Jazz:Take Two

Lesezeit: 4 min

Der Geiger und Pianist Joerg Widmoser in seinem Haus in Stockdorf bei Gauting. (Foto: Nila Thiel)

Joerg Widmoser, der Geiger des "Modern String Quartet", hat zusammen mit seinem Sohn Leander daheim in Stockdorf ein Album mit selbst komponierten Standards aufgenommen. Die CD ist für den Preis der Schallplattenkritik nominiert.

Von Gerhard Summer, Gauting

Emmi hat eine kräftige und markante Stimme, zum Glück ist aber trotzdem nichts von ihr zu hören auf diesem Vater-Sohn-Album. Denn Emmi ist ein australischer Hütehund, ein Shepherd, der jedes Klingeln an der Tür mit lang anhaltendem Gebell quittiert und dann von Besuchern gar nicht ausgiebig genug gestreichelt werden kann. Aber wenn Joerg Widmoser, 66, sich an seinen kleinen Flügel setzt, der den ausladenden Flachbildfernseher ins hintere linke Wohnzimmereck verdrängt, liegt Emmi brav auf dem Holzparkett und gibt keinen Mucks von sich. So war's auch bei den Aufnahmen in Widmosers Haus in Stockdorf bei Gauting: Der Geiger des bekannten Modern String Quartet und der Weltmusikgruppe Radio Europa hat dort seine CD mit dem doppeldeutigen Titel "Like Standards" eingespielt, zusammen mit seinem 22 Jahre alten Sohn Leander am Schlagzeug: das Klavier im Erdgeschoss, die Drums in einem kleinen Kellerraum mit weiß gestrichenen Ziegeln, die Violine im Büro im ersten Stock. Die mit vergleichsweise wenig Aufwand produzierte CD verkauft sich für ein Jazzalbum laut Widmoser erstaunlich gut. Und ist nun für den Preis der Schallplattenkritik in der Kategorie Jazz I nominiert, übrigens neben verschollen geglaubten Liveaufnahmen des Stan Getz Quartet mit Astrud Gilberto.

Seine Stücke sind eine Verbeugung vor dem Jazz-Erbe

Natürlich, die Widmosers erfinden den Jazz-Standard auf dieser Platte nicht neu. Die neun Titel sind eher eine Verbeugung vor dieser Sammlung von etwa 400 Stücken. Eine Reverenz an Songs mit starken Melodien, die oft aus Musicals stammen und fast so etwas wie Schlager sind. Auch wer kein Jazz-Kenner ist, dürfte in diesen technisch nie auftrumpfenden Kompositionen Vertrautes entdecken: Bebop mit viel Gefühl, der mal nach Widmosers Hausgöttern Miles Davis und Charlie Parker klingt oder nach John Coltrane. Dazu Swing im Stil von Duke Ellington und eine wunderschöne Ballade, "My Secret Love" , die so traurig daherkommt wie Cello-Musik von Charlie Chaplin. Oft steht Widmosers Violine im Mittelpunkt, ihr strahlender Klang könnte Traditionalisten verwirren. Denn Widmoser spielt nicht mit dem klassischen Ansatz, sein schwereloser Ton steht sofort, Saiten- oder Bogengeräusche fehlen fast ganz. Schließlich geht es dem Autodidakten darum, die Großmeister des Jazz zu imitieren, die Saxophonisten und Trompeter. Bebop auf vier Saiten zu spielen, sei nicht leicht, "das liegt nicht so komfortabel" auf dem Griffbrett, er sei auch deshalb einer der ganz wenigen Geiger, die sich diesem speziellen Stil verschrieben haben, sagt Widmoser. Und: "Ich bin ganz in der amerikanischen Tradition, dort hab' ich die Jazzgeigerei gelernt."

Quer durch die Musikstile des alten Kontinents führte im vergangenen August die musikalische Reise des Ensembles "Radio Europa" um den Geiger Jörg Widmoser zum Auftakt des Seejazz-Festivals in der Seeresidenz Seeshaupt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Mit 23 Jahren sei er zum ersten Mal in den USA gewesen und habe "sehr schnell mit echten schwarzen Jazzern gespielt", das war 1978. Widmoser machte sich zu einem Club in Philadelphia auf, "eine Gegend, wo sich Weiße gar nicht hintrauten, was ich aber nicht wusste". Konzerte in solchen Lokalen seien Happenings, die Besucher "kennen die Musik in- und auswendig, sind aber auch laut und reden miteinander". Saxophonist Tony Williams trat dort mit Freunden auf, Widmoser fasste sich ein Herz und fragte, ob er mitjammen könne. Klar durfte er. Der junge Geiger spielte ein Stück, und dann passierte, was ihm wie ein Wunder vorkommen musste: "Die Leute standen auf den Tischen, der Laden hat gekocht." Widmoser sagt: "Da gab's auch keinen Neid unter den Musikern wie bei uns, der Saxophonist feuerte dich an." Auftritte in deutschen Clubs seien damals ja eher Trauerspiele gewesen, "wenn du mit der Geige auf die Bühne gegangen bist, haben die Musiker die Nase gerümpft."

Von da an verbrachte Widmoser immer wieder ein bis zwei Monate im Jahr in den USA. Auch mit seinem 1983 gegründeten Modern String Quartet, für das er unter anderem Bachs "Wohltemperiertes Klavier" transkribierte und schon nach Afrika und Asien reiste, gastierte er öfters in den Vereinigten Staaten. Und mindestens fünf Mal war er mit den Jazzgeigern John Blake und Claude Williams beim Festival "Violin Summit" in Philadelphia zu hören. Wieder zurück, gab er 2003 ein Konzert in der Münchner "Unterfahrt". Ganze acht Zuhörer waren da, "da wusste ich: back home".

Standards, aber eben nicht standardmäßig gespielt

Seine Liebe zum Jazz-Standard hat Widmoser früh entdeckt, dabei seien diese Stücke in seiner Jugend verpönt gewesen, die jungen Jazzer wollten in den Siebziger- und Achtzigerjahren nun mal innovativ sein. Doch nicht umsonst habe Trompeter Miles Davis in Live-Konzerten immer wieder "Autumn Leaves" gespielt und Pianist Keith Jarrett Standards auf Alben verewigt, steckten doch "unglaublich tolle Sachen" in diesen Stücken. Wobei es eben nicht darum gehe, die Noten eins zu eins abzuspulen, sondern "was Eigenes zu machen." Ganz nach der Devise ging Widmoser auch bei seiner CD vor, der bald Teil zwei folgen soll: Standards, aber eben nicht standardmäßig gespielt. Er hatte die Songs auf dem Computer vorproduziert und Bass, Schlagzeug und Piano mit moderner Technik simuliert. "Das klang ganz nett, aber nicht lebendig und etwas steril", nahm aber gehörig an Fahrt auf, als Widmoser richtige Instrumente einsetzte: Sein Sohn überredete ihn, die Klavierparts am Stutzflügel aufzunehmen, er wiederum brachte Leander dazu, die Drums im Keller einzuspielen. Was erstaunlich genug ist: Der 22-jährige Student der Popakademie Mannheim trommelt sonst zu Rock, Independent und Heavy Metal, auf Youtube führt er seine Drum-Cover zu gerade erst erschienenen Songs vor, ob von Måneskin, den Chainsmokers oder Death Cab for Cutie. Jazz sei nie die Leidenschaft seines Sohnes gewesen, sagt Widmoser sen., "doch er weiß genau, um was es da geht". Wie es zu dem Familienprojekt gekommen ist, das auch "Take Two" heißen könnte, haben Papa und Sohn in einem Gespräch festgehalten, das auf der Innenseite des CD-Covers abgedruckt ist. Es klingt, ganz im Gegensatz zur Musik, ein wenig lieblich.

Warum der Violinist, der Miles Davis' Referenz-Album "Kind Of Blue" schon "10000 Mal gehört hat", nicht selbst ein Blasinstrument spielt? Wäre ja naheliegend. Er hat es tatsächlich mal versucht. Aber Saxophon sei erstens "nicht so einfach, wie ich dachte". Und zweitens habe ihn vor vier, fünf Jahren eine Krankheit außer Gefecht gesetzt. Als er wieder gesund war, folgte der nächste Schlag: die Corona-Pandemie. Die Einnahmen des Musikers, der nicht unterrichtet, sondern einzig von Konzerten und Gema-Tantiemen lebt, brachen ein, staatliche Hilfen retteten ihn. Joerg Widmoser sitzt an seinem Wohnzimmertisch, er hat gerade wieder Cappuccino gemacht, Emmi liegt ruhig auf dem Boden. Und der Hausherr sagt mit jugendlichem Elan: "Vielleicht versuche ich's noch mit Trompete."

Der nächste Auftritt des Modern String Quartet: Widmoser und seine Mitstreiter spielen am Samstag, 12. Februar, zu den Iffeldorfer Meisterkonzerten Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung". Beginn im Gemeindezentrum ist um 19 Uhr. Karten und Infos: iffeldorfer-meisterkonzerte.de .

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: