Siedlungsgeschichte:Phantombilder vom Ur-Gilchinger

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So oder so ähnlich könnte "Kilti" ausgesehen haben, die Haarpracht macht den Unterschied: Bei einem Symposium im Gilchinger Rathaus, das auf Betreiben des Vereins "Zeitreise" stattfand, präsentierten Wissenschaftler ihre Ergebnisse zum Fund eines Skeletts aus der Merowingerzeit. (Foto: Nila Thiel)

Bei Bauarbeiten waren 2012 drei Skelette entdeckt worden. Nun widmeten sich Wissenschaftlern der Angelegenheit und stellten fest: "Kilti", "Kiltine" und "Kilterich" waren nicht miteinander verwandt.

Von Patrizia Steipe, Gilching

Der Mann war 19 bis 23 Jahre alt, 171 Zentimeter groß, blond, blauäugig und mit seinem schmalen Gesicht und dem markanten Kinn durchaus attraktiv. Er hatte Karies, vertrug Laktose und war nicht verwandt mit den beiden anderen untersuchten Skeletten. Nach jahrelangen Forschungen an Universitäten und Einrichtungen war die Enthüllung der Forschungsergebnisse der Höhepunkt des Geschichtsforschungs-Symposiums "Kilti, wer bist du?" in Gilching. Der Name "Kilti" - ebenso wie "Kiltine" und "Kilterich" - ist abgeleitet von der ersten urkundlichen Erwähnung Gilchings als Kiltoahinga. Die Skelette der drei Ureinwohner waren 2012 bei Bauarbeiten an der Römerstraße entdeckt worden.

Initiiert hatte die Untersuchungen der Verein "Zeitreise" mit Unterstützung des Landesamts für Denkmalpflege, der Gemeinde Gilching und dem Landkreis. Etwa 150 Ortshistoriker, Archäologen und an Heimatgeschichte Interessierte waren in den Rathaussaal gekommen. Sie wollten wissen, ob es möglich ist, anhand von drei mehr oder weniger gut erhaltenen Skeletten aus der Zeit der Merowinger, verrosteten Grabbeigaben und drei Glasperlen, den drei vor etwa 1300 Jahren verstorbenen Menschen eine Identität zu geben.

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Beim Symposium wurden die Ergebnisse der interdisziplinären Forschungen zu einem Ganzen zusammengefügt. Solch aufwendige Forschungen gibt es normalerweise nur bei größeren oder spektakulären archäologischen Funden, wie beispielsweise der Gletschermumie "Ötzi". Dass die Kiltis untersucht wurden, verdanken sie der Überzeugungskraft des Zeitreisevereins mit seiner Vorsitzenden Annette Reindel.

Paläoanthropologin Scheelen-Nováĉek hat den "Kiltis" ein Gesicht gegeben.

Applaus brandete auf, als die Leinwand auf der Bühne hochfuhr und den Blick auf die Zeichnungen von "Kilti", "Kiltine" und "Kilterich" freigab. Kristina Scheelen-Nováĉek hatte sie angefertigt. Auf der Zeichnung, die an ein Phantombild einer Polizeidienststelle erinnert, sieht man beim "Kilti" ein schmales Gesicht mit markantem Kinn, voller Oberlippe und gerader Nase. Kilterich dagegen hat ein runderes Gesicht, und bei Kiltine fallen das breite Gesicht, die großen Augen sowie die Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen auf. Mit dieser Zeichnung, die nach der wissenschaftlichen Gesichtsweichteilrekonstruktion ("FBI-Methode") angefertigt worden war, hat Paläoanthropologin den "Kiltis" ein Gesicht gegeben.

Kristina Scheelen-Nováĉek setzte bei ihren Erkenntnissen über "Kilti" auf die Gesichtsweichteilrekonstruktion. (Foto: Nila Thiel)

Das Ganze sei als Annäherung zu sehen. "Wir haben nicht den Anspruch, dass die drei ganz exakt so ausgesehen haben", versicherte sie. Wesentlich für die Rekonstruktion waren erhaltene Fragmente von Augen-, Nasen- und Mundhöhle. "Daraus kann man das Aussehen mit hoher Genauigkeit ableiten". Weichteile weisen je nach Alter, Geschlecht und Herkunft eine bestimmte Dicke auf. Die Forscherin hatte etwa 20 verschiedene "Landmarken" auf den Schädeln markiert und dann das Gesicht "aufgefüllt". Geschlecht, Alter und Körpergröße hatte eine osteoanthropologische Untersuchung ergeben.

Bei Bauarbeiten an der Römerstraße in Gilching waren 2012 drei Skelette gefunden worden. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Kiltine und Kilterich hatten braune Augen und Haare, Kilti war blond und blauäugig.

So könnte Kilterich mit unterschiedlichen Frisuren ausgesehen haben... (Foto: Nila Thiel)
...und so Kiltine. (Foto: Nila Thiel)

Was Augen- und Haarfarbe betrifft, konnte Alexandra Mussauer, Doktorandin am Institut für Mumienforschung in Bozen, weiterhelfen: Sie Untersuchte die alte DNA molekulargenetisch. Die Genanalyse ergab, dass Kiltine und Kilterich braune Augen, einen mittelbraunen Hauttyp und braune bis dunkelbraune Haare hatten. Kilti dagegen war blond und blauäugig. Außerdem war Kilterich laktoseintolerant.

Widmeten sich im Rahmen eines Symposiums des Vereins "Zeitreise" einem historischen Fund (unten von links): Jürgen Schreiber, Tobias Brendle, Tracy Niepold, Professor Albert Zink und Jochen Haberstroh sowie (oben) Annette Reindel, Kristina Scheelen-Nováĉek, Alexandra Mussauer, Kristin von Heyking, Manfred Walter und Sabine Mayer. (Foto: Nila Thiel)

Mussauer stellte fest, dass die drei nicht miteinander verwandt waren. Ein genetischer Vergleich mit anderen Funden zeigt, dass Kilti eher aus Nord- oder Westeuropa, Kiltine und Kilterich eher aus Süd- oder Südosteuropa stammen. Das bestätigte die morphologische und die Strontiumisotopenanalyse. Hier kann anhand des in Knochen und Zähnen gefundenen Strontiums die geologische Herkunft herausgefunden werden, erklärte Osteoanthropologin Kristin von Heyking. Beprobt wurde der Zahnschmelz. Das Ergebnis: "Alle drei Individuen gelten als nicht-lokal". Das heißt, sie haben ihre frühe Kindheit nicht in Gilching verbracht. Rillen in den Zähnen weisen darauf hin, dass sie als Kleinkinder Stress aufgrund von Mangelernährung oder Krankheiten ausgesetzt gewesen waren.

Die Ergebnisse zu "Kilti" sind im Gilchinger Schichtwerk-Museum an der Brucker Straße 11 zu sehen. Geöffnet ist jeden zweiten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr und dienstags von 10 bis 12 Uhr.

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