Kultur:Die letzten Stunden von Thomas Mann in Feldafing

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Die letzten Gäste im Villino des Schriftstellers: Dirk Heißerer führt japanische Besucher durch die halbleeren Räume.

Von Sabine Bader, Feldafing

Ein Großteil des Inventars steht bereits fertig in Kisten verpackt zur Abholung bereit. Auch wenn an den Wänden noch einige Bilder hängen. (Foto: Nila Thiel)

"Man kann das Haus jetzt, wo fast keine Möbel mehr drin sind, viel besser bewundern", sagt Dirk Heißerer bei seiner letzten Führung und lacht. Der Literaturwissenschaftler ist ein positiver Mensch und er kann selbst dieser unguten Situation noch etwas Positives abgewinnen. Zur Erinnerung: Im Juni dieses Jahres hatte die Klinikleitung der Benedictus-Krankenhäuser Heißerer überraschend gekündigt. Dabei war er es, der Thomas Manns Sommerdomizil 1994 auf dem damaligen Kasernen-Areal wiederentdeckt hatte. Doch Heißerer will nicht jammern. "Aus einem Thomas-Mann-Haus werden bald drei werden", sagt er. In Tölz, Polling und Tutzing soll mit Inventar aus dem Feldafinger "Villino" an den Literatur-Nobelpreisträger erinnert werden - wenn möglich in Dauerausstellungen. In der Tölzer Stadtbücherei will man ein Thomas-Mann-Zimmer einrichten. Dann wird Heißerer aber doch kurz ernst und sagt: Die Klinik, der das Gelände mitsamt dem Villino jetzt gehört, handle "geschichtsvergessen", wenn sie im Haus nur noch in einem Raum überhaupt an Thomas Mann erinnere und den Rest des Gebäudes für die krankenhauseigene Artemed-Stiftung nutze.

Dirk Heißerer (re.) zeigt den Japanischen Gästen das Villino. (Foto: Nila Thiel)

Dies und noch viel mehr erzählt Heißerer am Dienstagmittag der letzten Besuchergruppe, die er durch das fast leere Museum führt. Die vier Gäste sind Japaner. Professor Yoshimasa Oguro von der Kyushu Universität in Japan hat die 13-bändige Werkausgabe des Schriftstellers so ins Internet gestellt, dass sie auf Stichworte durchsuchbar ist, und damit laut Heißerer eine "große Forschungshilfe" geleistet. Oguro hat drei Vertreter der Deutsch-Japanischen Gesellschaft in Bayern mit nach Feldafing gebracht. Fujiko Kinugawa-Klühspies, Osamu Kobayashi und Akihiro Asano, Geschäftsführer der Deutsch-Japanischen Gesellschaft. Er hat in der deutschen Presse gelesen, dass das Villino geschlossen wird und um eine Führung gebeten. Alle vier interessieren sich für Thomas Mann. Einzig Oguro lebt in Japan, die anderen drei Gäste wohnen schon lange in München und sprechen ebenfalls sehr gut deutsch. Oguro hat 1999 an der Ludwig-Maximilian-Universität in München Germanistik studiert und, wie er erzählt, sogar über Thomas Mann promoviert. Er ist also ein Kenner der Materie, wie Heißer weiß.

Und der nutzt den kleinen Besucherkreis, um alle Register zu ziehen. Heißerer ist einfach ein Erzählkünstler und schafft es, die ausländischen Gäste mit auf eine verbale Entdeckungsreise in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu nehmen: Hier in Feldafing gönnt sich Thomas Mann zwischen den Jahren 1919 und 1923 gerne eine Auszeit von der Familie. Fernab vom Kindergeschrei daheim in München hofft er die nötige Ruhe zum Schreiben zu finden. Und es gelingt. Hier nimmt er die Arbeit an seinem über den Krieg liegen gebliebenen "Zauberberg" wieder auf. Es entsteht das bekannteste und wohl auch sinnlichste Kapitel dieses Werks: "Die Fülle des Wohllauts." Thomas Mann nennt das Villino sein "Mauseloch". Doch er verkriecht sich hier nicht nur, er macht auch ausgiebige Spaziergänge am See, arbeite danach im Garten oder im Arbeitszimmer im ersten Stock und hört im Erdgeschoss mit dem Grammophon leidenschaftlich seine Opern, schwelgt in der Musik: Wagner, Beethoven, Verdi und Puccini. Besonders der italienische Tenor Enrico Caruso (1873 bis 1921) hat es ihm angetan.

"As time goes by": Das Inventar des Villino hat einiges überstanden. (Foto: Nila Thiel)

Und was macht Heißerer? Er legt für seine letzten Gäste natürlich eine jener Platten auf den Plattenteller, die auch Thomas Mann im Villino so gerne hörte. Und wieder schallt Caruso durch den Raum - auch wenn das Zimmer heute halb leer ist. Ob der hanseatische Autor ebenso wie Heißerer dazu dirigiert hat, ist nicht überliefert, aber möglich wäre es.

Jetzt stehen an der Wand säuberlich nummerierte Umzugskartons, gefüllt mit Büchern, Bildern, Fotos und Alben. Zwei Kronleuchter liegen schon reisefertig auf dem Boden. Nur das original Straßenschild aus der Poschinger Straße in München, in der Thomas Mann mit seiner Familie gelebt hat, hängt noch immer über der Türe im Wohnraum. Es wird auch noch mitgenommen, das steht fest. Auf dem Tisch liegt das Gästebuch, in das sich nun die letzte Besuchergruppe einträgt. Heißerer wird es ebenfalls nicht seinen Nachfolgern überlassen. Das Wasser im Haus ist übrigens schon abgestellt. Heißerer hat dies natürlich moniert, weil dann auch die Toilettenspülung nicht funktioniert, doch in der Klinik war man offenbar außerstande, die Sache wieder in Gang zu bringen. So hat Heißer einfach einen Eimer mit Regenwasser in die Toiletten gestellt.

Der Literaturwissenschaftler führt seine Gäste durch so gut wie alle Räume im Haus. Zwei Zimmer im Obergeschoß haben direkt Eingang in den "Zauberberg" gefunden - das Arbeitszimmer Manns und der Schlafraum, was Heißerer erst kürzlich herausgefunden hat. Kein Wunder, dass er seinen Gästen die betreffende Passage dann an Ort und Stelle, im Arbeitszimmer, gestenreich rezitierte. Thomas Mann nennt die Räume im Obergeschoß des Villino im Roman "separiert und traulich".

Von Traulichkeit ist derzeit auf dem Gelände rund um das Villino nichts zu spüren. Neben dem Haus seht ein Bagger, dahinter ist eine Baugrube, überall liegen Geröllhaufen, Erde und Steine. Es wird gearbeitet und gelärmt auf dem Grundstück. In Richtung Osten wächst die neue Klinik mit ihren Personalbauten in die Höhe. Und schon bald wird auch im Villino gearbeitet werden. Denn laut Simon Machnik, dem Geschäftsführer der Benedictus-Krankenhäuser Feldafing und Tutzing, will man das Haus gründlich sanieren und den Keller trockenlegen. Nach der Eröffnung des neuen Krankenhauses, die für die erste Hälfte des nächsten Jahres geplant ist, sollen dann auch die Renovierungsarbeiten am Villino abgeschlossen sein. Und nimmt man Machnik beim Wort, dürfen literaturinteressierte Besucher wie Patienten Thomas Manns Mauseloch wieder begutachten. Doch wie auch immer es dann aussieht im Haus, eines wird immer Dirk Heißerers Verdienst bleiben: dass das Gebäude heute unter Denkmalschutz steht. Und daran kann niemand etwas ändern.

Als letzter Gegenstand wird übrigens das Grammophon das Villino verlassen, verrät Heißerer. Das baugleiche Instrument war eines der Herzstücke des Museums. "Es wird vermutlich an einer prominenten Stelle in Feldafing aufgestellt werden", sagt Heißerer. Wo, das will er noch nicht verraten, denn "die Betreffenden wissen noch nichts von ihrem Glück".

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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