Malerei:Ein Leben in Farbe

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Früher war er als Bergmaler bekannt, heute malt er mit geheimer Technik abstrakte Farbstimmungen: der Weßlinger Maler Karl Gaiser. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Karl Gaiser ist 93 Jahre alt und kann schon sein Leben lang nicht anders, als zu malen. Das Ergebnis: ein Haus randvoll mit Kunst. Jetzt will er sich von seinem Lebenswerk trennen.

Von Celine Urban, Weßling

Es ist einer der ersten warmen Tage des Jahres. Der Wind pustet durch die Blätter der Bäume und Büsche an der steilen Straße, sodass diese sanft rauschen. Über dem hellgelben Haus am Hügel oberhalb vom Weßlinger See liegt zufriedene Stille. Die Einfahrt führt zu einer großen Garage, das Tor steht offen. Davor zwei Liegestühle, auf denen ein grauhaariges Paar die Sonne genießt. Ein Dackel mit braunem Fell liegt neben den beiden und döst, in seinem Fell ein Streifen weißer Farbe.

Die Wände in der Garage direkt hinter den beiden sind mit Malereien bedeckt, es ist kaum etwas vom hellgrauen Putz zu sehen. Die Gemälde unterscheiden sich teilweise stark voneinander, neben realistisch anmutenden Ölmalereien finden sich abstrakte Farbkompositionen mit Acryl, aus denen die Motive teilweise tatsächlich aus dem Gemälde herausragen. Manche von ihnen sind bereits mehrere Jahrzehnte alt, andere nur wenige Jahre. Gemalt wurden sie von Karl Gaiser, dem grauhaarigen, schlanken Mann, der mit dickem Wollpullover auf dem rechten Liegestuhl liegt.

Gaiser wurde 1931 in Schiltach im Schwarzwald als Sohn einer Familie geboren, die viel mit Holz zu tun hatte. "Ich bin von Haus aus ein Arbeiter", erzählt er mit entschlossener Stimme. Als das Haus der Familie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von einer Bombe zerstört wurde, konnten Gaisers Schwestern nach Weßling übersiedeln, der Rest der Familie folgte. Dort hat Gaiser die Schule besucht und eine Ausbildung zum Chemiker abgeschlossen. "Ich fühle mich außerordentlich wohl hier und möchte nirgendwo anders sein", sagt Gaiser. Nach der Schule arbeitete er bei Perutz in München, einem Unternehmen der fotochemischen Industrie, das Fotoplatten und Filme herstellte. Nach einiger Zeit begann er, als Werbegrafiker zu arbeiten. Gaiser malte Plakate für verschiedene Unternehmen und entdeckte dabei sein Talent: die Malerei.

Nicht nur die Garage ist voller Gemälde von Gaiser, auch im Wohnhaus ist kaum eine Wand frei geblieben. So unspektakulär wie das Haus auf den ersten Blick scheint, ist es keinesfalls. Im Inneren des Hauses bietet sich ein Anblick wie in einem Kunstmuseum: In der Küche über den Wandschränken, im Wohnzimmer an jeder freien Stelle, im Badezimmer, im Treppenhaus bis ganz nach oben zum Dachboden - überall hängen die Kunstwerke des 93-Jährigen. In einem Zimmer im ersten Obergeschoss gab es keinen Platz mehr an den Wänden, deshalb hängen einige Gemälde am Kleiderschrank. Die einzigen Räume, in denen sich keine Malerei befinde, seien die Toiletten, erzählt Gaisers Frau Marita. Auf die Frage nach dem Warum antwortet sie: "Da hat er einfach noch nicht dran gedacht." Die beiden schauen sich an und lachen herzlich miteinander.

Wenn die Wände keinen Platz mehr hergeben, dann weiß Gaiser sich zu helfen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Egal, welchem Raum man im Wohnhaus des Künstlers betritt, überall steckt der Geist seiner Kunst. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Marita Lindner-Gaiser ist die zweite Frau des Malers. Sie heirateten vor sechs Jahren und trafen sich bereits in der Schulzeit in Weßling. Damals saßen Kinder verschiedenen Alters gemeinsam im Klassenzimmer. "Mein Mann saß ganz hinten und ich vorne, er kannte nur meinen Hinterkopf und meine blonden Zöpfe", erinnert sich die 88-Jährige. Nachdem ihr erster Mann 1979 gestorben war, kam sie zu Gaiser ins Haus und pflegte noch dessen erste Frau, die 1991 verstarb. Im Haus der Schwiegereltern, in dem der Maler seit 1972 lebt, seien die Künstler damals ein und aus gegangen, erzählt Lindner-Gaiser. Dadurch konnte auch er viele Kontakte in die Kunstszene knüpfen.

In seiner Zeit als Werbegrafiker lernte Gaiser Roland von Rebay kennen. Die Rebays sind eine bekannte Malerfamilie aus Weßling. Hilla von Rebay war maßgeblich an der Gründung des Guggenheim-Museums in New York beteiligt. "Irgendwie bin ich da angesteckt worden vom Künstlerischen", erinnert sich Gaiser. Er habe immer mehr Freude am Malen gehabt. "Egal, wo ich war. Es gab nur noch die Malerei", erklärt er. Deshalb entschied er sich 1966, das Werbegrafik-Geschäft zu verkaufen und die Malerei zu seinem Hauptberuf zu machen.

Von diesem Moment an widmete er sich mit Ausdauer und Leidenschaft der Malerei. Er hatte schon als Kind den Berufswunsch, Förster zu werden und war fasziniert von Wildtieren. Außerdem fand er zunehmend Gefallen an der Voralpenlandschaft und den Bergen, deshalb wurde er Bergmaler. Seine realistischen, naturalistischen und farblich empfindsam abgestimmten Ölmalereien zeigen Rehe in der Abenddämmerung auf einer Waldlichtung, einen Fuchs, dem eine Ente am Rande eines Sees entwischt war sowie die verschiedensten Gebirge in aller Detailliertheit.

Gaiser besitzt nur noch wenige seiner Ölmalereien, die meisten hat er verkauft. Dieses, das auf langen Studien der Schwäne im Nymphenburger Park beruht, liebt er besonders. Er hat es deshalb behalten. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Dass diese Art der Malerei für ihn schon bald ein jähes Ende finden sollte, damit rechnete niemand. Gaiser unternahm zahlreiche Studienfahrten in die Bergwelt und konnte sich, teilweise unterstützt von Luis Trenker und Artikeln in der Jagdzeitung "Pirsch", einen Namen machen. "Und dann kam die Nostalgiewelle in den 1970er- und 1980er-Jahren", erinnert sich Lindner-Gaiser. "Da haben sie ihm die Bilder aus der Hand gerissen, die waren manchmal noch nicht mal trocken." Gaiser stellt 1979 im Künstlerhaus München, auf der Nürnberger Messe "Wildtier und Umwelt" 1986 und auch 1991 im Jagd- und Fischereimuseum München aus. Dadurch findet sich in Berg- und Jägerkreisen in Deutschland und Österreich ein großes, zahlendes Publikum.

1992 sollte sich aber alles verändern. Gaiser geht es nicht gut. "Ich bin knapp dem Tod entwischt", erzählt er. Im Gautinger Klinikum wird eine unheilbare Bronchialerkrankung festgestellt. Die Ursache? Die giftigen Dämpfe, die in seinen geliebten Ölfarben und deren Lösungsmittel stecken. Die Behandlung? Nie mehr in die Nähe dieser Farben gehen. "Fragen Sie nicht, in welcher Verfassung ich damals war", sagt der ehemalige Bergmaler. Verzweifelt telefonierte er mit unterschiedlichen Herstellern der Farben, um herauszufinden, ob es einen gab, der die Ölfarben auch ohne den gesundheitsschädlichen Inhaltsstoff produzierte. Aber keine Chance, das Mittel war überall enthalten. "Aber dieses Mittel, das verantwortlich für meinen Zustand war, war das A und O der ganzen Ölmalerei", erzählt er. Bis heute friert er wegen der Erkrankung andauernd. "Im Sommer sind seine Sandalen Pelzstiefel", erzählt seine Frau. Das Bier habe er stets in der Mikrowelle aufgewärmt, weil seine Bronchien keine Kälte mehr vertragen.

Die Farbstimmungen, die mit einer Technik gemalt sind, die Gaisers Geheimnis bleiben soll, sind anders als seine Bergmalereien - und trotzdem nicht weniger sein Stil, wie er betont. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Gaiser stand vor einer schweren Krise. Die Malerei aufgeben, das konnte und wollte er nicht. Also entsagte er der Ölmalerei, seiner jahrzehntelangen Leidenschaft, und suchte sich Alternativen. "Ich habe unglaublich stur weitergearbeitet. Ununterbrochen habe ich weitergemalt und alles ständig verändert", erzählt er. Die meisten Versuche machte er mit Acrylfarbe. Am Anfang hat er noch versucht, die Berge, Tiere und die Natur so realistisch zu malen, wie ihm das mit Öl gelungen ist. Doch das Malen mit Acryl unterscheidet sich vollkommen von dem mit Öl. Bei der Acrylmalerei muss der Strich von Anfang an sitzen, denn die Farbe trocknet extrem schnell. Man kann nicht nass in nass malen und noch mehrere Stunden oder gar Tage danach Pinselstriche verändern oder anders setzen, wie es bei Öl der Fall ist. "Er hat kleine Wolkenfässchen und die Spiegelung im Wasser wunderbar gekonnt. Aber damit war es nichts mehr", erinnert sich seine Frau. Gaiser musste seinen Stil und seine Art zu malen komplett verändern. "Irgendwann bin ich an einen Punkt gekommen, da bin ich fest geworden in der jetzigen Malerei", erklärt er. Und da bringe ihn kein Mensch mehr davon weg.

Gaiser geht durch sein Treppenhaus, das ebenfalls voller Malereien hängt, hinauf ins erste Obergeschoss. Er steigt die Treppen schneller, als man es bei einem Mann seines Alters vermuten würde, und verschwindet in einem Raum am Ende des Flurs. Auch dort sind die Wände bedeckt mit seiner abstrakten Kunst. Doch eines macht diesen Raum besonders: Hier sind fast alle seine Malereien entstanden. Früher stand er hier noch mit Staffelei und malte seine Motive von eigens aufgenommenen Fotografien ab. Für seine heutigen Gemälde braucht er keine Staffelei mehr, denn sie entstehen flach auf einem Tisch liegend. "Bevor er den Pinsel in die Hand nimmt, spricht er ein Gebet, jeden Tag", erzählt seine Frau. Der hölzerne Schrank ist mit den unterschiedlichsten Farben gesprenkelt und auch der Boden und der Heizkörper sind bunt gefleckt. Ein riesiges Fenster spendet dem Atelier Licht. Das habe er sich extra einbauen lassen, denn zum Malen brauche er Nordlicht, erklärt er. Nur aus dieser Richtung ist das Licht schattenfrei.

In Gaisers Atelier entstanden unzählige seiner Kunstwerke. Früher noch mit Staffelei, heute im Liegen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Seine aktuelle Malerei ist persönlicher denn je. "Das ist mein Leben", sagt er und lässt den Satz lange im Raum stehen, bevor er weiterspricht. "Die meisten kapieren das nicht", sagt er. Seine Kunst hat sich durch den gesundheitlichen Schicksalsschlag gänzlich verändert. Die Farbstimmungen, wie seine Frau sie nennt, entstehen aus seiner momentanen Stimmung. Auf die Frage, ob er mit seinen fast 93 Jahren immer noch malt, antwortet Gaiser: "Ja, unentwegt. Unentwegt. Ich kann nicht anders." Die Technik, die hinter seinen abstrakten Werken steckt, auf denen man keinen Pinselstrich sieht, soll sein Geheimnis bleiben. Seine Werke sind einmalig und keines gleicht dem anderen. Seine abstrakten Bilder hat er nie in der Öffentlichkeit gezeigt und kein einziges davon je verkauft. Gaisers Frau sei eher musikalisch begabt. Sie vergleicht seine Farbkompositionen mit der Musik: "Das Klavier hat 88 Tasten, was da über Jahrhunderte hinweg für verschiedene Melodien herausgezaubert wurden. Und so ist es bei Karlchen auch. Die Farben bleiben immer dieselben, die Bilder sind aber immer anders."

Manchmal brauche er drei Tage für ein Bild und manchmal mache er fünf, sechs, sieben, acht Gemälde an einem einzigen Tag. Wenn er innerlich in eine Richtung getrieben werde, dann male er sie, erklärt er. "Da kommen Ideen, unglaubliche Ideen", schwärmt der Künstler. Er wisse dann genau, was zu tun sei: "Mit einem Schlag wird mir beim Malen alles klipp und klar." Diese Intuition und Inspiration, die einfach so und leicht aus ihm herauskommen, die kann er sich selbst nicht erklären. Ihr Ergebnis ist mehr als ein ganzes Haus voller Gemälde.

Gaiser und seine Frau sind auf der Suche nach einem Käufer für sein Lebenswerk. Einzelne Stücke soll es nicht zu kaufen geben. Nach telefonischer Vereinbarung unter der Nummer 08153/35 01 können die Bilder besichtigt werden.

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