Mit leichter Hand, spitzem Bleistift und leiser Poesie verhandelt die Künstlerin Sabrina Hohmann die großen Fragen des Menschseins. Für ihre Ausstellung im Dießener Taubenturm wählte sie den wortspielerischen Titel "Taubensturm". Und will man diesem Wortspiel auf den Grund gehen, dann muss man wirklich alle Treppenstufen bis ganz hinauf ins oberste Turmstübchen steigen - um dann mit neuen Fragen wieder hinunter zu gehen.
Dabei sah es doch anfangs so einfach aus: Der "Pflasterverkäufer" reichte dem weinenden Kind einen tröstenden Heftpflaster-Luftballon, den er an einem langen Band aus der großen Traube in seiner Hand löste. Die bezaubernde Bleistiftzeichnung, die im Treppenaufgang hängt, bildet den sachten Auftakt zu dieser leichten und zugleich schweren Ausstellung. Im ersten Stockwerk aber huschen dann aus den Ecken die weißen Ratten heraus und lauschen mit ihren Menschenohren auf Menschenworte.
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Wurden sie wirklich in einem Labor gezüchtet? Wurden sie wie das arme Schaf Dolly geklont? Oder wurden sie womöglich wie einst der Golem mittels Buchstabenmystik aus Lehm erschaffen? In der Mitte des Raums steht als beklemmendes Sinnbild für die Hybris des Menschen, der sich über die Schöpfung erhebt, die "Chromosomonstranz": Das liturgische Schaugefäß, die Monstranz mit der Hostie, steht in der Kirche für das Allerheiligste. Hier aber werden die Buchstaben A,C,T,G, die Nukleinsäurebausteine der menschlichen Gene, in einer Petrischale zur Schau gestellt. Umgeben sind sie von einem Strahlenkranz aus menschlichen Chromosomen-Modellen.
Im zweiten Stock raschelt leise das Wortgefieder. Fast scheint es, als habe die müde Siegesgöttin ihre Flügel abgestreift, um sich hier eine Pause zu gönnen. Hohmanns 2008 verstorbener Mann, der Bildhauer Andreas von Weizsäcker, ließ die Flügel der Nike von Samothrake in Gips abformen. Die antike Skulptur selbst, entstanden um 190 vor Christus, befindet sich im Louvre in Paris. Jahrelang lagerten die Gipsflügel im Keller der Münchner Kunstakademie. In Zeiten des Krieges hat Hohmann sie nun zu einer eigenen Arbeit weiterentwickelt und sie in feiner Bleistiftschrift mit Sätzen aus fliegen, siegen, kriegen, lieben und lügen überzogen. Eine Matratze liegt hier auf dem Boden, das Leintuch ist mit dem Bild einer schlafenden Frau bedruckt.
Ins oberste Stockwerk hat die Künstlerin eine kleine Kommode geschleppt, die sich jedoch bei genauerem Hinsehen als Sinnestäuschung offenbart. In dem großen Vitrinenschrank, der sich ganz real als Relikt des ehemals geplanten Heimatmuseums hier erhalten hat, präsentiert sie kleine "Visitenkarten" aus Ton, in die wortspielerische Texte eingeprägt sind, und eine "Mastercard Gold", auf der sich ein "Kommerzengel" empfiehlt.
Auch einige "ungemalte Träume" liegen hier im Schrank. Worte fügen sich hier zur Umrisszeichnung einer Vase. Die Scherben einer realen Mingvase aber werden zu "Fake News". Die Taube, die doch den Frieden bringen sollte, hat im Sturm einen Flügel verloren. Wie soll es weitergehen mit der Welt? Wird es reichen, dass Sabrina Hohmann dem kriegstreiberischen "Z" einen Mantel aus weichem Lammfell angezogen hat? Vielleicht könnte man ja Zuflucht in der kleinen Hütte finden, die hier oben steht. Aber warum hat sie keinen Eingang? Oder sind wir längst wie in dieser Hütte gefangen - und es gibt keinen Ausgang?
Die Ausstellung "Taubensturm" von Sabrina Hohmann ist noch bis zum 24.9.2023 jeweils samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr im Taubenturm beim Marienmünster zu sehen.
