Landwirtschaft:Aus Liebe zur Kuh

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Schlagenhofen: Anette Drexl und der neue Jungbulle Toni. (Foto: Nila Thiel)

Annette und Andreas Drexl führen auf dem ältesten Hof in Schlagenhofen die traditionelle Milchviehhaltung im Kleinformat fort. Ohne moderne Technik, dafür mit viel Zeit und Liebe für die Tiere.

Von Carolin Fries, Inning

Annette Drexl streichelt die Blesse von Hilde, "ja, ich hab' dich auch lieb!". Dann erklärt sie der runden Apolonia, dass der Tierarzt sie gewiss zum Abspecken aufs Laufband stellen würde, sie sich also besser mal zurückhalte beim Fressen. Und die kleinwüchsige, schwarz-weiß gescheckte Stella nennt sie im Vorbeigehen "eine Schöne". Willkommen im Muh-Museum in Inning am Ammersee, dem wohl kleinsten Milchviehstall im Landkreis Starnberg. "Muh-Museum", den Namen hat ein Metzger aus Pöcking vor ein paar Jahren kreiert, als er hier aus den frisch gekalkten Gemäuern aus dem Jahr 1929 eine Kuh abholte. Annette und Andreas Drexl dachten sich: "Ja, das passt eigentlich!"

Acht Milchkühe und sieben Jungvieh stehen im Stall auf dem Hof in Schlagenhofen, dem ältesten im Dorf. Darunter Pinzgauer und karamellfarbene Murnau-Werdenfelser, beide Rassen ordnet das bayerische Landwirtschaftsministerium als gefährdet ein. Auch ein Vorderwäldler-Rind wird hier gemolken und zwei original Simmentaler aus der Schweiz. "Schöne Tiere", sagt Drexl. Der 53-Jährigen geht es nicht um Milchleistung und Ertrag. Ihre Kühe seien Familienmitglieder. "Die sind so charakterstark", sagt sie, "wie Menschen". Ihre Lieblingskuh ist Hannah, eine kernige Murnau-Werdenfelser-Kreuzung, aktuell trächtig im zweiten Monat. "Die ist so herrlich stur! Wenn sie nicht mag, mag sie nicht."

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Daneben steht die hochschwangere Josefa, nicht einmal halb so breit. Drexl zuckt die Schultern: Es ist, wie es ist. Ach ja: Selbstverständlich haben ihre Kühe Hörner. Und die überwiegende Zeit im Jahr stehen die Tiere auf der Weide, sprich im Obstgarten oder beim Nachbarn auf einem abgezäunten Bereich. Die kleinsten Kälbchen dürfen im Garten bleiben. Wie der drei Monate alte Toni. Der neue Stier im Stall sieht noch ziemlich süß nach Milchbubi aus, vor allem wenn er die Ohren anlegt. "Da is ma glei verliebt, ge?"

Selbstverständlich haben die Kühe der Drexls Hörner,... (Foto: Nila Thiel)
... bei Jungbulle Toni sieht das etwas anders aus. (Foto: Nila Thiel)

Die traditionelle Landwirtschaft ist das Hobby des Ehepaares. Die Großmutter von Andreas Drexl habe noch von der Tierhaltung leben können, erzählt Annette Drexl. Inzwischen läuft die Viehhaltung bereits in der zweiten Generation nebengewerblich. Anette Drexl ist vor sechs Jahren mit ihrem Sohn aus erster Ehe hierher zu ihrem Mann gezogen, der einen Zimmerei-Betrieb hat.

Die meiste Zeit des Jahres sind die Kühe draußen und tollen durch den Obstgarten. (Foto: Nila Thiel)

Morgens um 4.20 Uhr klingelt der Wecker, um halb fünf geht es in den Stall zum Melken und Misten. Abends noch einmal. Jeweils zweieinhalb Stunden dauert es, bis alle Tiere versorgt sind. "Mein Workout", sagt Annette Drexl. Ihr Mann brauche den Stall "zum Abschalten". Nur drei Tage im Jahr machen sie Urlaub, auf einem Bauernhof in Sterzing. "Da höre ich dann die Melkanlage und freu' mich, dass ich nicht in den Stall muss."

Anette Drexl mistet dreimal täglich aus - und auch sonst gibt es im Stall ständig was zu tun. (Foto: Nila Thiel)

Auf ihrem Hof in Schlagenhofen melken sie noch mit einer alten Unterdruck-Anlage, wie es sie in modernen Betrieben längst nicht mehr gibt. "Umso weniger Milch im Kübel ist, umso leichter lässt er sich tragen", sagt Drexl. Mittags misten sie noch einmal, Rindviecher machen einfach viel Dreck. Sie verkaufen die Milch und die Kälber, doch finanziell rentiert sich das nicht. Zum Spaß hat Drexl einmal ihren Stundenlohn ausgerechnet: 14 Cent.

Wird ein Tier geschlachtet, kommt es zum örtlichen Metzger

Aufhören kommt dennoch nicht in Frage. Sie wollen mit ihrem Museum im Stall auch eine Tradition bewahren, von der Binde- und Weidehaltung bis zur regionalen Vermarktung. Muss eine Kuh zum Schlachter, dann fahren sie mit dem Anhänger vier Kilometer zum Broslhof von Georg Friedl nach Inning. "Das ist human", findet Drexl. Wird ein Tier verkauft, "suchen wir einen guten Platz". Manche der hier geborenen Rinder stünden im Freilichtmuseum an der Glentleiten, "mit Bergblick".

Drexl berichtet von sogenannten "Schreikindern" im Stall, die sie großgezogen haben und dem behinderten Stier Sigi, der trotz einer Sehnenverkürzung durch den Obstgarten tollte, wie ein Bild an der Küchenwand zeigt. Warum auch nicht? Einschränkungen gehörten nun einmal zum Leben dazu, ganz gleich ob Nutztier oder Mensch.

Drexl selbst hat diverse Allergien und Neurodermitis, im Stall muss sie Handschuhe tragen und darf sich während der Arbeit nicht ins Gesicht fassen. Sonst reagiert die Haut mit juckendem Ausschlag. Doch trotz der Umstände: Ein Leben ohne Tiere mag sie sich nicht vorstellen. Im Garten hoppeln die Zwerghasen Johannes und Johanna über die gefrorene Wiese - "unsere Schätze", wie Drexl sagt.

Im Muh-Museum gibt es nicht nur Kühe, sondern auch die Zwerghasen Johannes und Johanna. (Foto: Nila Thiel)

Die 53-Jährige hat eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau gemacht und für eine große Hotelkette gearbeitet, bevor sie mit 30 Jahren eine Ausbildung zur Landwirtin begann. Zur Geburt ihres Sohnes Ludwig vor zehn Jahren machte ihr Mann ihr ein besonderes Geschenk: Er ließ eine Kuh von einem Murnau-Werdenfelser-Rind besamen. "Penelope war eine Schönheit", schwärmt Drexl noch heute.

In Gummistiefeln fühlt sich die stellvertretende Kreisbäuerin sichtlich wohl, stapft in dicker Daunenweste und mit einer Zigarette in der Hand durch die Einfahrt. Wenn sie mittags für die Belegschaft der Zimmerei kocht, belädt Andreas Drexl schnell den Mistbreiter oder schaut kurz zu den Tieren. "Der Stall ist sein zweites Büro", sagt seine Frau und lacht. "Wer ihn telefonisch nicht erreicht, kommt vorbei."

Längst kommen freilich nicht nur Kunden für die Zimmerei im Muh-Museum vorbei. Viele Menschen aus dem Dorf holen sich bei den Drexls ihre frische Milch, "ich kann nahezu alle Kannen den einzelnen Häusern zuordnen". Doch der alte Stall mit den Schwalbennestern an der Wand ist längst auch Anziehungsort für geschundene Seelen geworden. "Eine Zeit lang hat ein Iraner mitgeholfen", erzählt Drexl.

Auch einen Rentner in einer Lebenskrise haben sie ausmisten und mitarbeiten lassen, derzeit kommt regelmäßig eine 58 Jahre alte Dame vorbei, um die Kälbchen auszuführen. Gassi gehen mit dem Nachwuchs? "Das ist wichtig", sagt Drexl. Das Jungvieh müsse sich schließlich an die Menschen und den Verkehr gewöhnen. "Sonst erschrecken die sich wahnsinnig auf der Weide, wenn mal ein Radl klingelt."

Regelmäßig kommen auch Kindergarten-Gruppen und Schulklassen, um zu sehen, wie das funktioniert mit dem Melken der Kühe. Einmal in der Woche ist eine Gruppe beeinträchtigter Kinder aus dem Nachbardorf Hechendorf zu Besuch. Die Drexls freut das. "Jede und jeder ist willkommen in unserem Muh-Museum", sagt Anette Drexl. Die Öffnungszeiten? "Wir sind täglich von 17 Uhr an im Stall."

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