Freizeit:"Jodler sind unsere Mantren"

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Im Monopterus im Dießener Schacky-Park beginnt die Jodelwanderung mit lockernden Stimmübungen. (Foto: Georgine Treybal)

Amelie Mehru und Florian Böck lehren die Kunst des Stimm-Schnackelns. Das kostet mitunter viel Überwindung, lohnt sich aber. Unterwegs bei einer Jodel-Wanderung am Ammersee.

Von Carolin Fries, Dießen

Peter sagt, er möchte zusammen mit seiner Frau jodeln, "auch in der Öffentlichkeit". Also steht der 63-Jährige mit seiner Maria an diesem Abend im Dießener Schacky-Park und stützt sich mit den Armen gegen eine Säule des Monopteros. In dieser Position soll er Lehrer Florian Böck nachjodeln, ein paar Töne und Silben nur. "Oh Gott", sagt Peter. Man kann förmlich sehen, wie er mit sich ringt - und wie viel Überwindung es ihn kostet, die Vorbehalte loszulassen: Was, wenn seine Töne schief klingen? Oder zu laut sind? Und wie sieht das überhaupt aus, wie er da so schief in der Kurve hängt und einzelne Laute von sich gibt? Peter atmet einmal tief durch, bevor er sein "He-o" erklingen lässt.

Die Hemmschwelle ist hoch, nicht nur bei Peter. Elf Teilnehmer haben sich der abendlichen Jodelwanderung an diesem Mittwoch angeschlossen. Singen würden sie sich vermutlich eher trauen - aber jodeln? Maya aus Brannenburg ist mit ihren zehn Jahren die jüngste Teilnehmerin, Karl aus Dießen mit 73 der älteste. Die meisten sind zum ersten Mal dabei, die Neugier hat sie getrieben. Andere haben bereits Online-Kurse bei Amelie Mehru und Florian Böck besucht, die die Sommermonate am Ammersee verbringen und inzwischen auch wieder in Präsenz ihre Singkreise, Kurse oder musikalischen Wanderungen anbieten. Also dann: "Stell Dir mal vor, Du bist eine Kuh und hinten auf deinem Steiß sitzen lästige Fliegen, die Du abschütteln willst." Amelie Mehru macht den Rücken krumm und bockt wie ein Tier, dazu stößt sie immer wieder ein "Hej" aus. Bernadette, 34 Jahre alt und Erzieherin aus München, tut es ihr nach. Und sie merkt: Es geht eigentlich ganz einfach. "Man muss sich halt trauen."

Dazu gehören auch Dehnübungen. Peter und seine Frau Maria schaffen Platz unter den Rippenbögen. (Foto: Georgine Treybal)
Amelie Mehru und Florian Böck haben ihre Jobs als Psychologin und Manager an den Nagel gehängt und sich auf "musikalische Wanderschaft" begeben. (Foto: Georgine Treybal)

"Jodeln kann jeder", sagt Amelie Mehru. Die 33-Jährige erzählt, wie sie mit Mitte zwanzig ihre Stimme beim Yoga entdeckt hat und das Jodeln lernte - "so cool". "Voice of Nature" heißt das Kleinunternehmen, das sie zusammen mit ihrem Freund betreibt - beide haben dafür ihre Wohnungen und Jobs als Psychologin und Manager gekündigt. Seit drei Jahren sind sie mit ihrem ausgebauten Feuerwehr-Bulli auf "musikalischer Wanderschaft", unterrichten mal in den Bergen und mal am Bodensee oder beim Retreat im Ayurveda-Hotel im Allgäu. Im Herbst soll es zum Jodeln nach Hawaii gehen. Es vergehe kaum ein Tag, an dem die beiden nicht jodeln. "Jodeln ist Kommunikation", erklärt Mehru. Und zwar in einer Sprache, die jeder verstehe. "Und es ist die einfachste Art, jemandem ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern", so Böck.

Tatsächlich sind die Beklemmungen schnell abgelegt, und die 34 Jahre alte Erzieherin aus München tanzt jodeln im Kreis mit der 52-jährigen Sozialpädagogin aus Grafrath und klatscht lachend mit Volker, 66, Luftfahrzeugtechniker in Rente aus Seefeld ein. Zweistimmig und wie im Kanon versetzt klingt "Ho-e-ri" schon wie Musik, die einzelnen Stimmen entfalten sich immer stärker.

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Begleitet von der Bewegung klappt auch der "Schnackler" immer besser, der schnelle Wechsel von der Brust- in die Kopfstimme. Und wenn nicht - stört sich auch niemand daran. Mehru und Böck stellen keine Diplome à la Loriot aus, und es gibt auch keine Prüfung. Wichtig ist ihnen, dass die Teilnehmer Spaß haben. Und ihre Stimme (wieder)entdecken. Andrea, Unternehmensberaterin aus München, ist zum zweiten Mal mit ihrer Pudeldame Klärchen bei einer Jodelwanderung dabei. Manchmal jault die Hündin lustig mit. "Für mich ist Jodeln Lebendigkeit pur", sagt die 59-Jährige, die in ihrer Freizeit in zwei Gospelchören singt. Ein Talent fürs Singen ist aber nicht Voraussetzung, wie Mehru betont. "Das Wichtigste ist eigentlich Lebensfreude."

Drei Stunden dauert der Spaziergang, immer wieder von kurzweiligen Jodelübungen oder einer Tanzeinheit unterbrochen. Vorbei am Tiefenbach geht es über den Friedhof in die katholische Kirche, in der die Jodellehrer in den hölzernen Bänken den "Schweinsbeuschel Jodler" anstimmen, einen ruhigen "Herzensjodler" wie Mehru erklärt, in den jeder einstimmen mag, wie er mag und kann. Der passe auch bei einer Beerdigung. Und so entsteht in der Kühle der heiligen Gemäuern eine wärmende Klangmagie. Diese Kraft würde "total unterschätzt", so Mehru, die als Yogalehrerin früher auch indische Mantren gesungen hat. Inzwischen jodelt sie lieber, denn "Jodler sind unsere Mantren". Die Klänge, eigentlich ein melodisches Rufen, seien "eine ganz natürliche Form des Ausdrucks". Und politisch korrekt ist der Gesang obendrein, stammen doch die Lieder nicht von unterdrückten Kulturen. Mehru würde sich wünschen, dass Jodeln noch mehr aus der volkstümlichen Ecke in die Mitte der Gesellschaft rückt, wie Rock und Pop. Doch ein Hubert von Goisern reiche dafür nicht aus. Sie selbst hat neben zahlreichen Liedern fünf oder sechs Jodler komponiert - bei den Wanderungen greife man aber auf die Klassiker zurück.

Auf einer Wiese im Schacky-Park wird im Kreis getanzt und gejodelt - spätestens dabei fallen die letzten Beklemmungen. (Foto: Georgine Treybal)
Die Wanderung wird immer wieder kurz unterbrochen, um gemeinsam die Jodler zu üben. (Foto: Georgine Treybal)
In der katholischen Kirche stimmen Amelie Mehru und Florian Böck einen ruhigen "Herzensjodler" an, in den die Teilnehmer einstimmen können. (Foto: Georgine Treybal)

Zum Beispiel Loni Kuisles "Jola-Du", das die Gruppe dreistimmig auf dem Vogelbeobachtungsturm mit Blick über den See anstimmt. Einfach und ergreifend. Genauso wie das kleine Stück, das die Gruppe spontan ein paar Jugendlichen auf dem Weg ins Ortszentrum vorsingt: "Wollt's mal an Jodler hören?" "Ja, okay". Die Teilnehmer erfahren, dass es sich mit glatter Stirn, großen Augen und leichtem Doppelkinn leichter jodelt und dass der ganze Körper idealerweise ein bisschen mitschwingt. Zum Abschluss wird in den Seeanlagen direkt am Ufer zum Sonnenuntergang improvisiert. Angelehnt an einen Grundton dürfen "die Stimmen fliegen", so Mehru.

Zum Sonnenuntergang am Ufer des Ammersees dürfen "die Stimmen fliegen". (Foto: privat)

Peter sagt danach, dass er froh ist, sich getraut zu haben. Und dass er seinen Wohnort noch nie so bewusst wahrgenommen habe wie an diesem Abend, "obwohl ich hier seit 33 Jahren wohne und alle Wege schon gegangen bin". Er will künftig mit seinem sechs Jahre alten Enkel auf den gemeinsamen Autofahrten jodeln statt singen, "jetzt hab' ich wieder Munition." Und natürlich mit seiner Frau Maria. Die ist ebenfalls begeistert und kündigt an, "in den nächsten drei Wochen" einen Jodel-Stammtisch in Dießen zu gründen. Die ersten Zusagen bekommt sie noch an diesem Abend.

Die nächste Jodel-Wanderung findet voraussichtlich im August statt. Mehr Informationen unter www.voice-of-nature.de .

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