Puppet Players:Zu Besuch bei Mephisto, Lola Montez und den Tröten

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Ein wildes Sammelsurium von Figuren und Puppen lagert in einem Nebengebäude von Schloss Fußberg direkt an der Würm. (Foto: Arlet Ulfers)

Der umfangreiche Fundus der international erfolgreichen Gautinger Puppet Players lagert in einem Speicherraum. Rein rechtlich hat das alles neun Jahre lang der Gemeinde gehört. Jetzt hat Stefan Fichert die Schenkung zurückgeholt.

Von Michael Berzl, Gauting

Überall Kisten, Koffer und Kartons: Bis in die Dachschrägen eines Speichers in einem Nebengebäude von Schloss Fußberg in Gauting hinein stapeln sich Behältnisse aller Art, Stangen, Latten. Und vor allem: allerlei merkwürdige Figuren. In einer Holzkiste zum Beispiel sind die Tröten versammelt, eine Gruppe drolliger Figuren aus flexiblen Rohren. Stefan Fichert kennt sie alle - denn der 76-Jährige hat sie selbst erschaffen. Insgesamt sind es Hunderte. Fichert geht in die Knie, kriecht fast hinein in die Behausung dieser Klangfiguren, drückt auf eines dieser Gebilde, ein Hupen ertönt, er dreht sich um und strahlt. Auch nach vielen Jahren funktionieren sie noch tadellos.

Die Tröten zählen zu einem schier unübersehbaren Sammelsurium von Figuren, Puppen, Fantasiekreaturen, die er geschaffen hat, die er erfunden, gezeichnet, gebastelt und schließlich auf der Bühne mit Leben erfüllt hat. Da sind Konstruktionen dabei, die wahnsinnig viel Mühe und Geduld gekostet haben müssen.

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All das hat rein rechtlich neun Jahre lang der Gemeinde Gauting gehört. Es handelt sich um fast den kompletten Fundus der "Puppet Players", des 1976 in London gegründeten Puppentheater-Ensembles von Fichert und seiner im Januar verstorbenen Frau Susanne Forster. Die Figuren sind die Darsteller, Requisiten und Bühnenteile von unzähligen Aufführungen, mit denen sie durch die ganze Welt getourt sind. Nun kehren sie zurück ins Eigentum von Fichert. Und das hat seinen Grund.

Puppenspieler Stefan Fichert in seiner Werkstatt mit zwei seiner Figuren: Mephisto und die Kupplerin Marthe aus dem Faust. (Foto: Arlet Ulfers)

Per Schenkung hatten die Puppet Players ihren Fundus im Jahr 2014 der Gemeinde Gauting überlassen. Hintergedanke dabei war damals, dass es vielleicht einmal ein Ortsmuseum geben würde, wo Puppen und Bühneninventar einmal ausgestellt werden könnten. Ein solches Museum mag einmal im Gespräch gewesen sein, ernsthafte Planungen aber gab es nie. "Das war vielleicht ein bisschen naiv", sagt Fichert im Nachhinein. Nun hat er sich die Schenkung zurückgeholt - in gutem Einvernehmen mit der Gemeinde. Das sei "kein Zeichen von Unzufriedenheit oder Enttäuschung", betonte er diese Woche in der Sitzung des Gemeinderats, der die Rückabwicklung einstimmig gebilligt hat.

Es sind vor allem praktische Erwägungen, die dazu geführt haben: Die Puppen der Puppet Players werden zwar nicht in Gauting ausgestellt, dafür in Museen an anderen Orten. Gerade liegt zum Beispiel eine Anfrage des Theaterfigurenmuseums "Kolk 17" in Lübeck vor. Auch bei einer Ausstellung im Schattentheatermuseum in Schwäbisch Gmünd, die im Juli eröffnet wird, sollen Objekte zu sehen sein. Deshalb kam die Frage auf, wer einen Leihvertrag unterzeichnen sollte: Bürgermeisterin oder Puppenspieler. Das ist nun auf elegante Weise geklärt. Und Fichert kann sich wieder uneingeschränkt über seine Geschöpfe kümmern, die immer wieder gefragt sind. Dem Theater Waidspeicher in Erfurt wurden sie im Rahmen eines Festivals schon geliehen, auch in Magdeburg waren sie schon. Sogar in einem Museum in den USA waren Figuren der Puppet Players ausgestellt, in Brattleboro, Vermont.

Die fesche "Lola Montez aus Unter*Ober*König *Sau" entstand zu einem Puppenspiel zur Geschichte Bayerns. (Foto: Arlet Ulfers)

Zurück im Gautinger Speicher: Ein gemütlicher Geruch nach Leder, Karton und altem Holz hängt in der Luft. In diesen noch frischen Apriltagen ist es ziemlich klamm in dem ungeheizten Altbau. Am Telefon hat Fichert schon vor den ungemütlichen Temperaturen gewarnt. Dennoch ist der Puppenbauer und -spieler fast jeden Tag hier. Hier gibt es eine Holzwerkstatt mit Stechbeiteln und Schnitzmessern, Bohrständer und Kappsäge.

Im Vorraum steht eine Staffelei bereit, etliche Bilder mit Stillleben mit Tetrapack-Behältern hängen an der Wand. Eine Ecke ist mit einem schwarzen Vorhang abgetrennt. Dahinter verbirgt sich eine neue Idee. Um was es sich handelt, will Fichert nicht verraten, es ist noch nicht spruchreif. Es ist so viel zu tun, und Fichert ist darum fast zu beneiden. Wer sich auf diesem Speicher ein wenig umsehen darf, taucht ein in eine Phantasiewelt, die angefüllt ist mit Gestalten, Sagen und Opern, mit Erzählungen und Geschichten.

Ein ganzes Sammelsurium von Phantasiegestalten ist hier anzutreffen. Die Tröten befinden sich in einer Holzkiste. (Foto: Arlet Ulfers/Starnberger SZ)
Der Polizist für das Stück "Die Nase" von Gogol. (Foto: Arlet Ulfers)
Figuren aus "Lysistrata", die ursprünglich für die Münchner Biennale angefertigt wurden. (Foto: Arlet Ulfers)

Zum Beispiel von einem Modell eines der Geharnischten für die Aufführungen der Zauberflöte bei den Festspielen in Bregenz: Es diente als Vorlage für Figuren mit einer Größe von mehr als fünf Metern. Oder von einer Tournee mit dem Schattentheater nach China, als auf dem Flug ein Tonnenbehälter mit eigentlich unverzichtbarem Schlagzeug-Teilen verloren ging und die Musikerin schließlich auf einem Schrottplatz Ersatz fand. Eine große, grüne Kiste mit einem Aufkleber mit chinesischen Schriftzeichen zeugt von diesem Ausflug.

In der Gautinger Remise entstanden auch übergroße Figuren der Puppet Players - hier für "Die Zauberflöte". Übrig sind jetzt noch kleine Modelle. (Foto: Georgine Treybal)

Auf der ganzen Welt waren die Puppet Players unterwegs, in Japan, Israel und Brasilien, in Südfrankreich und Nordspanien, in Erfurt, Ascona und Dubrovnik. Um den Nukleus Fichert und Forster haben sich dabei in den Jahren unterschiedlich große Schauspielgruppen mit Sprechern und Musikern gebildet. Ein besonders treuer Begleiter ist dabei seit den Achtzigerjahren stets Heinrich Klug gewesen, Solocellist bei den Münchner Philharmonikern.

Die Sammlung wirkt zunächst chaotisch - ist aber genau katalogisiert

Nach ersten Anfängen in London wurde Gauting Heimat, Stützpunkt und Rückzugsort. Immer wieder fand sich mit Hilfe der Gemeinde auch Platz, um die stets wachsende Ausstattung zu lagern. Zunächst in Dorfschulen in den Ortsteilen, später an der Grundschule an der Bahnhofstraße, bis diese wegen Baufälligkeit gesperrt und schließlich abgerissen wurde. Seit zwölf Jahren dürfen die Puppet Players für eine geringe Miete zwei Etagen in einem Gebäude im Schlosspark als Lager nutzen, das zuvor der Bauhof der Gemeinde genutzt hat. Der Weg auf den Dachboden führt über eine steile Aluleiter durch eine Luke.

Was wie ein chaotisches Sammelsurium aussieht, ist genau katalogisiert. Im Zuge der Schenkung ist eine detaillierte Aufstellung entstanden. Jede Kiste, jeder Karton ist mit einem gelben Zettel und einer Nummer versehen, die einzelnen Figuren sind fotografiert und ebenfalls durchnummeriert. "Es sind 275, glaube ich", sagt Fichert. Und was es da alles gibt: einen Eisbär aus Holz für das Stück "Inook and the sun", oder den Barbier Jakowlewitsch für das Stück "Die Nase" des russischen Dichters Nikolai Wassiljewitsch Gogol. Die Figur ist auch so eine ausgefuchste Konstruktion aus Ficherts Erfinderwerkstatt: da führt ein Schlauch hindurch, sodass man Rasierschaum aus seinem Kopf quellen lassen kann. Auch Material aller Art ist hier gelagert: Auf einem Karton steht "Ringe, Reifen, Rundes", auf einem anderen "Leder". Hier lagert ein Lebenswerk.

Blickt zurück auf sein Lebenswerk: Stefan Fichert in der Werkstatt im Gautinger Schlosspark - hier mit seiner Figur Iwan Jakowlewitsch aus dem Stück "Die Nase" des russischen Dichters Nikolai Wassiljewitsch Gogol. (Foto: Arlet Ulfers)

Das wird Fichert noch viel Arbeit bescheren. Nach und nach will er den vom Bauhof der Gemeinde überlassenen Lagerraum in einer Scheune direkt an der Würm räumen und aussortieren, was sich im Lauf des Puppenspieler-Lebens angesammelt hat. Kulissenteile sind hier, Bühnenmodelle, Latten, Stangen, Schellen, um Rohre miteinander zu verbinden. Ob es schwer fällt, sich von alldem zu trennen? "Ja mei, es nutzt ja nichts", sagt Fichert. "Wer soll damit noch was machen? Ist auch eine Art Aufarbeitung."

Er macht sich schon Gedanken, wie und wo er das alles überhaupt entsorgen kann. Auf lange Sicht will er nur die Puppen behalten und in seinem Wohnhaus in Gauting aufbewahren. Aber auch dort muss er erstmal Platz schaffen auf dem Speicher, auch dort hat sich im Lauf der Zeit so einiges angesammelt: "Jede Generation hat da ihr Zeug abgelagert. Man arbeitet sie wie durch Schichten."

Seine Lebensbegleiterin Susanne Forster ist nicht mehr in dem Haus. An den Folgen eines Sturzes war sie mit 81 Jahren gestorben. Dieser Verlust liegt erst vier Monate zurück. "Das muss man erstmal verkraften", sagt Fichert. Darauf angesprochen, knüllt er seine Hände zusammen, verstummt und erscheint auf einmal ganz in sich gekehrt. Und sagt mit einem Mal, wohl um schnell wieder das Thema zu wechseln: "Kalt ist es hier herinnen".

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