfen arbeiten. Die Solidarität im Kollegium sei aber "top". Teils hätten Lehrer extra aufgestockt, um Lücken abzudecken. "Wir fühlen uns in der Verantwortung, junge Leute sind schließlich die Zukunft", sagt sie.

Als Schulleiterin der Starnberger Grundschule weiß BLLV-Vertreterin Nicole Bannert (links) auch aus eigener Erfahrung um die Herausforderungen an den Schulen. Ukrainische Schüler wie Tymofil (rechts) werden nun von Lehrerinnen wie Michaela Schweiger (Mitte) direkt im Klassenverbund unterrichtet. (Foto: Nila Thiel)

Für 1336 Neulinge hat in dieser Woche die Schule im Landkreis begonnen, sie sitzen im Schnitt in überschaubar großen Klassen: mit 23,8 Schülern an den Grundschulen und 20,5 Schülern an den Mittelschulen, mit 28 Prozent hat rund jeder vierte Migrationshintergrund.

Einsatzbereitschaft müssen auch die Lehrer hier zeigen. Da Fachlehrer fehlen, bringen sie den Kindern vielerorts nun Werken und Gestalten, Wirtschaft und Technik bei.

Der Pflichtunterricht ist abgedeckt, doch AGs fallen vielerorts aus

Ganz auf der Strecke bleiben teils Arbeitsgemeinschaften wie Chor und Theater. "Große Sprünge können wir hier nicht machen", sagt Schulamtsleiterin Huber-Weinberger. Auf der Website des Schulamts wirbt sie um weitere Lehrkräfte. "Wir suchen Sie!", steht da. Quereinstieg, Fachlehrer, Förderlehrer, Brückenbauer - die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. "Qualifizierte Leute, die wir bei Bedarf kontaktieren können, brauchen wir immer", sagt sie.

Viele hoffen nun auf die Brückenbauer, die über die Sommerferien ausgestellt waren und weiter helfen sollen, Corona-Lücken zu schließen. Ein kleiner Lichtblick für die Schulfamilie ist auch die Tatsache, dass Kultusminister Michael Piazolo (FW) das Betretungsverbot für schwangere Lehrerinnen an Schulen aus der Coronazeit aufgehoben hat. Diese sind also nicht mehr darauf beschränkt, daheim Materialien zu erstellen und zu korrigieren, sondern dürfen auch wieder im Klassenzimmer stehen. "Wir sind gottfroh um jeden, den wir haben", sagt Nicole Bannert, die Verbandsvertreterin. "Es bleibt spannend", sagt Schulamtsleiterin Karin Huber-Weinberger. Schulleiterin Sylke Wischnewsky sagt schlicht: "Wir schaffen das."

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