Geschichte:Bestraft für ein "liederliches Leben"

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Wer war Juliane Meier? Fest steht: Sie hieß eigentlich Juliana Meier und wurde ein Opfer des NS-Regimes. (Foto: Patrizia Steipe)

Wer war Juliane Meier, nach der in Gilching eine Straße benannt ist? Nachforschungen erzählen die Geschichte einer jungen Frau, die von den Nazis für ihren unkonventionellen Lebensstil entmündigt und nach Auschwitz deportiert wurde.

Von Patrizia Steipe, Gilching

Sie hat weder Flugzeuge noch Autos konstruiert, war keine langjährige Bürgermeisterin oder eine sonst wie in der Gemeinde engagierte Person. Wer Juliana Meier war, weiß tatsächlich niemand so genau. Trotzdem wurde eine kleine Straße nach ihr benannt. Als Zeichen und Mahnung. Die Gilchingerin starb vor 80 Jahren, am 7. Februar 1944, im Konzentrationslager Auschwitz. Erst vor knapp 15 Jahren war der Totenschein der Gilchingerin gefunden und dem Gemeindearchiv übergeben worden. Seitdem versucht die Gilchinger Kirchenhistorikerin Monika Nickel, mehr über das Opfer des Nationalsozialismus zu erfahren.

Kirchenhistorikerin Monika Nickel forscht seit Jahren über das Schicksal von Juliana Meier. (Foto: Patrizia Steipe)

Jahrelang stöberte sie in Archiven, sprach mit Nachfahren, Behörden und Einrichtungen und setzte damit ein Mosaiksteinchen neben das andere. Bei einer Gedenkveranstaltung, zu der die örtliche Pax-Christi-Gruppe und der Verein Zeitreise eingeladen hatten, präsentierte sie als Ergebnis ihrer Recherchen einen Lebenslauf der Toten. Es ist allerdings einer aus Behördensicht. "Die Akten, auf die ich mich bezogen habe, spiegeln die Sicht der NS-Machthaber und ihrer Schergen im medizinischen Bereich, der sogenannten Fürsorgebehörden auf Juliana Meier".

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Außerdem berichtete Kreisarchivarin Friedrike Hellerer zum Thema "Euthanasie im Landkreis Starnberg". Denn Juliana Meier war ein Opfer dieser menschenverachtenden Tötungen, mit denen die Nazis Menschen, die nicht in das Bild der "gesunden deutschen Familie" passten, umbrachten. Als geisteskrank oder "lebensunwert" galt man damals schnell, erzählte Hellerer. Traumatisierte Kriegsveteranen fielen ebenso unter die Kategorie wie Blinde, Gehörlose, Menschen mit Depressionen, "schwer erziehbare" Kinder, Alkoholiker, angebliche "Schizophrene", "Psychopathen" oder Menschen mit einem "liederlichen Lebenswandel". Wenn eine unverheiratete Frau ein oder zwei Kinder von verschiedenen Männern hatte, konnte das ihr Todesurteil oder zumindest die Zwangssterilisation bedeuten, wusste Hellerer.

Kreisarchivarin Friedrike Hellerer berichtet über "Euthanasie im Landkreis Starnberg". (Foto: Patrizia Steipe)

Die Opfer wurden vergast, durch Medikamente getötet, man ließ sie langsam verhungern oder sie wurden zu medizinischen Experimenten missbraucht. "Ein hässliches Thema, aber es ist auch bei uns im Landkreis passiert", sagte Hellerer. Solche Schicksale wurden und werden in betroffenen Familien allerdings häufig bis heute tabuisiert. Man solle nicht zu streng mit Julianas "lockeren" Lebenswandel ins Gericht gehen, mahnte Nickel "Es wäre eine doppelte Bestrafung, sich von so einem Menschen pikiert abzuwenden". Schließlich ist, was damals als "liederlich" verpönt war, heute akzeptiert.

Hinter dem Kletterzentrum führt der mit einem Schreibfehler versehene Juliane-Meier-Weg nach Argelsried. Ein kleines Zusatzschild unter dem Straßenschild informiert darüber, dass sie am 24. Januar 1911 in Gilching geboren wurde und am 7. Februar 1944 in Auschwitz starb. Jedes Jahr legt Martin Pilgram von der Pax-Christi-Gruppe eine weiße Rose an das Straßenschild. Sie ist das Sinnbild der Widerstandsgruppe "Weiße Rose", nach deren Mitglied das Christoph-Probst-Gymnasium benannt wurde. "Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass Juliana Meier eine Art katholische Widerstandskämpferin war", resümiert Nickel. Sicherlich habe sie dem NS-Regime kritisch gegenübergestanden, "das ihr bald übel mitzuspielen begann". Juliana Meier wurde eher ihr unkonventioneller Lebensstil, ihr Freiheitsdrang und ihr Widerstand gegen Behörden zum Verhängnis.

Juliana Meier pflegte einen "unsteten Lebenswandel" und wurde von den Nazis für geisteskrank erklärt und entmündigt. (Foto: oh)

Akribisch zählte Nickel ihre Lebensdaten auf: Am 24. Januar 1911 als fünftes von sieben Kindern des Staatsstraßenmeisters Johann und seiner Frau Maria Meier geboren, "gut bis mittelmäßig" in der Schule. Zwischen 1926 und 1928 war sie in Pasing gemeldet, wo sie als Dienstmädchen und in einer Gastwirtschaft gearbeitet hat. "Zwischen 1928 und 1943 ist sie mit Unterbrechungen immer wieder in München gemeldet", weiß Nickel. 1931 hat ein Auto sie angefahren, "wenig Kopfschmerzen" hieß es zunächst in einem Krankenbericht. Später wurden daraus "eine schwere Kopfverletzung mit doppeltem Schädelbruch". Die Übertreibung geschah wohl bewusst, um eine Euthanasie zu rechtfertigen, mutmaßt Nickel. Zwischen 1932 und 1937 hat sie achtmal die Wohnung gewechselt.

Wegen "Geisteskrankheit" wird sie entmündigt

"Ab 1935 geriet sie ins Visier der Behörden". Die junge Frau bekam die Auflage, ihren gesundheitlichen Zustand regelmäßig überprüfen zu lassen. Da sie diese Auflagen nicht eingehalten hatte, wurde sie in Haft genommen und sogar zwei Jahre lang in ein Arbeitshaus geschickt. Von dort aus gelang ihr die Flucht. Sie griff ihren "unsteten Lebenswandel" wieder auf, wurde Ende 1937 in die Heil- und Pflegeanstalt nach Eglfing-Haar eingewiesen, wo vermerkt war, dass sie ihre "Vorgeschichte ohne Scham" erzählte. Es folgte eine Verlegung in eine "Außenfürsorge", wieder eine Flucht. 1939 wurde die "haltlose asoziale Psychopathin" wegen "Geisteskrankheit" entmündigt. Sie kam in eine Anstalt nach Bischofsried, wo fehlende moralische Werte und ihr starkes Rauchen erwähnt wurden. 1940 gelang ihr die Flucht, sie wurde aufgegriffen, kam in eine andere Anstalt, floh wieder. 1942 bis 43 ist sie in der Nähe des Hauptbahnhofs gemeldet.

Während in früheren Akten vom heiteren Wesen der Patientin berichtet wird, die "gesungen und gepfiffen habe", merkt man im Verlauf, dass Juliana Meier zunehmend verzweifelt und sich vor den Behörden fürchtet. Ein Suizidversuch ist vermeldet. Und dann kam 1944 aus Auschwitz die Meldung, dass die "Arbeiterin Juliana Meier" am 7. Februar mit 33 Jahren an "allgemeiner körperlicher Schwäche" gestorben sei. Sie wurde in Auschwitz eingeäschert.

Mittlerweile hat Hellerer in Archiven drei weitere NS-Opfer aus Gilching aufgestöbert. Diese sind in Heilanstalten gestorben. Es handelt sich um Therese Plabst aus Steinlach, Georg Bichler aus Gilching und Nikolaus Wenger aus Geisenbrunn. Bis jetzt sind lediglich die Namen bekannt. Die Wanderausstellung "Euthanasie im Landkreis Starnberg" soll im Mai ins Heimatmuseum "Schichtwerk" im Wersonhaus Station machen.

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