Kultur:Von Freiheitskampf und Poesie

Lesezeit: 2 min

Barfuß spielt César Bernal sein Kontrabass in der Villa Waldberta. (Foto: Reinhard Palmer)

Der Chilene César Bernal liefert in der Feldafinger Villa Waldberta eine grandiose Vorstellung, die bis zum letzten Ton fesselt.

Von Reinhard Palmer, Feldafing

Dafür, dass die ernste Musik in Lateinamerika im Grunde erst in der Romantik einsetzt, hat sie sich erstaunlich schnell entwickelt. Namen wie Villa-Lobos, Piazzolla oder Ginastera sind aus den Konzertprogrammen weltweit nicht wegzudenken. Stets überaus emotional bestimmt, fiel es auch den nachfolgenden Generationen - man denke da nur an Mauricio Kagel - nicht schwer, Neuerungen zu folgen, ja sie sogar entscheidend mitzuprägen.

Wenn also der Chilene César Bernal (Jahrgang 1987), der derzeit als Stipendiat der Villa Waldberta in Feldafing zu Gast ist, "Lateinamerikanische Musik des XXI. Jahrhunderts" ankündigt, dann geht es hier keinesfalls um Randerscheinungen. Auch wenn sein Instrument der Kontrabass ist. Ganz im Gegenteil: Was Patrick Süskind einst seinem Kontrabassisten an Frustration in den Mund gelegt hatte, würde Bernal sicher nur verständnislos belächeln. Die Kontrabassmusik der lateinamerikanischen Gegenwart ist höchst emotional, abenteuerlich und narrativ, wovon nicht zuletzt Titel wie "Huellas" (Spuren) oder "Raíces del Invinito" (Wurzeln der Unendlichkeit) zeugen.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Die Neue Musik hat die vielfältigen Möglichkeiten der Tonerzeugung auf diesem Instrument erst entdeckt. Und sich offenbar gleich ins Zeug gelegt, diesen Reichtum für sich zu nutzen. Da wird gezupft, gerissen, geklopft, gehämmert, gestrichen - überall und nicht nur mit einem klassischen Bogen -, mit und ohne Zuspieler oder Einsatz der Stimme des Instrumentalisten. Es ist nur verständlich, dass sich die Komponisten dabei kaum noch der klassischen Notennotation bedienen als vielmehr grafischen Darstellungen, nach denen zu spielen eine wahre Wissenschaft darstellt.

Bernal aber ist ein Spezialist auf diesem Gebiet. Er versteht es, den Absichten der Komponisten mit unkonventionellen Spieltechniken auf den Grund zu gehen. Ihre Namen dürften bei uns den Wenigsten geläufig sein. Etwa die der Chilenen Sebastián de Larraechea, Graciela Muñoz, Enrique Schadenberg und Santiago Astaburuaga, des in den USA lebenden Mexikaners Luis Hurtado oder der Peruanerin Claudia Alvarado. Das hat aber nichts zu bedeuten, wissen wir doch allgemein wenig, was sich künstlerisch hinter den Ozeanen abspielt, zumal anders als in der Popmusik lokale Traditionen eine wichtige Rolle spielen.

Mit bedrohlichem Saitensägen verbildlicht er Politisches

Wer die Kunst Lateinamerikas kennt, wird hier die Schwerpunkte auf Poesie und Freiheitskampf schnell erkannt haben. Letzterem widmete sich Bernal mit einer Eigenkomposition, die er seinem Vater widmete und "A|ndrés" betitelte. Der Bruch in seinem Vornamen signalisiert offenbar die Zäsur in der Geschichte Chiles mit dem Staatsstreich des Generals Augusto Pinochet, zu dessen 50. Jahrestag, verbunden mit dem Tod Salvador Allendes am 11. September 1973, die Komposition entstand. Neben dem musikalischen Part gehören Passagen aus der letzten öffentlichen Rede Allendes zur Komposition, vorgetragen vom Interpreten sowie als Originalton-Einspielung.

Mit bedrohlichem Saitensägen als Störung der Melodik setzte Bernal die politische Situation bildhaft um. Doch nicht ohne Hoffnung, die mit der Einspielung des Liedes "El derecho de vivir en paz" (das Recht, in Frieden zu leben) des Helden der Nation Victor Jara, der zwar mit gebrochenen Armen nicht mehr Gitarre spielen konnte, dennoch nicht aufhörte zu singen und nur fünf Tage später ermordet wurde, den Sieg davonträgt. Ein hochemotionaler Akzent im Programm, der von der Bedeutung her in der Orangerie der Villa Waldberta wohl kaum adäquat gewürdigt war.

Was sicher auch für die Uraufführungen von Hurtado und Schadenberg galt. Letzterer fokussierte mit "Quatro poemas a un contrabajo e un contrabajista" (vier Gedichte für einen Kontrabass über einen Kontrabassisten) die Poesie, dabei die musikalischen Grenzen auslotend. So begann das erste Gedicht mit liegendem Kontrabass, um dem untersten Ende des Instruments Töne und Geräusche zu entlocken. Das dritte Gedicht beschränkte sich schließlich gänzlich aufs reine Reiben, Streicheln und Schlagen des Korpus. Das Werk mit den heftigsten Eruptionen stammt von Hurtado. In "In the space of time" kontrastierte er Geheimnisvolles mit rabiatem Spiel. Eine grandiose Vorstellung, die bis zum letzten Ton fesselte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Familie
:"Solidarität für berufstätige Mütter"

Die Autorin Anne Theiss aus Tutzing spricht im Interview über große Erschöpfung, falsche Familienpolitik und Defizite bei der Kinderbetreuung.

Interview von Mascha Plücker

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: