SZ-Serie: Dorf-Dynastien:Neuigkeiten aus dem Bäckerhaus

Lesezeit: 5 min

Sie kennen sich aus in der Familiengeschichte: Albin Graf und seine Mutter Liselotte. Die beiden stehen vor dem Graf-Anwesen in Berg. (Foto: Georgine Treybal)

Die Grafs prägen die Gemeinde Berg bis heute. Zu dem berühmtesten Spross der Familie, dem Schriftstellers Oskar Maria Graf, hatte der Ort aber lange ein sehr zwiespältiges Verhältnis.

Von Sabine Bader, Berg

Das Verhältnis der Gemeinde Berg zu ihrem berühmtesten Sohn war von jeher speziell, galt dieser in seinem Heimatort doch lange Zeit als Enfant terrible, als Nestbeschmutzer und als einer, der dem Ort zu allem gereicht, nur nicht zur Ehre. Schließlich arbeiteten die Dörfler hart, während sich Oskar Maria Graf der nicht sonderlich schweißtreibenden Schriftstellerei verschrieben hatte. Zyniker behaupteten gar: Fast überall in Deutschland stünden mehr Werke von ihm im Bücherschrank als in Berg. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Heute wissen auch die Berger um den Schatz, den Graf ihnen mit seinem literarischen Werk hinterlassen hat.

Doch ungeachtet der Popularität des Autors hat seine Familie Berg maßgeblich geprägt. Lag ihre örtliche Bäckerei, in der sich mit dem Oskar-Maria-Graf-Stüberl heute ein Speiserestaurant befindet, nicht nur zentral in der Mitte des Dorfes, sie war auch Nachrichtenumschlagplatz Nummer eins. Schließlich gab es zur damaligen Zeit so gut wie keine anderen Geschäfte im Ort. Hier erfuhr man, was sich in Berg zutrug und auch was bei Hofe vor sich ging. Denn die Wittelsbacher residierten im nahen Schloss in Unterberg.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Ausgerechnet der kleinwüchsigen Tante des Autors, der alten Resl, die mit der Familie im Bäckerhaus lebte, hatten es die Grafs übrigens zu verdanken, dass sie "täglich weiches Weißbrot und dünne Wecken" an den königlichen Hof liefern durften. Denn der auch geistig behinderten Tante war es gelungen, den oft freudlosen Monarchen Ludwig II. königlich zu amüsieren. Das schildert Graf anrührend in seinem Roman "Das Leben meiner Mutter".

Und dann ist da noch das "Café Maurus" unweit des Bäckerhauses: Grafs Bruder Maurus hatte das Café und die Konditorei in den 1920er-Jahren eröffnet und bis Ende der 1960er-Jahre gemeinsam mit seiner Frau betrieben. Hier verkehrten die Berger viel und gern, zumal Maurus nicht nur ein guter Konditor war, sondern auch als brillanter Geschichtenerzähler galt.

Posieren für ein Familienfoto: Mutter Therese Graf (li., stehend) mit einigen ihrer Kinder: Neben ihr steht Max, der Älteste, und vor ihr Emma. Auf dem Canapé sitzen die beiden Buben (v. li.) Maurus und Oskar sowie Therese (re.). (Foto: Georgine Treybal (Repro))

Ihren Anfang nahm die Dynastie mit der Heirat der Bauerntochter Therese Heimrath aus Aufhausen mit dem Berger Bäckermeister Max Graf. Therese gebar elf Kinder. Als Neuntes kam Oskar am 22. Juli 1894 zur Welt. Nach dem frühen Tod seines Vaters 1906 übernahm der älteste Sohn Max die Bäckerei. Damit wuchs der Unfrieden im Haus. Und schließlich trieben die Wutausbrüche des neuen Familienoberhaupts mehrere Geschwister in die Flucht - darunter auch den 17-jährigen Oskar. Grund für den großen Eklat zwischen ihm und dem Bruder war Oskars frühes Interesse für die Literatur, das sein älterer Bruder Maurus in ihm geweckt hatte. Eine Neigung, für die sein Umfeld keinerlei Verständnis hatte. Die Bücher mussten heimlich beschafft und in einem Versteck verwahrt werden. Als der ältere Bruder Max davon erfuhr, eskalierte die Auseinandersetzung.

Oskar floh nach München und schloss sich den dortigen Bohème-Kreisen an. Dort startete er auch die ersten Gehversuche als Schriftsteller. Doch auch in München musste er fliehen - nicht vor dem gewalttätigen Bruder, sondern vor den Nazis. Sein Weg führte ihn 1933 zuerst nach Brünn in der damaligen Tschechoslowakei, dann nach Prag und schließlich 1938 über die Niederlande in die USA, wo er sich im Juli in New York niederließ.

Die Dritte Bürgermeisterin von Berg, Elke Link, hat einen Stammbaum der Familie Graf gefertigt. (Foto: Elke Link/oh)
Lorenz Graf beim Brotbacken im heimischen Betrieb in Berg. (Foto: Georgine Treybal (Repro))
Im Familienalbum von Albin Graf gibt es ein Foto, das die Bäckerei von innen zeigt. (Foto: Georgine Treybal (Repro))

Bertolt Brecht hatte Oskar Maria Graf einst einen "verjagten Dichter" genannt. Hatte der doch die Nazis über die Wiener Arbeiter-Zeitung sogar mit den Worten "Verbrennt mich!" dazu aufgefordert, auch sein literarisches Werk zu vernichten. Die Nationalsozialisten taten ihm den Gefallen, bürgerten ihn aus und verbrannten seine Bücher im Innenhof der Münchner Universität. Auch wenn Graf nie wirklich heimisch geworden war in der Diaspora, stattete er Deutschland erst 1958 wieder einen Besuch ab, nachdem er die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatte.

Doch zurück zu den hiergebliebenen Familienmitgliedern in Berg: Grafs Mutter Therese war eine duldsame Frau. Auch den Zwist im Haus ertrug sie mehr oder minder klaglos. Was hätte sie auch anderes tun sollen? Schließlich machten ihr Veränderung aller Art Angst. Ein anschauliches Beispiel dafür war: Als ihr Mann das "Elektrische" installieren ließ und die Kinder sich über die strahlenden Glühbirnen dermaßen freuten, dass sie das Licht ununterbrochen ein- und ausknipsten, wagte die Bäckersmutter kaum einen scheuen Blick darauf. Und noch etwas: Therese Graf war eine zutiefst gläubige Frau. Manchmal besuchte sie gar die Frühmesse und die Vesper, obwohl ihr im Alter der Weg bergan zur Wallfahrtskirche Aufkirchen sicher nicht leicht gefallen ist.

Das Bild zeigt eine sehr frühe Aufnahme des Dorfplatzes vor dem Bäckerhaus. (Foto: Gemeindearchiv Berg)

Durch Oskar Maria Grafs Werk lernt man die dörfliche Denke und die Verhältnisse zu jener Zeit so detailliert kennen, dass man ihn wohl zu Recht einen "liebevollen Chronisten" seiner Heimat nennen kann. Mit dem Heimatbegriff hat sich Graf übrigens ein Leben lang beschäftigt. War er doch quasi zum Weltenbummler wider Willen geworden, zum Heimatlosen. Er starb 1967 fern der bayerischen Heimat. Ein Jahr nach seinem Tod wurde seine Urne nach München überführt und auf dem Alten Bogenhauser Friedhof beigesetzt.

Oskar Maria Grafs einzige Tochter, Annemarie Koch-Graf, lebte bis zu ihrem Tod in Berg. Sie starb 2008. Auch wenn sie ihren Vater nur selten gesehen hat, die Schlagfertigkeit und die Erzählfreude hat sie von ihm geerbt. "Tochter zu sein ist kein Verdienst, sondern ein netter Zufall", hat sie einmal lakonisch gesagt. Im ehemaligen Bäckerhaus in der Ortsmitte lebt noch ein weiterer Spross der Familie: der 65-jährige Albin Graf mit seiner Frau Inge. Er beschäftigt sich viel mit der Familiengeschichte. Sein Ururgroßvater war der Begründer der Graf-Dynastie. Albin Graf hat im alten Bäckerhaus viele Relikte früherer Tage zusammengetragen - Familienfotos, Dokumente, Tagebücher. Sogar Sütterlin-Schrift hat er sich angeeignet, um die Aufzeichnungen entziffern zu können.

Als Kind hat er oft mit seinem Großvater die Semmeln in die entlegenen Ortsteile ausgefahren. Bei diesen Gelegenheiten habe der Großvater gern mit den Leuten "geratscht und auch mal etwas getrunken", bevor es weiterging, erinnert er sich. Ins Schloss Berg sei man natürlich ebenfalls regelmäßig gekommen. "Wir haben das Brot dann beim Seiteneingang angeliefert."

Grafs Tochter Annemarie Koch-Graf bei einer Buchvorstellung im Jahr 2002 in Aufkirchen. (Foto: Franz-Xaver Fuchs)
Albin Graf trägt vieles aus der Familiengeschichte zusammen. (Foto: Georgine Treybal)

Albin Graf hätte den Bäckereibetrieb einmal weiterführen sollen. Doch dazu kam es nicht. Als dies 1972 spruchreif war, weil sein Vater krank wurde und nicht mehr arbeiten konnte, war er erst 14 Jahre alt. Also verpachteten die Großeltern, Juliana und Hans Graf, den Betrieb an Bäckermeister Anton Lidl, der das Unternehmen noch bis 1984 führte. Dann war endgültig Schluss mit der Bäckerei im alten Graf-Haus. "Denn um den Betrieb in dem Anwesen weiterführen zu können, hätte man viel investieren und das Haus vergrößern müssen", sagt Albin Graf rückblickend. Auch wenn er selbst nicht mehr im Familienbetrieb arbeitete, erlernte er in München das Bäcker- und Konditorhandwerk trotzdem. Als Geselle arbeitete er danach in Wolfratshausen und als Meister in Starnberg.

Oskar Maria Grafs Tochter Annemarie Koch-Graf sei eine "nette Frau" gewesen, die immer "Sinn für Spaß gehabt" habe, sagen Albin Graf und seine 87-jährige Mutter Liselotte unisono. An das Café Maurus kann sich Albin Graf kaum mehr erinnern. Er habe es nur ein- oder zweimal mit seinem Großvater besucht, erzählt er, aber da sei er noch ein kleiner Bub gewesen. Und seine Mutter ergänzt, dass das Café recht bekannt gewesen sei und Maurus selbst "ein Original war und sehr gute Torten gemacht" habe.

Dem Schriftsteller Oskar Maria Graf seien Mutter und Sohn nie wirklich begegnet. Als Dichter habe dieser es damals wohl aber schwer gehabt, in seiner Heimatgemeinde anerkannt zu werden, glaubt Albin Graf. Er selbst hat eine "Oskar-Ecke" in seinem Bücherregal mit einem Porträt des bekannten Vorfahren. Und er präsentiert stolz "Das bayrische Dekameron" mit einer Widmung, die Oskar Maria Graf für seinen Großvater in das Werk geschrieben hat. So ändern sich die Zeiten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusErnährung
:Muss keine Spuren von Kakao enthalten

Das Planegger Start-up "Planet A Foods" hat auf der Basis von Sonnenblumenkernen und Hafer ein Ersatzprodukt für Schokolade entwickelt. Sein Einsatz soll Ressourcen schonen und Unternehmen unabhängig vom volatilen Weltmarkt machen.

Von Sophia Coper

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: