Interview:"Theater muss berühren und betreffen"

Lesezeit: 6 min

Brutal und humorvoll: Nikolaus Habjan tritt in der Inszenierung des Stücks "F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig" als Puppenspieler auf. (Foto: Lex Karelly)

Hans-Georg Krause, der frühere Leiter des Gautinger Kulturhauses Bosco, setzt in seiner letzten Spielzeit auf Schauspielklassiker und Inszenierungen jenseits vom Mainstream. Ein Gespräch über das Programm und darüber, wie es weitergeht.

Von Gerhard Summer, Gauting

Er hat Gauting mit seiner Begeisterung fürs Schauspiel angesteckt, nun bricht für Hans-Georg Krause die letzte Spielzeit an. Der vormalige Hauptschullehrer hatte 1993 die ersten Theatertage in der Gemeinde auf die Beine gestellt, das 2005 eröffnete Bosco neun Jahre lang geleitet und Schauspieler wie Thomas Holtzmann und Jörg Hube ins Würmtal geholt. Nun gibt Krause auch die Sparte ab, die er bis jetzt noch in dem Kulturhaus betreut hat. Die SZ sprach mit dem 71-Jährigen, der in Passau geboren und in Regensburg aufgewachsen ist, über sein finales Theaterprogramm und darüber, wie es weitergeht.

SZ: Was ist das für ein Gefühl, wenn man nach fast drei Jahrzehnten die letzte Gautinger Spielzeit plant?

Hans-Georg Krause, der langjährige Chef des Gautinger Bosco, verabschiedet sich mit einem anspruchsvollen Theaterprogramm. (Foto: Arlet Ulfers)

Hans-Georg-Krause: Puh...Das passt, das ist ja meine Entscheidung gewesen. Niemand hat mich gedrängt. Niemand hat signalisiert: Jetzt reicht's. Ich habe schöne Sachen gemacht, und wenn man die Zeit vor dem Bosco mitrechnet, sind das jetzt fast 30 Jahre Schauspiel gewesen. Das reicht vollkommen.

Sie haben das also ganz sachlich geplant, ohne die geringste Spur Wehmut?

Wehmut kommt vielleicht danach, also jetzt nicht.

Wenn Sie Ihr Programm in einem Satz beschreiben müssten, was würden Sie sagen? Schwere Kost?

Unterhaltung hat man im Fernsehen genug. Ich finde, Theater muss zum Nachdenken herausfordern und sinnlich sein. Schauspiel ist bei uns die teuerste Sparte, und wenn wir dafür schon so viele Subventionen ausgeben, muss es auch einen Anspruch haben und mich packen.

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Was verstehen Sie unter sinnlich?

Wenn ich Schauspieler auf der Bühne erlebe, dann muss mich das auf irgendeine Art und Weise berühren, das meine ich mit sinnlich. Ich möchte nicht, dass man am Ende einer Vorstelollung gelangweilt oder mit dem Gefühl herausgeht, dass es egal ist. Theater muss berühren und betreffen.

Gibt es unter den sechs Stücken eines, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

Nein.

Ich hätte gedacht, Sie sagen Nikolaus Habjan und die wahre Geschichte über "F. Zawrel - "erbbiologisch und sozial minderwertig".

Ja, natürlich. Wobei ich aber alle Inszenierungen aus unterschiedlichen Gründen mag. Bei Habjan ist es so: Ich bin ihm jetzt viele Jahre lang hinterhergelaufen. Er ist ein sehr erfolgreicher Shootingstar und von einer kleinen Bühne in Wien relativ schnell hochgeschossen ins Burgtheater. Er hat inzwischen sehr viele Regieaufträge, auch Opernregie, sowohl in Österreich als auch in Deutschland, zum Beispiel an der Münchner Staatsoper oder am Residenztheater. Das war einer der Gründe, warum ich immer ausgebremst wurde: Regie war ihm oft wichtiger. Und deshalb freut es mich umso mehr, dass es jetzt endlich klappt, nachdem wir die Aufführungen auch noch zweimal wegen Corona verschieben mussten.

Sie sagen, Sie waren Habjan jahrelang auf den Fersen. Wie kann man sich das vorstellen?

Erste Voraussetzung ist, dass ich das Stück sehen muss, denn ich will selber hinter dem Programm stehen können. Das ist mir wichtig. In diesem Fall habe ich Kontakt mit der Agentur aufgenommen, mit Habjans Mutter, und die hat dann ein paar Mal abgesagt und mich hingehalten. Aber ich habe es halt immer wieder versucht und bin drangeblieben. Das Stück ist ja mit dem Nestroy-Preis, dem höchsten österreichischen Theaterpreis, ausgezeichnet worden, also entsprechend begehrt bei Veranstaltern.

"Für mich ist das ein sehr berührendes Stück, berührend und natürlich auch politisch."

Habjan sitzt in "F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig" mit zwei Puppen auf der Bühne. Es geht um Euthanasie-Morde in der Nazizeit, um das Opfer Friedrich Zawrel und den Wiener Anstaltsarzt Heinrich Gross, der grauenhafte Experimente mit Kindern machte und nach 1945 noch als unbescholtener Gerichtspsychiater arbeitete. Und auch wenn man es nicht glauben mag: Die Inszenierung soll streckenweise humorvoll sein.

Das ist ja ein authentisches Stück. Friedrich Zawrel hat das alles miterlebt, ist aber von Grund auf ein humorvoller Mensch. Vielleicht konnte er all das nur durch seinen Humor ertragen, vielleicht hat ihm sein Humor das Leben gerettet. Und deshalb ist der Abend auch zu ertragen. Andere Menschen haben nicht die Kraft, Abstand zu entwickeln zur Realität, und gehen daran zugrunde. Für mich ist das ein sehr berührendes Stück, berührend und natürlich auch politisch. Ich mag ja kein plakatives Theater, wo von der ersten Minute an klar ist: Das ist der Gute, das ist der Böse. Meine Vorliebe gilt Stücken, in denen die Themen differenziert dargestellt sind und eine Entwicklung zu spüren ist.

An zwei Abenden geht es um Isolation und nahe Zukunft. Das Metropoltheater München nimmt sich in "(R)Evolution" die Digitaldiktatur vor. Und das Théâtre National du Luxembourgh gibt Thomas Manns "Zauberberg" in Pandemiezeiten. Was jetzt wohl nicht heißt, dass im Lungensanatorium Covid ausgebrochen ist, oder?

Szene aus "(R)Evolution" in der Inszenierung des Metropoltheaters München. (Foto: Jean-Marc Turmes)

Nein. Wir verbinden die Situation, dass man alsPatient über Monate in diesem Lungensanatorium liegt, gedanklich mit Corona. Das ist ja eine Isolationssituation, die wir in der Pandemie erlebt haben. Das ist also eine klassische "Zauberberg"-Inszenierung, im Übrigen mit dem wunderbaren Schauspieler Wolfram Koch.

Denken Sie, dass Algorithmen bald vollends unser Leben bestimmen werden wie in "(R)Evolution?

Na ja, wenn man China beobachtet mit dem Sozialkreditsystem, also der Vergabe oder dem Entzug von Punkten für erwünschtes beziehungsweise unerwünschtes Verhalten, kann man schon einen Schreckmoment erleben. Und an diesem Online-Rating sind viele undemokratische Länder interessiert. Wir werden tatsächlich immer mehr von der digitalen Welt gesteuert und auch überwacht, das sehe ich schon als Thema.

Sie schätzen das Metropoltheater?

Ja, es ist deutschlandweit eines der besten Theater in der freien Szene und bewegt sich seit Jahren qualitativ auf einem herausragenden Niveau.

Warum sollte jemand, der es sich mit Netflix auf dem Sofa gemütlich gemacht hat und denkt, dass es schon genügend Katastrophen gibt im Leben, ins Theater gehen?

Zum einen: Der entscheidende Unterschied zu Fernsehkonserven ist doch, dass Theater live zu erleben ist. Also wirkliche Menschen, die man auf der Bühne erlebt, das ist ein unmittelbarer Moment. Und ich finde, dieses Liveerlebnis, auch in der Musik, ist durch nichts zu ersetzen. Denn man spürt im Saal eine Atmosphäre, die sowohl von der Bühne als auch von den Sitznachbarn kommt. Es gibt Abende, die funktionieren, weil eine bestimmt Chemie im Raum entsteht und sich überträgt. Das sind Schwingungen, die kann man nicht vor dem Fernseher erleben. Zum anderen: Ich kann nachvollziehen, dass bei vielen Menschen der Bedarf an Katastrophennachrichten gedeckt ist. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass man diese Themen anspricht und in den unterschiedlichsten Medien zeigt. Und die Besucherzahlen sprechen dafür, dass es die Menschen gibt, die sich diesen Themen stellen. Denn das Schauspiel ist die Reihe im Bosco, die am besten besucht wurde und wird.

In Yasmina Rezas Monolog "Anne-Marie die Schönheit" übernimmt auf Wunsch der Autorin ein Mann die Rolle der Schauspielerin, die über ihr Leben reflektiert. Das Bild zeigt Robert Hunger-Bühler in der Inszenierung des Theaters Freiburg. (Foto: Britt Schilling/britt schilling)

Ist Theater systemrelevant?

Ach, das ist so ein Schlagwort. Wenn ich jetzt sage: nein...

Sie dürfen sagen, was Sie wollen.

Ist schon klar. Aber das ist mir zu sehr Schlagwort.

Sie weichen einer Antwort aus.

"Man müsste eigentlich darüber nachdenken, wie man Kultur anders in den Haushalten verankern kann."

Theater oder die Kultur schlechthin, das ist natürlich wichtig für alle Menschen. Und wir müssen dafür sorgen, dass das alles, so gut es geht, erhalten bleibt. Das ist für mich überhaupt keine Frage. Der Punkt ist für mich: Wir haben in der bayerischen Verfassung zwar den schönen Satz, Bayern ist ein Kulturstaat, doch Kultur ist nur als freiwillige Leistung definiert. Man hat also - unabhängig von Krisen - Kultur immer schon von dem abhängig gemacht, was im Geldbeutel drin ist. Damit ist Kultur nie als systemrelevant behandelt worden. Man müsste eigentlich darüber nachdenken, wie man Kultur anders in den Haushalten verankern kann.

Momentan geht's mehr ums Sparen und Streichen.

Wenn ein Bürgermeister wie Bernhard Sontheim aus Feldafing die freiwilligen Leistungen auf Null setzten will oder der Kreiskämmerer den Rotstift ansetzt, dann ist das aus fiskalischer Sicht ein nachvollziehbarer Gedanke. Aber für die Gesellschaft bedeutet es einen K.o.-Schlag. Die sozialen Verbände, die Kultur- und Sportvereine stellen doch die Basis unseres Zusammenlebens dar. Und einmal zerstörte Strukturen wieder aufzubauen, das dauert.

Bands wie die Scorpions haben schon öfters ein letztes Konzert gegeben und sind immer wieder auf eine letzte Tournee aufgebrochen. Wäre das auch für Sie eine Option?

Nein, das ist definitiv. Ich habe am Anfang ja alle Bereiche beackert und dann Stück für Stück Verantwortung abgegeben, ob die Leitung des Bosco oder den Vorsitz des Theaterforums. Schauspiel war die letzte Sparte, um die ich mich gekümmert habe.

Es gibt ein Leben nach dem Bosco?

Ja, sogar ein Leben mit dem Bosco, ich bleibe schließlich Besucher hier.

Und wer tritt Ihre Nachfolge an?

Das wird jetzt gerade intern beraten. Klar ist, dass es eine Nachfolgerin geben soll.

Das Theaterprogramm im Gautinger Bosco startet mit dem Gastspiel von Nikoklaus Habjan. Die Vorstellungen am Mittwoch und Donnerstag, 19. und 20. Oktober, beginnen um 20 Uhr. Weitere Infos und Karten unter bosco.gauting.de.

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