Kultur im Landkreis Starnberg:Postpandemisches Freispielen

Lesezeit: 3 min

Harmonisches Trio: Miku Nishimoto-Neubert (Klavier) am Klavier, Sopranistin Lea-Ann Dunbar und Graham Waterhouse (von links). (Foto: Arlet Ulfers)

Das Trio des in Weßling lebenden Komponisten und Cellisten Graham Waterhouse überzeugt in der Aula des Gilchinger Gymnasiums. Im Programm sind auch Wut und Trauer über die von der Corona-Pandemie erzwungenen Zwangspausen zu spüren.

Von Reinhard Palmer, Gilching

Der ursprünglich angekündigte Titel "Very British" ging dann doch irgendwie unter. Was der in Weßling lebende Komponist und Cellist Graham Waterhouse im Programm zusammengestellt hatte, entsprach jedenfalls im Laufe des Abends kaum noch dem versprochenen Bild. Schon gar nicht im hier uraufgeführten Werk "Tatra" für Violoncello solo, dem polnische Folklore der Karpaten zugrunde lag, gefolgt von einem Zyklus nach buddhistischen Texten.

In der ersten Hälfte des Konzerts im Kunstforum Gilching in der Aula des dortigen Gymnasiums sah es noch anders aus: Der Orpheus britannicus Henry Purcell gab eingangs den kultivierten Ton an. Die rein instrumentale Bearbeitung der Arie "Music for a While" aus der Schauspielmusik zu "Oedipus" behielt zwar die narrative Diktion, doch ohne Text sollte hier die durchaus für die britische Musik typische empfindsame Melancholie bestimmend sein. Daran knüpfte Waterhouses "Ex Tenebris" (lat.: aus der Dunkelheit) direkt an. Das Werk, geschrieben während der Pandemie, gab es zumindest im ersten Satz der Pianistin Miku Nishimoto-Neubert und dem Cellisten Waterhouse Anlass, den geradezu klagenden Unterton leidenschaftlich zu zelebrieren, am Klavier gar mit virtuosem Wogen.

Münchner Umland-Newsletter
:SZ Gerne draußen!

Die besten Geschichten, spannende Menschen und Veranstaltungen für Groß und Klein in den Landkreisen rund um München und darüber hinaus - immer donnerstags in unserem kostenlosen Newsletter.

Im zweiten Satz zeigte sich eine kraftvolle Charakteristik, in einer solchen Ausprägung, wie sie in seinen früheren Kompositionen selten vorkommt. Die Schöpfungen neueren Datums implizieren indes eine gewisse Aggressivität, die man als Wut über die Pandemie-Zwangspause zu interpretieren geneigt ist. Das energische Wirbeln des "Con moto inquieto" wurde zwar immer wieder von Zurücknahmen unterbrochen, doch auch sie blieben spannungsgeladen und von drängender Ungeduld. Die dramaturgischen Steigerungen nahmen im Verlauf des Satzes immer mehr zu. Dieser Reichtum an gestalterischen Mitteln bestimmte später auch das Tatra-Szenario, angereichert mit überraschenden Wendungen und reizvollen Details wie dem Echoeffekt oder einem marschartigen Pizzicato.

Die Tonschärfe verwandelte die folkloristischen Elemente wie die stampfende Begleitung und die sanglich um sich kreisenden Melodielinien in zeitgemäße Ausdrucksmittel, ohne an Archaik einzubüßen. Dass Sopranistin Lea-ann Dunbar kurzfristig eingesprungen war, konnte man allenfalls daran ablesen, dass sie nicht auswendig sang. An stimmlicher Präsenz und Sicherheit in der Gestaltung ließ sie nichts zu wünschen übrig. In Dunbars erstem Einsatz bröckelte bereits der britische Touch, denn über André Previns Musik ließ Hollywood grüßen. "Shelter" aus "Four Songs for Soprano, Cello and Piano" von 1994 zeigte sich stilistisch im typischen filmmusikalischen Mix, der selbst impressionistische Elemente nicht scheute, aber auch hemmungslos Purcells von Dunbar wunderbar über alles gespannte Melancholie mit Freitonalität in die Gegenwart holte.

Das Finale gipfelt in einer einer hymnischen Grandezza

Einen köstlichen Liederzyklus hat Waterhouse schon 2016 für Sopran und Klavier komponiert: "Hinx Minx". Die Vertonung von fünf viktorianischen Kinderreimen gab dem Komponisten die Gelegenheit, die Musik spielerisch aus dem Text heraus zu entwickeln, wobei die expressive Begleitung, bisweilen spritzig, spannungsgeladen oder scherzando, zum rhythmischen Skandieren anfeuerte. Texte wie "Hector Protector was dressed all in green, Hector Protector was sent to the Queen" gaben schon von sich aus eine bestimmte Diktion vor. So auch "Hinx, minx, the old witch winks, the fat begins to fly", genauso "One-ery, two-ery, tickery-tee, Haliber, calliber, lickery lee" aus "Chinese Counting" mit einem Nonsense-Text.

In den Songs davor nur andeutungsweise, war man hier in den beliebten Abzählreimen angelangt, die ja geradezu darauf angelegt sind, rhythmisch skandiert zu werden. Anders indes der Zyklus nach buddhistischen Texten "Shravana" (Sanskrit: "Ich höre") für Sopran, Klavier und Violoncello - "bestrebt, die musikalischen Welten von langsamen, rituellen Mantras sowie bewegter buddhistischer Musik mit konzertanter europäischer Kammermusik zusammenzuführen", wie es im Programmheft hieß.

Das bedeutete aber keinesfalls einen durchgehend meditativen Charakter. Die melancholisch klagende "Vokalise" legte Dunbar auf atmende Tragweite aus. Hatte der Zyklus mit mystisch-visionärem "Gate Paragate" mit elegischer Melodik begonnen, so steigerte sich das abschließende Medizin-Mantra "Vaidurya" über entfesselte Wildheit zu einer hymnischen Grandezza im Finale, effektvoll inszeniert dank einer vorgeschalteten geheimnisvollen Rücknahme zum Kontrast. Wirkungsvoller hätte das Konzert wohl kaum enden können. Der Zyklus betonte hier noch einmal Waterhouses Tendenz zu klaren, kraftvoll-energischen Ausprägungen, gepaart mit einer reich variierenden Tonsprache.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusZeitgeschichte
:Eine Woche Asyl im Sonnenwinkel

Das verträumte oberbayerische Steinebach wird im März 1963 zum Zufluchtsort des meistgesuchten Mannes Frankreichs. Doch um Asyl bittet der rechtsextreme Verschwörer Georges Bidault vergeblich.

Von Erich C. Setzwein

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: