Ortsgeschichte:Spuren brauner Vergangenheit

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Die Ploetzstraße in Herrsching ist nach Alfred Ploetz benannt, dem Begründer der Rassenhygiene. (Foto: Nila Thiel)

Was tun mit Straßen, die nach NS-Sympathisanten, Rasseforschern und Denunzianten benannt sind? In Herrsching sind zunächst einmal die Bürger gefragt.

Von Patrizia Steipe, Herrsching

Warum gerade jetzt? Wie kam es überhaupt dazu, dass in Herrsching Straßen mit Namen von Personen mit NS-Bezug benannt wurden? Und was soll mit solchen Straßennamen passieren? Es sind Fragen wie diese, die den Herrschinger Gemeinderat beschäftigen, seitdem er vor einem Jahr beschlossen hat, die Geschichte Herrschings im Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Gemeinde- und Kreisarchivarin Friedrike Hellerer, ausgewiesene Expertin, was das Thema Nationalsozialismus im Landkreis Starnberg betrifft, hatte alle Straßennamen der Ammersee-Gemeinde unter die Lupe genommen. Dabei hatte sie Namen gefunden, deren Träger "Arisierungsgewinn, Denunziation und pseudowissenschaftliche Expertise" vorgeworfen worden war.

In der jüngsten Gemeinderatssitzung präsentierte Hellerer nun ihre Forschungsergebnisse zu Alfred Ploetz, Erich Holthaus und Madeleine Ruoff. Damit beginnt der öffentliche Aufarbeitungsprozess und die Frage, ob als Konsequenz die Straßen umbenannt oder mit einem Zusatzschild versehen werden sollen, alles bleiben oder doch ganz anders verfahren werden soll. Sensibel wolle man mit dem Thema umgehen - da war sich das Gremium einig. Schließlich würden Nachfahren am Ort wohnen. Bis Ende Februar sollen sich die Bürger äußern können.

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Grundlage für die Meinungsbildung sind die Kurzbiografien, die Hellerer angefertigt hat. Sie stehen auf der Homepage der Gemeinde und können bald auch über einen QR-Code an den Schildern abgerufen werden. Anwohner und Eigentümer der Ploetzstraße, der Erich-Holthaus-Straße und der Madeleine-Ruoff-Straße werden schriftlich informiert: Sie sind es schließlich, die bei einer etwaigen Straßennamensänderung am meisten betroffen wären.

"Die Beurteilung von Personen, die als Täter, Profiteure oder Vordenker in die Machenschaften des NS-Unrechtsstaats verstrickt waren, hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändert", erklärte Hellerer. Es dürfe jedoch angenommen werden, dass denjenigen, die für die Straßenbenennungen verantwortlich waren, entscheidende Fakten nicht bekannt waren. Viele Unterlagen - darunter die Spruchgerichtsakten - seien erst seit einiger Zeit zugänglich.

Alfred Ploetz war Arzt und Rassenforscher. Er zog 1914 nach Herrsching. (Foto: oh)
Madeleine Ruoff lebte seit 1923 in Herrsching. Hier ließ sie sich nach ihrem Tod auch bestatten. (Foto: privat)

Was Alfred Ploetz betrifft, so war seine Gesinnung allerdings kein Geheimnis. Bereits 1895 hatte er sein Werk "Die Tüchtigkeit unsrer Rasse und der Schutz der Schwachen" veröffentlicht. Ploetz schreibt darin von einem "Ausmerzen" von Neugeborenen, die schwächlich oder missgestaltet seien. "Die Eltern, erzogen in strenger Achtung vor dem Wohl der Rasse (...) versuchen frisch und fröhlich ein zweites Mal, wenn ihnen das nach ihrem Zeugnis über die Fortpflanzungsbefähigung erlaubt ist". Ploetz, der als Wegbereiter der Rassehygiene gilt, initiierte mehrere "Geheimbünde", die sich der "Rettung der nordischen Rasse" und deren Reinhaltung verschrieben hatten. 1914 zog er nach Herrsching.

Folgendes Zitat von ihm aus dem Jahr 1928 hat Hellerer in einer Monatsschrift entdeckt: "Die Ausmerzung Minderwertiger wäre zu bewirken durch Abraten von der Ehe bei dazu Untüchtigen, durch Eheverbote, durch freiwillige Sterilisierung von Verbrechern (...), dauernde Asylierung der Geistesschwachen, Epileptiker und ähnliches". Die Ideen des 1940 Verstorbenen fielen bei den Nazis auf fruchtbaren Boden. "Zwischen 1934 und 1945 wurden von den Nationalsozialisten circa 400 000 'Kranke' zwangssterilisiert. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 200 000 Personen im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms ermordet", heißt es in der Zusammenfassung.

2002 war die Alfred-Ploetz-Straße ohne Begründung in Ploetzstraße umbenannt worden.

Warum überhaupt in Herrsching eine Straße nach Alfred Ploetz benannt wurde, dafür gebe es keine schriftliche Begründung in den Gemeinderatsprotokollen, erklärte Hellerer auf Nachfrage. 2002 sei - auch ohne Begründung - die Alfred-Ploetz-Straße in Ploetzstraße umbenannt worden.

Auch die bisher als Wohltäterin der Gemeinde geltende Madeleine Ruoff, die einen Kindergarten gestiftet und als gebürtige Amerikanerin bei den Besatzungsmächten für Herrsching interveniert hatte, hat eine dunkle Seite in ihrer Vita. 1967 wurde ihr zu Ehren die Keramische Straße in "Madeleine-Ruoff-Straße" umbenannt. Doch Madeleine Ruoff, die der mächtigen Dupont-Dynastie in Amerika entstammte, wurde bei einem Wiedergutmachungsprozess 1948 vorgeworfen, sich 1940 an arisierten Immobilien bereichert zu haben. In einem Anwaltsschreiben hieß es: "Im Jahre 1940 stammte das geringe, damals vorhandene Immobilienangebot ausschließlich von Eigentümern, welche aufgrund der Arisierungsgesetze zum Verkauf gezwungen waren". 1953 wurde ein Vergleich geschlossen, der die Nichtigkeit des Kaufvertrags von 1940 erklärte.

Erich Holthaus trat 1934 der SA bei

Erich Holthaus hatte sich als Vorsitzender des "Verband der Kriegsbeschädigten" für die Realisierung der VdK-Siedlung mit günstigem Wohnraum in Lochschwab eingesetzt. Mit dem heutigen Wissen erscheine der Straßenname jedoch in einem anderen Licht: Holthaus, der im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte, trat 1934 der SA bei und wurde Obersturmbannführer. Im Entnazifizierungsprozess wurde ihm vorgeworfen, eine Frau wegen eines Briefs schwer belastet und bei der NSDAP denunziert zu haben. An deren Ehemann hatte Holthaus geschrieben, er erachte es als "selbstverständliche Pflicht als Nationalsozialist und SA-Führer, den Brief Ihrer Frau (...) an eine maßgebende Stelle weiterzugeben (...). Ich hoffe, dass jetzt endlich diesem zersetzenden Treiben ein Ende bereitet wird". Hellerere folgerte daraus: "Denunziationen dieser Art führten in vielen Fällen direkt in ein KZ." Ihr Fazit ist eindeutig: "In unserer Zeit würden Madeleine Ruoff, Alfred Ploetz und Erich Holthaus nicht mit einem Straßennamen geehrt werden".

Straßennamen zu ändern, sei allerdings kompliziert, sagte Bürgermeister Christian Schiller. Vielleicht müssten Prozesse geführt und Schadensersatz geleistet werden. Aber das ist jetzt noch kein Thema. Jetzt soll zunächst erst die Meinung der Bürger abgefragt werden.

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